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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Broschüre "vexU Ultimi vahl all Koma^na," welche sie enthielt, erhielten den
Beifall aller italienischen Patrioten. Bald folgte das politische Programm
einer neuen Schule, welche nach der Nationalität ihrer Gründer die pie-
montesische sich nannte. Gioberti in seiner Abhandlung vel ?riwato und
Balbo in seiner "8p<zrsn?a ä'Italig" stellten dieses Programm auf. Ranalli
resumirt dasselbe in folgender Weise: "Die italienischen Staaten sind nicht reif
für, die Republik. Selbst die constitutionelle Regierungsform ist zu hoch für
sie und ihnen nicht nothwendig. Was für sie paßt, ist eine Föderation ge¬
mäßigter Monarchien, die übereinstimmend mit den Wünschen der Nation
regieren, Wünsche, die gleichzeitig durch berathende-Versammlungen, gebildet
aus den geachtetsten Leuten der verschiedenen Länder, und durch eine freie
Presse unter der Controle einer wohlwollenden Censur ".!) ausgedrückt werden.
Was für sie paßt, ist, daß diese Conföderation der Fürsten, von der nur ver¬
langt wird, daß sie wohl gesinnt sei und Vertrauen erwecke, sich unter dem
Vorsitz des Papstes constituire und Italien wird bald den bürgerlichen und
moralischen Vorrang wieder erlangen, welchen ihm sowol die Natur als die
Vorsehung verliehen haben." Was Oestreich betrifft, so trägt Gioberti kein
Bedenken, dasselbe in die italienische Föderation aufzunehmen, gleichwie Oestreich
zu Frankfurt in die deutsche Föderation aufgenommen wurde.

Dieses' Programm blieb kein todter Buchstabe. Oestreich freilich war mit
demselben sehr unzufrieden, denn es erkannte, daß durch solche Grundsätze für
die von ihm angestrebte Aufrechterhaltung des Status quo bei weitem größere
Gefahren entstanden, als durch die revolutionären Complote der Mazzinisten
herbeigeführt werden konnten. Aber die übrigen Regierungen Italiens wurden
von den neuen Ideen ergrissen. Im Juli 1846 eröffnete Pius IX. durch seine
Amnestie die Aera der Reformen und alle Regierungen von Palermo bis Turin
folgten seinem Beispiel.

Diese hoffnungsreiche Epoche endigte durch die Revolution, welche den
Papst zur Flucht nach Gaeta zwang, und nach der Niederwerfung der Revo¬
lution ist fast überall in Italien die einfache Restauration der alten Mißbräuche
eingetreten. Aber die Reformbewegung ist nicht ganz nutzlos gewesen; zwei
Dinge sind von derselben übrig geblieben: die Tribune in Turin und der
Abscheu Europas vor den Umtrieben einer Reaction, welche mit Verleugnung
der Ideen von 1846 Italien zu einem verhaßten Absolutismus zurückführen
will. Geblieben ist auch die piemontestsche Schule, deren bedeutendstes Organ
gegenwärtig Ranalli, der Verfasser der italienischen Geschichte von 1846
bis 1833 ist. Seine Ueberzeugung ist durch die traurigen Ereignisse, die seit
1848 eingetreten sind, nicht erschüttert worden und er schließt sein Werk mit
folgenden gewichtigen Worten: "Die Verachtung der gegebenen und beschwo-
renen Verfassungen befestigt nicht die wiederhergestellten Regierungen, sondern


Broschüre „vexU Ultimi vahl all Koma^na," welche sie enthielt, erhielten den
Beifall aller italienischen Patrioten. Bald folgte das politische Programm
einer neuen Schule, welche nach der Nationalität ihrer Gründer die pie-
montesische sich nannte. Gioberti in seiner Abhandlung vel ?riwato und
Balbo in seiner „8p<zrsn?a ä'Italig" stellten dieses Programm auf. Ranalli
resumirt dasselbe in folgender Weise: „Die italienischen Staaten sind nicht reif
für, die Republik. Selbst die constitutionelle Regierungsform ist zu hoch für
sie und ihnen nicht nothwendig. Was für sie paßt, ist eine Föderation ge¬
mäßigter Monarchien, die übereinstimmend mit den Wünschen der Nation
regieren, Wünsche, die gleichzeitig durch berathende-Versammlungen, gebildet
aus den geachtetsten Leuten der verschiedenen Länder, und durch eine freie
Presse unter der Controle einer wohlwollenden Censur «.!) ausgedrückt werden.
Was für sie paßt, ist, daß diese Conföderation der Fürsten, von der nur ver¬
langt wird, daß sie wohl gesinnt sei und Vertrauen erwecke, sich unter dem
Vorsitz des Papstes constituire und Italien wird bald den bürgerlichen und
moralischen Vorrang wieder erlangen, welchen ihm sowol die Natur als die
Vorsehung verliehen haben." Was Oestreich betrifft, so trägt Gioberti kein
Bedenken, dasselbe in die italienische Föderation aufzunehmen, gleichwie Oestreich
zu Frankfurt in die deutsche Föderation aufgenommen wurde.

Dieses' Programm blieb kein todter Buchstabe. Oestreich freilich war mit
demselben sehr unzufrieden, denn es erkannte, daß durch solche Grundsätze für
die von ihm angestrebte Aufrechterhaltung des Status quo bei weitem größere
Gefahren entstanden, als durch die revolutionären Complote der Mazzinisten
herbeigeführt werden konnten. Aber die übrigen Regierungen Italiens wurden
von den neuen Ideen ergrissen. Im Juli 1846 eröffnete Pius IX. durch seine
Amnestie die Aera der Reformen und alle Regierungen von Palermo bis Turin
folgten seinem Beispiel.

Diese hoffnungsreiche Epoche endigte durch die Revolution, welche den
Papst zur Flucht nach Gaeta zwang, und nach der Niederwerfung der Revo¬
lution ist fast überall in Italien die einfache Restauration der alten Mißbräuche
eingetreten. Aber die Reformbewegung ist nicht ganz nutzlos gewesen; zwei
Dinge sind von derselben übrig geblieben: die Tribune in Turin und der
Abscheu Europas vor den Umtrieben einer Reaction, welche mit Verleugnung
der Ideen von 1846 Italien zu einem verhaßten Absolutismus zurückführen
will. Geblieben ist auch die piemontestsche Schule, deren bedeutendstes Organ
gegenwärtig Ranalli, der Verfasser der italienischen Geschichte von 1846
bis 1833 ist. Seine Ueberzeugung ist durch die traurigen Ereignisse, die seit
1848 eingetreten sind, nicht erschüttert worden und er schließt sein Werk mit
folgenden gewichtigen Worten: „Die Verachtung der gegebenen und beschwo-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/421>, abgerufen am 23.07.2024.