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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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vor dem savoir Wre des Prinzprästdenten. Er mag in Frankreich thun wie
ihm beliebt, um seine Gewalt zu befestigen, ich stoße mich nicht daran, das
ist mir gleichgiltig, denn ich habe alles Zutrauen in seinen Muth und in seine
Geschicklichkeit." Die dynastische Frage hingegen sah der Zar mit andern
Augen an. "Ich erkläre freimüthig, daß in der Zukunft eine Schwierigkeit sich
herausstellen könnte, bezüglich der Erblichkeit der Gewalt und der Gründung
einer neuen Dynastie. Ich kann es nicht verhehlen, daß ich diese Eventua¬
lität als eine sehr große Angelegenheit betrachten würde/' Also alles für die
Person des Prinzen, ruft Herr Laguerrynniere aus und nichts für die Raye.
Der Zar behandelte Louis Napoleon als Freund, aber er fürchtete auch, ihn
als Bruder behandeln zu müssen.

Auch für die Mittheilung noch anderer Aeußerungen des Zaren sind wir
dem Verfasser zu Danke verpflichtet. So finden wir in dem Porträt des
Kaisers Nikolaus eine Unterredung, welche dieser im Jahr "I8i>8 mit einem
französischen Politiker hatte, der das volle Vertrauen des Zaren besaß. Die¬
selbe ist merkwürdig genug, und lautet, allerdings in laguerronniereschc Mund¬
art übersetzt, wie folgt.

"Nicht wahr," sagte der Kaiser, "man klagt mich an, daß ich Eroberungs¬
absichten aus Konstantinopel habe? Nun denn, man täuscht sich. Nichts wäre
den wirklichen Interessen mehr zuwider, als Rußlands Grenzen bis an die
Dardanellen zu rücken. Stellen Sie sich nun einmal vor, daß Konstantinopel
eine russische Stadt werde? Ein Ungeheuer mit zwei Köpfen, deren einer den
andern zerstören würde, denn die Wärme und das Leben würden, statt diesen
ausgedehnten Leib zu beleben, nach dem Kopfe dringen, welcher der Sonne
näher ist. Konstantinopel müßte die Hauptstadt eines neuen griechischen Kaiser¬
reichs werden. Se. Petersburg würde nicht mehr eristiren und das Werk
meines Ahnherrn Peter zerstört werden. Konstantinopel am mittelländischen
Meere würde eine Drohung und eine Nebenbuhlerin aller Staaten von Europa
werden. Es würde das Ziel sein, nach dem alle Anstrengungen der verbün¬
deten Mächte gehn müßten. Se. Petersburg, dieses unvergängliche Denkmal
der Gewalt und des Genies des Menschen, an den Ufern der Nepa hinter
Eisbergen versteckt, durch ein selbst den kühnsten Schissern unzugängliches
Meer beschützt, durch Kronstäbe beschirmt, Petersburg hat von keinem Angriffe
etwas zu fürchten." "Sie sehen also, daß dieses Vorhaben unmöglich ist. Ich
werbe nicht den Fehler begehen, das Leben meines Kaiserreichs zu entrücken
und es von Nußland, wo es voll Kraft und Saft ist, an den Bosporus zu
versetzen, wo es bald bedroht wäre. Das Geringste, was geschehen könnte,
wäre, daß das Kaiserreich sich in zwei Hälften trennen würde, in daS no'rd-
liche und in das südliche Rußland. Aber wo befände sich dann die Grenze
dieser beiden anstoßenden Staaten? Eine große Nation braucht ein Meer;


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vor dem savoir Wre des Prinzprästdenten. Er mag in Frankreich thun wie
ihm beliebt, um seine Gewalt zu befestigen, ich stoße mich nicht daran, das
ist mir gleichgiltig, denn ich habe alles Zutrauen in seinen Muth und in seine
Geschicklichkeit." Die dynastische Frage hingegen sah der Zar mit andern
Augen an. „Ich erkläre freimüthig, daß in der Zukunft eine Schwierigkeit sich
herausstellen könnte, bezüglich der Erblichkeit der Gewalt und der Gründung
einer neuen Dynastie. Ich kann es nicht verhehlen, daß ich diese Eventua¬
lität als eine sehr große Angelegenheit betrachten würde/' Also alles für die
Person des Prinzen, ruft Herr Laguerrynniere aus und nichts für die Raye.
Der Zar behandelte Louis Napoleon als Freund, aber er fürchtete auch, ihn
als Bruder behandeln zu müssen.

Auch für die Mittheilung noch anderer Aeußerungen des Zaren sind wir
dem Verfasser zu Danke verpflichtet. So finden wir in dem Porträt des
Kaisers Nikolaus eine Unterredung, welche dieser im Jahr "I8i>8 mit einem
französischen Politiker hatte, der das volle Vertrauen des Zaren besaß. Die¬
selbe ist merkwürdig genug, und lautet, allerdings in laguerronniereschc Mund¬
art übersetzt, wie folgt.

„Nicht wahr," sagte der Kaiser, „man klagt mich an, daß ich Eroberungs¬
absichten aus Konstantinopel habe? Nun denn, man täuscht sich. Nichts wäre
den wirklichen Interessen mehr zuwider, als Rußlands Grenzen bis an die
Dardanellen zu rücken. Stellen Sie sich nun einmal vor, daß Konstantinopel
eine russische Stadt werde? Ein Ungeheuer mit zwei Köpfen, deren einer den
andern zerstören würde, denn die Wärme und das Leben würden, statt diesen
ausgedehnten Leib zu beleben, nach dem Kopfe dringen, welcher der Sonne
näher ist. Konstantinopel müßte die Hauptstadt eines neuen griechischen Kaiser¬
reichs werden. Se. Petersburg würde nicht mehr eristiren und das Werk
meines Ahnherrn Peter zerstört werden. Konstantinopel am mittelländischen
Meere würde eine Drohung und eine Nebenbuhlerin aller Staaten von Europa
werden. Es würde das Ziel sein, nach dem alle Anstrengungen der verbün¬
deten Mächte gehn müßten. Se. Petersburg, dieses unvergängliche Denkmal
der Gewalt und des Genies des Menschen, an den Ufern der Nepa hinter
Eisbergen versteckt, durch ein selbst den kühnsten Schissern unzugängliches
Meer beschützt, durch Kronstäbe beschirmt, Petersburg hat von keinem Angriffe
etwas zu fürchten." „Sie sehen also, daß dieses Vorhaben unmöglich ist. Ich
werbe nicht den Fehler begehen, das Leben meines Kaiserreichs zu entrücken
und es von Nußland, wo es voll Kraft und Saft ist, an den Bosporus zu
versetzen, wo es bald bedroht wäre. Das Geringste, was geschehen könnte,
wäre, daß das Kaiserreich sich in zwei Hälften trennen würde, in daS no'rd-
liche und in das südliche Rußland. Aber wo befände sich dann die Grenze
dieser beiden anstoßenden Staaten? Eine große Nation braucht ein Meer;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/467>, abgerufen am 23.07.2024.