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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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durch systematische Forschungen und zusammenhängende Darstellung zu bereichern.
Die gute Arbeit, durch welche er jetzt erfreut hat, wird dann erst in ihrem
vollen Werthe gewürdigt werden.

Die Lieder des dreißigjährigen Krieges von Emil Weller, durch Wilhelm
Wackernagel mit einigen feinen Bemerkungen über den Verfall des Volks¬
liedes im Jahrhundert des dreißigjährigen Krieges eingeleitet, enthalten zunächst
eine sehr dankenswerthe Bibliographie dieser Lieder, dann getreuen Abdruck
von Liedern, poetischen Gesprächen und Satiren aus den Kriegs- und Partei¬
kämpfen der Jahre 1618 bis 1668. Außer einer sehr unkritischen Sammlung
von O. B. Wolff (1830), den guten Liedersammlungen von Soltau und
Körner und Scheibles Sammlung fliegender Blätter ist aus den Flugschriften
der schweren Kriegszeit noch nichts in ähnlicher Tendenz publicirt. Die
Sammlung gibt in 30 Stücken, von denen die meisten zum ersten Male im
Druck gesammelt sind, ein gutes Bild von dem Hassen und Lieben, der Bos¬
heit und Satire jener Zeit. Sie fängt mit dem triumphirenden Gedicht "Ger¬
mania" an, worin die Concordia und Victoria des edeln deutschen Blutes
mit Selbstgefühl gefeiert werden, (1618) und endigt kläglich mit dem "münsten-
schen Postillon, das ist wahrhaftige neue Zeitung von dem lang gewünschten
Frieden in Deutschland, zu singen im Tone: Wann mein Stündlein vor¬
handen ist," worin der Postillon dem zerschlagenen Volke verkündet, daß
die Potentaten endlich geruht haben, den heiß ersehnten Frieden zu schließen.
Bei weitem der größte Theil der mitgetheilten Volksdichtungen gehört dem
ersten Theil des Krieges an, wo der Muth noch größer, die Leidenschaften
gespannter, das Volk nicht blos ein leidendes Object des Kampfes war. Nach
dem Tode Gustav Adolphs versiegen die kleinen Bäche auch dieses Gesanges,
theils weil selbst der Haß die Kraft zum Spottlied verloren hatte, theils weil
die "fliegenden Blätter" der Zeitungen mit Prosamittheilungen, der einfachsten
Art, eine schreckliche Nachricht zu verbreiten, häufiger wurden. Der größte
Theil der Gedichte geht von der protestantischen Partei aus, der geistig am
meisten bewegten und redefertigen, doch soll auch hier nicht verschwiegen werden,
was schon Wackernagel bemerkt, daß die wenigen katholischen Lieder dem poe¬
tischen Gehalt nach die besten sind. Auch die äußere Ausstattung der Samm¬
lung ist sehr gut.

Die schwedischen Volkslieder, deren Uebersetzung unter dem Titel ange¬
zeigt wird, gehören aus mehrern Gründen hierher. Eine merkwürdig innige Ner-
bindung auch zwischen Deutschland und Schweden ist aus den Volksliedern
zu erkennen, viele Balladenstoffe in dieser, wie in den frühern Sammlungen
von Mohnike, finden sich im Deutschen wieder und nur selten wird sicher
auszumachen sein, welches der verwandten Völker dieselben von dem andern
entlehnt hat, zumal diese Verwandtschaft am meisten bei den ältesten


durch systematische Forschungen und zusammenhängende Darstellung zu bereichern.
Die gute Arbeit, durch welche er jetzt erfreut hat, wird dann erst in ihrem
vollen Werthe gewürdigt werden.

Die Lieder des dreißigjährigen Krieges von Emil Weller, durch Wilhelm
Wackernagel mit einigen feinen Bemerkungen über den Verfall des Volks¬
liedes im Jahrhundert des dreißigjährigen Krieges eingeleitet, enthalten zunächst
eine sehr dankenswerthe Bibliographie dieser Lieder, dann getreuen Abdruck
von Liedern, poetischen Gesprächen und Satiren aus den Kriegs- und Partei¬
kämpfen der Jahre 1618 bis 1668. Außer einer sehr unkritischen Sammlung
von O. B. Wolff (1830), den guten Liedersammlungen von Soltau und
Körner und Scheibles Sammlung fliegender Blätter ist aus den Flugschriften
der schweren Kriegszeit noch nichts in ähnlicher Tendenz publicirt. Die
Sammlung gibt in 30 Stücken, von denen die meisten zum ersten Male im
Druck gesammelt sind, ein gutes Bild von dem Hassen und Lieben, der Bos¬
heit und Satire jener Zeit. Sie fängt mit dem triumphirenden Gedicht „Ger¬
mania" an, worin die Concordia und Victoria des edeln deutschen Blutes
mit Selbstgefühl gefeiert werden, (1618) und endigt kläglich mit dem „münsten-
schen Postillon, das ist wahrhaftige neue Zeitung von dem lang gewünschten
Frieden in Deutschland, zu singen im Tone: Wann mein Stündlein vor¬
handen ist," worin der Postillon dem zerschlagenen Volke verkündet, daß
die Potentaten endlich geruht haben, den heiß ersehnten Frieden zu schließen.
Bei weitem der größte Theil der mitgetheilten Volksdichtungen gehört dem
ersten Theil des Krieges an, wo der Muth noch größer, die Leidenschaften
gespannter, das Volk nicht blos ein leidendes Object des Kampfes war. Nach
dem Tode Gustav Adolphs versiegen die kleinen Bäche auch dieses Gesanges,
theils weil selbst der Haß die Kraft zum Spottlied verloren hatte, theils weil
die „fliegenden Blätter" der Zeitungen mit Prosamittheilungen, der einfachsten
Art, eine schreckliche Nachricht zu verbreiten, häufiger wurden. Der größte
Theil der Gedichte geht von der protestantischen Partei aus, der geistig am
meisten bewegten und redefertigen, doch soll auch hier nicht verschwiegen werden,
was schon Wackernagel bemerkt, daß die wenigen katholischen Lieder dem poe¬
tischen Gehalt nach die besten sind. Auch die äußere Ausstattung der Samm¬
lung ist sehr gut.

Die schwedischen Volkslieder, deren Uebersetzung unter dem Titel ange¬
zeigt wird, gehören aus mehrern Gründen hierher. Eine merkwürdig innige Ner-
bindung auch zwischen Deutschland und Schweden ist aus den Volksliedern
zu erkennen, viele Balladenstoffe in dieser, wie in den frühern Sammlungen
von Mohnike, finden sich im Deutschen wieder und nur selten wird sicher
auszumachen sein, welches der verwandten Völker dieselben von dem andern
entlehnt hat, zumal diese Verwandtschaft am meisten bei den ältesten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/462>, abgerufen am 22.12.2024.