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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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1848 ließ die Reformen scheitern, welche zu der Zeit die Völker begonnen
hatten. Welche Nothwendigkeit lag für Italien vor, um im Jahr 1848 die
trefflichen Reformen zu unterbrechen, welche zwei Jahre zuvor Pius IX. an¬
gefangen hatte und nach dem Vorbilde Frankreichs in die Ausschweifungen
einer socialen Revolution sich zustürzen? Gioberti bezeichnet diese Verleugnung
des nationalpolitischen Geistes als eine Ursache der tramigen Lage seines
Landes und sagt: "In dem Maße, als der eigenthümliche italienische Geist
verschwand, trat eine unheilvolle Gelehrigkeit ein, blindlings die Fremden zum
Muster zu nehmen. Das grade hat die Ketten unserer Knechtschaft geschmiedet
und verewigt, denn nichts ist schwieriger, als ein Volk zu heben, das eben
die Triebfeder seines nationalen Lebens verloren hat."

Ein anderer Fehler, der hiermit zusammenhangt und den Ranalli hervor¬
hebt, ist eine eigenthümliche Schlaffheit der Italiener. Als im Jahr 1848
Karl Albert an der Spitze einer piemontesischen Armee den Tesstno überschritt,
um die Lombardei von der östreichischen Fremdherrschaft zu befreien, erwartete '
mein allgemein, daß ganz Italien in Masse sich ihm anschließen, daß jeder
italienische Staat eine Armee ihm stellen würde. Nichts von alledem geschah.
Den Italienern fehlt nicht der persönliche Muth, aber sie sind unfähig, Heere
zu organisiren und unter dem Befehl eines Chefs zu kämpfen. Schon Mac-
chiavelli sagt im "Fürsten": "Sehet, wie in Zweikämpfen und in Gefechten
gegen eine kleine Anzahl von Angreifern die Italiener in Kraft, Geschicklichkeit
und Einsicht überlegen sind; aber wenn sie als Armee vereinigt kämpfen
sollen, ist alle ihre Tapferkeit verschwunden."

Nachdem Gioberti und Ranalli das Elend ihres Landes und die Ur¬
sachen desselben geschildert, geben sie die Mittel an, um dasselbe zu heilen.
Die unsinnigen Aufstände der Mazzinisten hatten das Land in immer größeres
Unheil gestürzt, und den Regierungen war der Vorwand zu einer härteren
Reaction gegeben. Drei Publicisten Gioberti, Balbo und d'Azeglio, sämmtlich
aus Piemont gebürtig, machten das dem Volke klar und schlugen ehrenvollere
und zuverlässigere Mittel vor, das Vaterland zu befreien und zu regeneriren.
D'Azeglio sagte nach dem Aufstand von Rimini: "Gegen die Ungerechtigkeit
offen und öffentlich auf alle Weise und bei jeder möglichen Gelegenheit prote-
stiren, das ist für jetzt die einzig nützliche und einzig wirksame Art zu verfahren.
Keine bewaffneten Proteste mehr wie in Rimini! Um so zu Protestiren, müßten
wir 200,000 Mann und 200 Kanonen haben; aber mit einigen wenigen Ba¬
jonetten erregen wir nur das Gelächter Europas! Die Stärke unserer Proteste
muß darin liegen, daß wir streng jeder Gewaltsamkeit uns enthalten. Wenn
in einer Nation jedermann die Gerechtigkeit einer Sache anerkennt und sie will,
so ist diese Sache gemacht. Die Regeneration Italiens ist ein Werk, daS wir
mit den Händen in der Tasche ausführen können. Diese Worte und die


1848 ließ die Reformen scheitern, welche zu der Zeit die Völker begonnen
hatten. Welche Nothwendigkeit lag für Italien vor, um im Jahr 1848 die
trefflichen Reformen zu unterbrechen, welche zwei Jahre zuvor Pius IX. an¬
gefangen hatte und nach dem Vorbilde Frankreichs in die Ausschweifungen
einer socialen Revolution sich zustürzen? Gioberti bezeichnet diese Verleugnung
des nationalpolitischen Geistes als eine Ursache der tramigen Lage seines
Landes und sagt: „In dem Maße, als der eigenthümliche italienische Geist
verschwand, trat eine unheilvolle Gelehrigkeit ein, blindlings die Fremden zum
Muster zu nehmen. Das grade hat die Ketten unserer Knechtschaft geschmiedet
und verewigt, denn nichts ist schwieriger, als ein Volk zu heben, das eben
die Triebfeder seines nationalen Lebens verloren hat."

Ein anderer Fehler, der hiermit zusammenhangt und den Ranalli hervor¬
hebt, ist eine eigenthümliche Schlaffheit der Italiener. Als im Jahr 1848
Karl Albert an der Spitze einer piemontesischen Armee den Tesstno überschritt,
um die Lombardei von der östreichischen Fremdherrschaft zu befreien, erwartete '
mein allgemein, daß ganz Italien in Masse sich ihm anschließen, daß jeder
italienische Staat eine Armee ihm stellen würde. Nichts von alledem geschah.
Den Italienern fehlt nicht der persönliche Muth, aber sie sind unfähig, Heere
zu organisiren und unter dem Befehl eines Chefs zu kämpfen. Schon Mac-
chiavelli sagt im „Fürsten": „Sehet, wie in Zweikämpfen und in Gefechten
gegen eine kleine Anzahl von Angreifern die Italiener in Kraft, Geschicklichkeit
und Einsicht überlegen sind; aber wenn sie als Armee vereinigt kämpfen
sollen, ist alle ihre Tapferkeit verschwunden."

