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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Aber derselbe Haß, welcher die Liberalen gegen die Absolutisten erfüllt,
herrscht auch unter den verschiedenen Fractionen der liberalen Partei. Man
sollte glauben, die Hauptsache für die liberale Partei wäre die Befreiung
Italiens von der Fremdherrschaft; alsdann erst käme die Regierungsform
Italiens zur Sprache, ob das Land durch einen König oder mehre regiert
werde, ob es eine Republik oder mehre Republiken bilde. Das ist jedoch
keineswegs der Fall. Die Hauptfrage für die Liberalen ist, ob Italien uni-
tarisch oder föderalistisch sein soll.

Die Unitarier wollen, daß ganz Italien von Susa bis Reggio mit Auf¬
hebung aller Stammesunterschiede eine einzige Republik bilde, die von einem
in Rom sitzenden Convente regiert wird. Der Papst, der nur noch durch die
katholischen Vorurtheile einiger Nationen, insbesondere Frankreichs und Oestreichs,
eristire, müsse aufhören zu regieren. Möge ihm Frankreich eine Residenz in Avig-
non oder Oestreich ihm einen Sitz in Prag oder Insbruck anweisen oder möge
der Papst, wenn Frankreich und Oestreich sich in dieser Beziehung nicht ver¬
ständigen können, als Nachfolger Jesu Christi seinen Sitz in Jerusalem aufschla¬
gen. Das sind die Lehren des jungen Italiens und Mazzinis, welchen Gio-'
berti und Ranalli als die Geißel Italiens bezeichnen.

Die Föderalisten wollen zwar auch die Einheit Italiens, aber sie ver¬
langen zugleich die unabhängige Eristenz jedes Staates und jeder Stadt.
Dieser engherzige municipale Geist, der seit fünf Jahrhunderten die Bildung
einer nationalen Einheit vereitelt hat, wird von Gioberti und Raüalli scharf
getadelt. Letzterer erinnert an die Ereignisse des JahreS 184-8. Als damals
infolge der Bewegung in Mailand eine Revolution in den Herzogthümern
Parma und Modena ausbrach, weigerte sich Reggio, die provisorische Regie¬
rung von Modena, Piacenza die provisorische Regierung von Parma anzuer¬
kennen. Länger als einen Monat mußte unterhandelt werden, um es dahin
zu bringen, daß diese Städte nicht etwa sich vereinigten, sondern nur in Ein¬
verständnis; handelten. Als der König Karl Albert von Sardinien an die
Spitze der italienischen Erhebung sich gestellt hatte, als er auszog, UM die
Lombardei von der östreichischen Fremdherrschaft zu befreien, als Europa er¬
wartete, alle waffenfähigen Italiener würden unter seiner Fahne sich versammeln:
berieth man in Mailand, Florenz und Rom darüber, ob das unabhängige
Italien einen oder mehre Staaten bilden, ob seine Regierung monarchisch
oder republikanisch sein, ob Turin oder Mailand die Hauptstadt werden solle,
ob das lombardisch-venetianische Königreich, daS erst erobert werden mußte,
einen oder vier Staaten bilden sollte; ja man verhandelte sogar darüber, ob
Piemont selbst, zum Lohn sür seine Tapferkeit, zerstückelt und aus seinem
Gebiet die alte Republik Genua wieder hergestellt werden sollte. Heiße Thränen


Aber derselbe Haß, welcher die Liberalen gegen die Absolutisten erfüllt,
herrscht auch unter den verschiedenen Fractionen der liberalen Partei. Man
sollte glauben, die Hauptsache für die liberale Partei wäre die Befreiung
Italiens von der Fremdherrschaft; alsdann erst käme die Regierungsform
Italiens zur Sprache, ob das Land durch einen König oder mehre regiert
werde, ob es eine Republik oder mehre Republiken bilde. Das ist jedoch
keineswegs der Fall. Die Hauptfrage für die Liberalen ist, ob Italien uni-
tarisch oder föderalistisch sein soll.

Die Unitarier wollen, daß ganz Italien von Susa bis Reggio mit Auf¬
hebung aller Stammesunterschiede eine einzige Republik bilde, die von einem
in Rom sitzenden Convente regiert wird. Der Papst, der nur noch durch die
katholischen Vorurtheile einiger Nationen, insbesondere Frankreichs und Oestreichs,
eristire, müsse aufhören zu regieren. Möge ihm Frankreich eine Residenz in Avig-
non oder Oestreich ihm einen Sitz in Prag oder Insbruck anweisen oder möge
der Papst, wenn Frankreich und Oestreich sich in dieser Beziehung nicht ver¬
ständigen können, als Nachfolger Jesu Christi seinen Sitz in Jerusalem aufschla¬
gen. Das sind die Lehren des jungen Italiens und Mazzinis, welchen Gio-'
berti und Ranalli als die Geißel Italiens bezeichnen.

