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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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der Norden würde das baltische behalten und der Süden das schwarze
Meer nehmen: das heißt, Rußland würde zerfallen. Denn es hätte neben
sich ein mächtigeres Reich gegründet. Und glauben Sie, daß es eine leichte
Sache für mich sei, bei aller Autokratie zwei Hauptstädte wie Petersburg und
Moskau im Zaume zu halten? Wie sollte ich noch eine dritte hinzutreten
lasse"? Welcher ist der Fürst, der eine so ungeheure Verantwortlichkeit zu er¬
tragen im Stande wäre? Vom militärischen Gesichtspunkte aus wäre ein
solches Reich gar nicht zu vertheidigen, denn es würde Europa eine Linie
von 900 Meilen zwischen seinen beiden Hauptstädten zum Angriffe bieten, es
würde in seiner Ungeheuerlichkeit sich verlieren. Vom religiösen Standpunkte
ergäbe sich die Gefahr zweier griechischer Kirchen, einer orthodoxen und einer
russischen, das Kreuz von Se. Petersburg würde ein Nebenbuhler des Kreuzes
der.Sophienkirche werden (so spricht wol Laguerronniöre und nicht der Zar).
Glauben Sie mir, ich denke nicht an die Eroberung von Konstantinopel. Ich
kenne zu sehr die drohenden und unvermeidlichen Folgen, welche sür Rußland
daraus entständen. Aber wenn ich nicht in Konstantinopel herrschen will, so
mag ich es doch beherrschen. Ich brauche in der Türkei eine Regierung,
genug schwach, um mir nicht widerstehen, und stark genug', um sich gegen alle
andern vertheidigen zu können, ausgenommen gegen mich. Ich muß in reli¬
giöser und politischer Hinsicht im Rathe des Sultans herrschen. Ich will der
Suzerän und nicht der Souverän sein."

Es ist nur ein Umstand, ein einziger, welcher für Rußland zu einer
Nothwendigkeit machen würde, was heute eine Unmöglichkeit wäre.

"Wenn die Zersetzung des ottomanischen Reiches, statt allmälig vor sich
zu gehn, plötzlich einträte, dann wäre es Rußland beschieden, sich Konstantinopels
zu bemächtigen. Die Welt würde, in Flammen stehn, doch vermöchte ich nichts
dagegen. Ich werde diese Stunde des Schicksals nicht beschleunigen, wenn sie
schlägt, wird Rußland mit Gottes Willen bereit sein."

Die andern Porträts von Laguerronnisre gleichen den beiden ersten. So
wie König Midas alles, was er berührte, zu Gold macht, so ist alles, was
der Vicomte mit seiner Feder berührt, tugendhaft. Natürlich sind es die ge¬
krönten Häupter, und was ihnen nahe steht, am meisten.

Was er über den Grafen Chambord sagt, läßt' sich dahin zusammenfassen,
daß Heinrich V. ein großer und freisinniger Monarch wäre, wenn er zur
Regierung käme, daß er aber sehr tugendhaft und als Patriot handle, indem
er sich restgnirte; denn er sei kein Parteichef, sondern ein Princip. Bei Ge¬
legenheit sagt Laguerronnisre seinen ehemaligen politischen Glaubensgenossen,
den Häuptern der legitimistischen Partei, einige Schönheiten.

Prinz Joinville ist ein Held, ein großer Seemann, ein bedeutender Geist,
ein bedeutender Politiker und ein bedeutender Charakter. Er theilt einen


der Norden würde das baltische behalten und der Süden das schwarze
Meer nehmen: das heißt, Rußland würde zerfallen. Denn es hätte neben
sich ein mächtigeres Reich gegründet. Und glauben Sie, daß es eine leichte
Sache für mich sei, bei aller Autokratie zwei Hauptstädte wie Petersburg und
Moskau im Zaume zu halten? Wie sollte ich noch eine dritte hinzutreten
lasse»? Welcher ist der Fürst, der eine so ungeheure Verantwortlichkeit zu er¬
tragen im Stande wäre? Vom militärischen Gesichtspunkte aus wäre ein
solches Reich gar nicht zu vertheidigen, denn es würde Europa eine Linie
von 900 Meilen zwischen seinen beiden Hauptstädten zum Angriffe bieten, es
würde in seiner Ungeheuerlichkeit sich verlieren. Vom religiösen Standpunkte
ergäbe sich die Gefahr zweier griechischer Kirchen, einer orthodoxen und einer
russischen, das Kreuz von Se. Petersburg würde ein Nebenbuhler des Kreuzes
der.Sophienkirche werden (so spricht wol Laguerronniöre und nicht der Zar).
Glauben Sie mir, ich denke nicht an die Eroberung von Konstantinopel. Ich
kenne zu sehr die drohenden und unvermeidlichen Folgen, welche sür Rußland
daraus entständen. Aber wenn ich nicht in Konstantinopel herrschen will, so
mag ich es doch beherrschen. Ich brauche in der Türkei eine Regierung,
genug schwach, um mir nicht widerstehen, und stark genug', um sich gegen alle
andern vertheidigen zu können, ausgenommen gegen mich. Ich muß in reli¬
giöser und politischer Hinsicht im Rathe des Sultans herrschen. Ich will der
Suzerän und nicht der Souverän sein."

