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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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auf die nutzlosen theoretischen Spekulationen herabsieht. Vielleicht kommt noch
ein anderes Motiv hinzu, was ihn zu dieser Demonstration gegen die Philo¬
sophie veranlaßt, daß sie nämlich an höchster Stelle äußerst mißliebig war.
Namentlich die stoische Schule hatte nicht wenige Anhänger grade unter den
hervorragendsten Mitgliedern der senatorischen Opposition, und ohne Zweifel
waren ihre Lehren am meisten geeignet, einen Unabhängigkeitsstnn und Frei¬
muth zu erzeugen, die der neronischen Despotie höchst unbequem werden mußten,
und Ideale aufzustellen, zu denen die bestehenden Zustände im schreiendsten Wider¬
spruch standen. So war es natürlich, daß die Creaturen der Despotie die
Stoiker wegen ihrer trotzigen Anmaßung und wühlerischen Neuerungssucht ver¬
schrieen, sie als Feinde der Monarchie, als Aufwiegler und Majestätsbeleidiger
und ihr System als ein destructives und staatsgefährliches denuncirten; und
ebenso natürlich, daß sie bei den Kaisern des ersten Jahrhunderts bereitwilliges
Gehör fanden. Der Oppositionsgeist der Stoiker (und Cyniker) brachte die
Philosophie überhaupt als regierungsfeindlich in Verruf. Schon unter Ves-
pasian, der keineswegs zu den schlechtesten Regenten gehörte, erfolgte eine
MasfenauSweisung der Philosophen aus Rom, und unter seinem Sohne Do-
mitian ward dieselbe Maßregel in noch größerem Umfange angewendet. Zum Theil
waren diese Verfolgungen durch eine Ostentation provocirt, die namentlich die
beiden genannten Schulen mit ihrem radicalen Idealismus ihrer Principienrei¬
terei und rigoristische Moral trieben, die sich schon in der äußern Erschei¬
nung documentirte. Diese gab der Hofparlei reichliche Veranlassung zu Spott
und Witzeleien; sie behauptete, ba,j lange Bärte, chinaufgezogene Augenbrauen,
abgeschabte Mäntel, bloße Füße und ein maßloser Hochmuth sehr häufig nur
eine Maske seien, um Hohlheit, Unwerth und unlautere Absichten zu verber¬
gen. Seneca, der intime Beziehungen zum Hofe Neros und ein Vermögen
von zwanzig Millionen mit den Grundsätzen der Stoa zu vereinigen wüßte,
empfiehlt den Philosophen mehr als einmal Mäßigung, Toleranz und Vermei¬
dung der Erireme. Wenn die Philosophie freilich vielen ihrer Bekenner Ge¬
fahr gebracht habe, so sei es eben nur durch die Narrheit und Insolenz in
der praktischen Anwendung ihrer Lehrer geschehen. Es sei ein Irrthum, daß
die Philosophie ihre Anhänger halnäckig und widerspenstig mache, und zu
Verächtern der Obrigkeiten und Regierungen erziehe. Vielmehr seien grade
sie der Regierung am dankbarsten verpflichtet und am Neuesten ergeben; denn
durch Erhaltung der Ruhe und Ordnung machte der Regent es ihnen möglich,
in Sicherheit ihren Speculationen nachzuhängen. Sie verehren ihn daher mit
weit innigerer Liebe, als die Ehrgeizigen, die, von ihm zu Rang und Würden
befördert, nie zufrieden sind und immer mehr geleistet als empfangen zu haben
glauben. -- Aber solche Raisonnements waren begreiflicherweise nicht hin¬
reichend, um die Antipathien der damaligen römischen Kaiser zu überwinden.


auf die nutzlosen theoretischen Spekulationen herabsieht. Vielleicht kommt noch
ein anderes Motiv hinzu, was ihn zu dieser Demonstration gegen die Philo¬
sophie veranlaßt, daß sie nämlich an höchster Stelle äußerst mißliebig war.
