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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Lobsprüche gespart, um die Katholiken bei der Schlußabstimmung für ihre Sache
zu gewinnen. Wir haben das eben nicht erhebende Schauspiel gehabt, pro¬
testantische Abgeordnete in einem preußischen Parlament ihre eigne Confession
herabsetzen und die Vorschriften der katholischen Kirche im Punkte der Ehe
als etwas Wünschens- und Begehrenswerthes auch für ihre Glaubensgenossen
bezeichnen zu sehen, wir haben sogar hören müssen, wie die katholischen Ab¬
geordneten gebeten wurden, "uns die Segnungen ihres EherechteS wenigstens
theilweise zuzuwenden" (Abg. v. Berg). Andrerseits hat sich der protestantische
Sinn des Landes nicht blos in der Wortführung der Linken, unter denen Graf
Schwerin, Wentzel, Lette, Behrendt u. anderen, mit nachdrücklichster Energie den
bürgerlichen Charakter der Ehe vertheidigten und die kirchlichen Tendenzen be¬
kämpften, sondern auch in Mitgliedern der entschiedenen Rechten -- wir nennen nur
die Herren v. Prittwitz und Ulrici -- gegen diese befremdenden Kundgebungen
aufgelehnt. Die beiden genannten Abgeordneten hielten in strengen Worten
Herrn v. Gerlach und seinem Nacheiferer deren katholisirende Richtung vor
und ernteten von der Linken sowol als aus den Reihen der Rechten reich¬
lichen Beifall. Man darf sich vielleicht der Hoffnung hingeben, daß der Ein¬
fluß der Herren v. Gerlach und Wagener auf die rechte Seite, den wir stets
als den Interessen des Landes nicht minder, wie denen jener Partei selbst
schädlich betrachtet haben, durch die Debatten der letzten Tage nachhaltig er¬
schüttert ist. Manchem sind wol die Augen darüber ausgegangen, wohin er
unter Leitung dieser Führer endlich kommen würde.

Was den Gang der Einzelberathungen betrifft, so ist der NegierungS-
entwurf nur sehr wenigen und eben nicht durchgreifenden Veränderungen unter¬
worfen worden. Die Anträge der Gegner wurden in den meisten Fällen mit
Hilfe der Katholiken zurückgewiesen und die Amendements der Herren v. Ger¬
lach und Wagener, die natürlich den Entwurf noch zu verschärfen strebten,
fanden wol bei den Katholiken, nicht aber bei dem Ministerium und den dem¬
selben folgenden Abgeordneten Unterstützung. Indessen waren einige Wider¬
sprüche in das Gesetz gekommen, von denen einer sogar seine praktische Durch¬
führbarkeit in Frage stellt.

Im Namen der katholischen Mitglieder stellte der Abgeordnete Robben den
Antrag, daS vorliegende Gesetz auf die evangelische Bevölkerung zu beschränken,
sür die katholische aber geistliche Ehegerichte einzuführen. Dies war die Be¬
dingung, unter welcher sich die Katholiken dazu bereit erklärte", dem Regierungs- ,
entwurf ihre Stimmen zu geben. Sie war jedoch für das Ministerium unan¬
nehmbar. Geistliche Ehegerichte für die Katholiken sind eine mit der Gesetz¬
gebung und dem politischen System Preußens so unverträgliche Anomalie, daß
höchstens Herr v. Gerlach und seine Partisane ernstlich daran denken konnten,
sie zu bewilligen; und was die Beschränkung des Ehescheidungsgesetzes auf die


Grenzboten. I. 18Ü7. SS

Lobsprüche gespart, um die Katholiken bei der Schlußabstimmung für ihre Sache
zu gewinnen. Wir haben das eben nicht erhebende Schauspiel gehabt, pro¬
testantische Abgeordnete in einem preußischen Parlament ihre eigne Confession
herabsetzen und die Vorschriften der katholischen Kirche im Punkte der Ehe
als etwas Wünschens- und Begehrenswerthes auch für ihre Glaubensgenossen
bezeichnen zu sehen, wir haben sogar hören müssen, wie die katholischen Ab¬
geordneten gebeten wurden, „uns die Segnungen ihres EherechteS wenigstens
theilweise zuzuwenden" (Abg. v. Berg). Andrerseits hat sich der protestantische
Sinn des Landes nicht blos in der Wortführung der Linken, unter denen Graf
Schwerin, Wentzel, Lette, Behrendt u. anderen, mit nachdrücklichster Energie den
bürgerlichen Charakter der Ehe vertheidigten und die kirchlichen Tendenzen be¬
kämpften, sondern auch in Mitgliedern der entschiedenen Rechten — wir nennen nur
die Herren v. Prittwitz und Ulrici — gegen diese befremdenden Kundgebungen
aufgelehnt. Die beiden genannten Abgeordneten hielten in strengen Worten
Herrn v. Gerlach und seinem Nacheiferer deren katholisirende Richtung vor
und ernteten von der Linken sowol als aus den Reihen der Rechten reich¬
lichen Beifall. Man darf sich vielleicht der Hoffnung hingeben, daß der Ein¬
fluß der Herren v. Gerlach und Wagener auf die rechte Seite, den wir stets
als den Interessen des Landes nicht minder, wie denen jener Partei selbst
schädlich betrachtet haben, durch die Debatten der letzten Tage nachhaltig er¬
schüttert ist. Manchem sind wol die Augen darüber ausgegangen, wohin er
unter Leitung dieser Führer endlich kommen würde.