Es ist nur ein Umstand, ein einziger, welcher für Rußland zu einer
Nothwendigkeit machen würde, was heute eine Unmöglichkeit wäre.

„Wenn die Zersetzung des ottomanischen Reiches, statt allmälig vor sich
zu gehn, plötzlich einträte, dann wäre es Rußland beschieden, sich Konstantinopels
zu bemächtigen. Die Welt würde, in Flammen stehn, doch vermöchte ich nichts
dagegen. Ich werde diese Stunde des Schicksals nicht beschleunigen, wenn sie
schlägt, wird Rußland mit Gottes Willen bereit sein."

Die andern Porträts von Laguerronnisre gleichen den beiden ersten. So
wie König Midas alles, was er berührte, zu Gold macht, so ist alles, was
der Vicomte mit seiner Feder berührt, tugendhaft. Natürlich sind es die ge¬
krönten Häupter, und was ihnen nahe steht, am meisten.

Was er über den Grafen Chambord sagt, läßt' sich dahin zusammenfassen,
daß Heinrich V. ein großer und freisinniger Monarch wäre, wenn er zur
Regierung käme, daß er aber sehr tugendhaft und als Patriot handle, indem
er sich restgnirte; denn er sei kein Parteichef, sondern ein Princip. Bei Ge¬
legenheit sagt Laguerronnisre seinen ehemaligen politischen Glaubensgenossen,
den Häuptern der legitimistischen Partei, einige Schönheiten.

Prinz Joinville ist ein Held, ein großer Seemann, ein bedeutender Geist,
ein bedeutender Politiker und ein bedeutender Charakter. Er theilt einen


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[0468] der Norden würde das baltische behalten und der Süden das schwarze Meer nehmen: das heißt, Rußland würde zerfallen. Denn es hätte neben sich ein mächtigeres Reich gegründet. Und glauben Sie, daß es eine leichte Sache für mich sei, bei aller Autokratie zwei Hauptstädte wie Petersburg und Moskau im Zaume zu halten? Wie sollte ich noch eine dritte hinzutreten lasse»? Welcher ist der Fürst, der eine so ungeheure Verantwortlichkeit zu er¬ tragen im Stande wäre? Vom militärischen Gesichtspunkte aus wäre ein solches Reich gar nicht zu vertheidigen, denn es würde Europa eine Linie von 900 Meilen zwischen seinen beiden Hauptstädten zum Angriffe bieten, es würde in seiner Ungeheuerlichkeit sich verlieren. Vom religiösen Standpunkte ergäbe sich die Gefahr zweier griechischer Kirchen, einer orthodoxen und einer russischen, das Kreuz von Se. Petersburg würde ein Nebenbuhler des Kreuzes der.Sophienkirche werden (so spricht wol Laguerronniöre und nicht der Zar). Glauben Sie mir, ich denke nicht an die Eroberung von Konstantinopel. Ich kenne zu sehr die drohenden und unvermeidlichen Folgen, welche sür Rußland daraus entständen. Aber wenn ich nicht in Konstantinopel herrschen will, so mag ich es doch beherrschen. Ich brauche in der Türkei eine Regierung, genug schwach, um mir nicht widerstehen, und stark genug', um sich gegen alle andern vertheidigen zu können, ausgenommen gegen mich. Ich muß in reli¬ giöser und politischer Hinsicht im Rathe des Sultans herrschen. Ich will der Suzerän und nicht der Souverän sein." Es ist nur ein Umstand, ein einziger, welcher für Rußland zu einer Nothwendigkeit machen würde, was heute eine Unmöglichkeit wäre. „Wenn die Zersetzung des ottomanischen Reiches, statt allmälig vor sich zu gehn, plötzlich einträte, dann wäre es Rußland beschieden, sich Konstantinopels zu bemächtigen. Die Welt würde, in Flammen stehn, doch vermöchte ich nichts dagegen. Ich werde diese Stunde des Schicksals nicht beschleunigen, wenn sie schlägt, wird Rußland mit Gottes Willen bereit sein." Die andern Porträts von Laguerronnisre gleichen den beiden ersten. So wie König Midas alles, was er berührte, zu Gold macht, so ist alles, was der Vicomte mit seiner Feder berührt, tugendhaft. Natürlich sind es die ge¬ krönten Häupter, und was ihnen nahe steht, am meisten. Was er über den Grafen Chambord sagt, läßt' sich dahin zusammenfassen, daß Heinrich V. ein großer und freisinniger Monarch wäre, wenn er zur Regierung käme, daß er aber sehr tugendhaft und als Patriot handle, indem er sich restgnirte; denn er sei kein Parteichef, sondern ein Princip. Bei Ge¬ legenheit sagt Laguerronnisre seinen ehemaligen politischen Glaubensgenossen, den Häuptern der legitimistischen Partei, einige Schönheiten. Prinz Joinville ist ein Held, ein großer Seemann, ein bedeutender Geist, ein bedeutender Politiker und ein bedeutender Charakter. Er theilt einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/468>, abgerufen am 22.12.2024.