Nachdem Gioberti und Ranalli das Elend ihres Landes und die Ur¬
sachen desselben geschildert, geben sie die Mittel an, um dasselbe zu heilen.
Die unsinnigen Aufstände der Mazzinisten hatten das Land in immer größeres
Unheil gestürzt, und den Regierungen war der Vorwand zu einer härteren
Reaction gegeben. Drei Publicisten Gioberti, Balbo und d'Azeglio, sämmtlich
aus Piemont gebürtig, machten das dem Volke klar und schlugen ehrenvollere
und zuverlässigere Mittel vor, das Vaterland zu befreien und zu regeneriren.
D'Azeglio sagte nach dem Aufstand von Rimini: „Gegen die Ungerechtigkeit
offen und öffentlich auf alle Weise und bei jeder möglichen Gelegenheit prote-
stiren, das ist für jetzt die einzig nützliche und einzig wirksame Art zu verfahren.
Keine bewaffneten Proteste mehr wie in Rimini! Um so zu Protestiren, müßten
wir 200,000 Mann und 200 Kanonen haben; aber mit einigen wenigen Ba¬
jonetten erregen wir nur das Gelächter Europas! Die Stärke unserer Proteste
muß darin liegen, daß wir streng jeder Gewaltsamkeit uns enthalten. Wenn
in einer Nation jedermann die Gerechtigkeit einer Sache anerkennt und sie will,
so ist diese Sache gemacht. Die Regeneration Italiens ist ein Werk, daS wir
mit den Händen in der Tasche ausführen können. Diese Worte und die


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[0420] 1848 ließ die Reformen scheitern, welche zu der Zeit die Völker begonnen hatten. Welche Nothwendigkeit lag für Italien vor, um im Jahr 1848 die trefflichen Reformen zu unterbrechen, welche zwei Jahre zuvor Pius IX. an¬ gefangen hatte und nach dem Vorbilde Frankreichs in die Ausschweifungen einer socialen Revolution sich zustürzen? Gioberti bezeichnet diese Verleugnung des nationalpolitischen Geistes als eine Ursache der tramigen Lage seines Landes und sagt: „In dem Maße, als der eigenthümliche italienische Geist verschwand, trat eine unheilvolle Gelehrigkeit ein, blindlings die Fremden zum Muster zu nehmen. Das grade hat die Ketten unserer Knechtschaft geschmiedet und verewigt, denn nichts ist schwieriger, als ein Volk zu heben, das eben die Triebfeder seines nationalen Lebens verloren hat." Ein anderer Fehler, der hiermit zusammenhangt und den Ranalli hervor¬ hebt, ist eine eigenthümliche Schlaffheit der Italiener. Als im Jahr 1848 Karl Albert an der Spitze einer piemontesischen Armee den Tesstno überschritt, um die Lombardei von der östreichischen Fremdherrschaft zu befreien, erwartete ' mein allgemein, daß ganz Italien in Masse sich ihm anschließen, daß jeder italienische Staat eine Armee ihm stellen würde. Nichts von alledem geschah. Den Italienern fehlt nicht der persönliche Muth, aber sie sind unfähig, Heere zu organisiren und unter dem Befehl eines Chefs zu kämpfen. Schon Mac- chiavelli sagt im „Fürsten": „Sehet, wie in Zweikämpfen und in Gefechten gegen eine kleine Anzahl von Angreifern die Italiener in Kraft, Geschicklichkeit und Einsicht überlegen sind; aber wenn sie als Armee vereinigt kämpfen sollen, ist alle ihre Tapferkeit verschwunden." Nachdem Gioberti und Ranalli das Elend ihres Landes und die Ur¬ sachen desselben geschildert, geben sie die Mittel an, um dasselbe zu heilen. Die unsinnigen Aufstände der Mazzinisten hatten das Land in immer größeres Unheil gestürzt, und den Regierungen war der Vorwand zu einer härteren Reaction gegeben. Drei Publicisten Gioberti, Balbo und d'Azeglio, sämmtlich aus Piemont gebürtig, machten das dem Volke klar und schlugen ehrenvollere und zuverlässigere Mittel vor, das Vaterland zu befreien und zu regeneriren. D'Azeglio sagte nach dem Aufstand von Rimini: „Gegen die Ungerechtigkeit offen und öffentlich auf alle Weise und bei jeder möglichen Gelegenheit prote- stiren, das ist für jetzt die einzig nützliche und einzig wirksame Art zu verfahren. Keine bewaffneten Proteste mehr wie in Rimini! Um so zu Protestiren, müßten wir 200,000 Mann und 200 Kanonen haben; aber mit einigen wenigen Ba¬ jonetten erregen wir nur das Gelächter Europas! Die Stärke unserer Proteste muß darin liegen, daß wir streng jeder Gewaltsamkeit uns enthalten. Wenn in einer Nation jedermann die Gerechtigkeit einer Sache anerkennt und sie will, so ist diese Sache gemacht. Die Regeneration Italiens ist ein Werk, daS wir mit den Händen in der Tasche ausführen können. Diese Worte und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/420>, abgerufen am 23.07.2024.