Was den Gang der Einzelberathungen betrifft, so ist der NegierungS-
entwurf nur sehr wenigen und eben nicht durchgreifenden Veränderungen unter¬
worfen worden. Die Anträge der Gegner wurden in den meisten Fällen mit
Hilfe der Katholiken zurückgewiesen und die Amendements der Herren v. Ger¬
lach und Wagener, die natürlich den Entwurf noch zu verschärfen strebten,
fanden wol bei den Katholiken, nicht aber bei dem Ministerium und den dem¬
selben folgenden Abgeordneten Unterstützung. Indessen waren einige Wider¬
sprüche in das Gesetz gekommen, von denen einer sogar seine praktische Durch¬
führbarkeit in Frage stellt.

Im Namen der katholischen Mitglieder stellte der Abgeordnete Robben den
Antrag, daS vorliegende Gesetz auf die evangelische Bevölkerung zu beschränken,
sür die katholische aber geistliche Ehegerichte einzuführen. Dies war die Be¬
dingung, unter welcher sich die Katholiken dazu bereit erklärte», dem Regierungs- ,
entwurf ihre Stimmen zu geben. Sie war jedoch für das Ministerium unan¬
nehmbar. Geistliche Ehegerichte für die Katholiken sind eine mit der Gesetz¬
gebung und dem politischen System Preußens so unverträgliche Anomalie, daß
höchstens Herr v. Gerlach und seine Partisane ernstlich daran denken konnten,
sie zu bewilligen; und was die Beschränkung des Ehescheidungsgesetzes auf die


Grenzboten. I. 18Ü7. SS
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[0441] Lobsprüche gespart, um die Katholiken bei der Schlußabstimmung für ihre Sache zu gewinnen. Wir haben das eben nicht erhebende Schauspiel gehabt, pro¬ testantische Abgeordnete in einem preußischen Parlament ihre eigne Confession herabsetzen und die Vorschriften der katholischen Kirche im Punkte der Ehe als etwas Wünschens- und Begehrenswerthes auch für ihre Glaubensgenossen bezeichnen zu sehen, wir haben sogar hören müssen, wie die katholischen Ab¬ geordneten gebeten wurden, „uns die Segnungen ihres EherechteS wenigstens theilweise zuzuwenden" (Abg. v. Berg). Andrerseits hat sich der protestantische Sinn des Landes nicht blos in der Wortführung der Linken, unter denen Graf Schwerin, Wentzel, Lette, Behrendt u. anderen, mit nachdrücklichster Energie den bürgerlichen Charakter der Ehe vertheidigten und die kirchlichen Tendenzen be¬ kämpften, sondern auch in Mitgliedern der entschiedenen Rechten — wir nennen nur die Herren v. Prittwitz und Ulrici — gegen diese befremdenden Kundgebungen aufgelehnt. Die beiden genannten Abgeordneten hielten in strengen Worten Herrn v. Gerlach und seinem Nacheiferer deren katholisirende Richtung vor und ernteten von der Linken sowol als aus den Reihen der Rechten reich¬ lichen Beifall. Man darf sich vielleicht der Hoffnung hingeben, daß der Ein¬ fluß der Herren v. Gerlach und Wagener auf die rechte Seite, den wir stets als den Interessen des Landes nicht minder, wie denen jener Partei selbst schädlich betrachtet haben, durch die Debatten der letzten Tage nachhaltig er¬ schüttert ist. Manchem sind wol die Augen darüber ausgegangen, wohin er unter Leitung dieser Führer endlich kommen würde. Was den Gang der Einzelberathungen betrifft, so ist der NegierungS- entwurf nur sehr wenigen und eben nicht durchgreifenden Veränderungen unter¬ worfen worden. Die Anträge der Gegner wurden in den meisten Fällen mit Hilfe der Katholiken zurückgewiesen und die Amendements der Herren v. Ger¬ lach und Wagener, die natürlich den Entwurf noch zu verschärfen strebten, fanden wol bei den Katholiken, nicht aber bei dem Ministerium und den dem¬ selben folgenden Abgeordneten Unterstützung. Indessen waren einige Wider¬ sprüche in das Gesetz gekommen, von denen einer sogar seine praktische Durch¬ führbarkeit in Frage stellt. Im Namen der katholischen Mitglieder stellte der Abgeordnete Robben den Antrag, daS vorliegende Gesetz auf die evangelische Bevölkerung zu beschränken, sür die katholische aber geistliche Ehegerichte einzuführen. Dies war die Be¬ dingung, unter welcher sich die Katholiken dazu bereit erklärte», dem Regierungs- , entwurf ihre Stimmen zu geben. Sie war jedoch für das Ministerium unan¬ nehmbar. Geistliche Ehegerichte für die Katholiken sind eine mit der Gesetz¬ gebung und dem politischen System Preußens so unverträgliche Anomalie, daß höchstens Herr v. Gerlach und seine Partisane ernstlich daran denken konnten, sie zu bewilligen; und was die Beschränkung des Ehescheidungsgesetzes auf die Grenzboten. I. 18Ü7. SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/441>, abgerufen am 23.07.2024.