Die Föderalisten wollen zwar auch die Einheit Italiens, aber sie ver¬
langen zugleich die unabhängige Eristenz jedes Staates und jeder Stadt.
Dieser engherzige municipale Geist, der seit fünf Jahrhunderten die Bildung
einer nationalen Einheit vereitelt hat, wird von Gioberti und Raüalli scharf
getadelt. Letzterer erinnert an die Ereignisse des JahreS 184-8. Als damals
infolge der Bewegung in Mailand eine Revolution in den Herzogthümern
Parma und Modena ausbrach, weigerte sich Reggio, die provisorische Regie¬
rung von Modena, Piacenza die provisorische Regierung von Parma anzuer¬
kennen. Länger als einen Monat mußte unterhandelt werden, um es dahin
zu bringen, daß diese Städte nicht etwa sich vereinigten, sondern nur in Ein¬
verständnis; handelten. Als der König Karl Albert von Sardinien an die
Spitze der italienischen Erhebung sich gestellt hatte, als er auszog, UM die
Lombardei von der östreichischen Fremdherrschaft zu befreien, als Europa er¬
wartete, alle waffenfähigen Italiener würden unter seiner Fahne sich versammeln:
berieth man in Mailand, Florenz und Rom darüber, ob das unabhängige
Italien einen oder mehre Staaten bilden, ob seine Regierung monarchisch
oder republikanisch sein, ob Turin oder Mailand die Hauptstadt werden solle,
ob das lombardisch-venetianische Königreich, daS erst erobert werden mußte,
einen oder vier Staaten bilden sollte; ja man verhandelte sogar darüber, ob
Piemont selbst, zum Lohn sür seine Tapferkeit, zerstückelt und aus seinem
Gebiet die alte Republik Genua wieder hergestellt werden sollte. Heiße Thränen


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[0418] Aber derselbe Haß, welcher die Liberalen gegen die Absolutisten erfüllt, herrscht auch unter den verschiedenen Fractionen der liberalen Partei. Man sollte glauben, die Hauptsache für die liberale Partei wäre die Befreiung Italiens von der Fremdherrschaft; alsdann erst käme die Regierungsform Italiens zur Sprache, ob das Land durch einen König oder mehre regiert werde, ob es eine Republik oder mehre Republiken bilde. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Die Hauptfrage für die Liberalen ist, ob Italien uni- tarisch oder föderalistisch sein soll. Die Unitarier wollen, daß ganz Italien von Susa bis Reggio mit Auf¬ hebung aller Stammesunterschiede eine einzige Republik bilde, die von einem in Rom sitzenden Convente regiert wird. Der Papst, der nur noch durch die katholischen Vorurtheile einiger Nationen, insbesondere Frankreichs und Oestreichs, eristire, müsse aufhören zu regieren. Möge ihm Frankreich eine Residenz in Avig- non oder Oestreich ihm einen Sitz in Prag oder Insbruck anweisen oder möge der Papst, wenn Frankreich und Oestreich sich in dieser Beziehung nicht ver¬ ständigen können, als Nachfolger Jesu Christi seinen Sitz in Jerusalem aufschla¬ gen. Das sind die Lehren des jungen Italiens und Mazzinis, welchen Gio-' berti und Ranalli als die Geißel Italiens bezeichnen. Die Föderalisten wollen zwar auch die Einheit Italiens, aber sie ver¬ langen zugleich die unabhängige Eristenz jedes Staates und jeder Stadt. Dieser engherzige municipale Geist, der seit fünf Jahrhunderten die Bildung einer nationalen Einheit vereitelt hat, wird von Gioberti und Raüalli scharf getadelt. Letzterer erinnert an die Ereignisse des JahreS 184-8. Als damals infolge der Bewegung in Mailand eine Revolution in den Herzogthümern Parma und Modena ausbrach, weigerte sich Reggio, die provisorische Regie¬ rung von Modena, Piacenza die provisorische Regierung von Parma anzuer¬ kennen. Länger als einen Monat mußte unterhandelt werden, um es dahin zu bringen, daß diese Städte nicht etwa sich vereinigten, sondern nur in Ein¬ verständnis; handelten. Als der König Karl Albert von Sardinien an die Spitze der italienischen Erhebung sich gestellt hatte, als er auszog, UM die Lombardei von der östreichischen Fremdherrschaft zu befreien, als Europa er¬ wartete, alle waffenfähigen Italiener würden unter seiner Fahne sich versammeln: berieth man in Mailand, Florenz und Rom darüber, ob das unabhängige Italien einen oder mehre Staaten bilden, ob seine Regierung monarchisch oder republikanisch sein, ob Turin oder Mailand die Hauptstadt werden solle, ob das lombardisch-venetianische Königreich, daS erst erobert werden mußte, einen oder vier Staaten bilden sollte; ja man verhandelte sogar darüber, ob Piemont selbst, zum Lohn sür seine Tapferkeit, zerstückelt und aus seinem Gebiet die alte Republik Genua wieder hergestellt werden sollte. Heiße Thränen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/418>, abgerufen am 23.07.2024.