Namentlich die stoische Schule hatte nicht wenige Anhänger grade unter den
hervorragendsten Mitgliedern der senatorischen Opposition, und ohne Zweifel
waren ihre Lehren am meisten geeignet, einen Unabhängigkeitsstnn und Frei¬
muth zu erzeugen, die der neronischen Despotie höchst unbequem werden mußten,
und Ideale aufzustellen, zu denen die bestehenden Zustände im schreiendsten Wider¬
spruch standen. So war es natürlich, daß die Creaturen der Despotie die
Stoiker wegen ihrer trotzigen Anmaßung und wühlerischen Neuerungssucht ver¬
schrieen, sie als Feinde der Monarchie, als Aufwiegler und Majestätsbeleidiger
und ihr System als ein destructives und staatsgefährliches denuncirten; und
ebenso natürlich, daß sie bei den Kaisern des ersten Jahrhunderts bereitwilliges
Gehör fanden. Der Oppositionsgeist der Stoiker (und Cyniker) brachte die
Philosophie überhaupt als regierungsfeindlich in Verruf. Schon unter Ves-
pasian, der keineswegs zu den schlechtesten Regenten gehörte, erfolgte eine
MasfenauSweisung der Philosophen aus Rom, und unter seinem Sohne Do-
mitian ward dieselbe Maßregel in noch größerem Umfange angewendet. Zum Theil
waren diese Verfolgungen durch eine Ostentation provocirt, die namentlich die
beiden genannten Schulen mit ihrem radicalen Idealismus ihrer Principienrei¬
terei und rigoristische Moral trieben, die sich schon in der äußern Erschei¬
nung documentirte. Diese gab der Hofparlei reichliche Veranlassung zu Spott
und Witzeleien; sie behauptete, ba,j lange Bärte, chinaufgezogene Augenbrauen,
abgeschabte Mäntel, bloße Füße und ein maßloser Hochmuth sehr häufig nur
eine Maske seien, um Hohlheit, Unwerth und unlautere Absichten zu verber¬
gen. Seneca, der intime Beziehungen zum Hofe Neros und ein Vermögen
von zwanzig Millionen mit den Grundsätzen der Stoa zu vereinigen wüßte,
empfiehlt den Philosophen mehr als einmal Mäßigung, Toleranz und Vermei¬
dung der Erireme. Wenn die Philosophie freilich vielen ihrer Bekenner Ge¬
fahr gebracht habe, so sei es eben nur durch die Narrheit und Insolenz in
der praktischen Anwendung ihrer Lehrer geschehen. Es sei ein Irrthum, daß
die Philosophie ihre Anhänger halnäckig und widerspenstig mache, und zu
Verächtern der Obrigkeiten und Regierungen erziehe. Vielmehr seien grade
sie der Regierung am dankbarsten verpflichtet und am Neuesten ergeben; denn
durch Erhaltung der Ruhe und Ordnung machte der Regent es ihnen möglich,
in Sicherheit ihren Speculationen nachzuhängen. Sie verehren ihn daher mit
weit innigerer Liebe, als die Ehrgeizigen, die, von ihm zu Rang und Würden
befördert, nie zufrieden sind und immer mehr geleistet als empfangen zu haben
glauben. — Aber solche Raisonnements waren begreiflicherweise nicht hin¬
reichend, um die Antipathien der damaligen römischen Kaiser zu überwinden.


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[0415] auf die nutzlosen theoretischen Spekulationen herabsieht. Vielleicht kommt noch ein anderes Motiv hinzu, was ihn zu dieser Demonstration gegen die Philo¬ sophie veranlaßt, daß sie nämlich an höchster Stelle äußerst mißliebig war. Namentlich die stoische Schule hatte nicht wenige Anhänger grade unter den hervorragendsten Mitgliedern der senatorischen Opposition, und ohne Zweifel waren ihre Lehren am meisten geeignet, einen Unabhängigkeitsstnn und Frei¬ muth zu erzeugen, die der neronischen Despotie höchst unbequem werden mußten, und Ideale aufzustellen, zu denen die bestehenden Zustände im schreiendsten Wider¬ spruch standen. So war es natürlich, daß die Creaturen der Despotie die Stoiker wegen ihrer trotzigen Anmaßung und wühlerischen Neuerungssucht ver¬ schrieen, sie als Feinde der Monarchie, als Aufwiegler und Majestätsbeleidiger und ihr System als ein destructives und staatsgefährliches denuncirten; und ebenso natürlich, daß sie bei den Kaisern des ersten Jahrhunderts bereitwilliges Gehör fanden. Der Oppositionsgeist der Stoiker (und Cyniker) brachte die Philosophie überhaupt als regierungsfeindlich in Verruf. Schon unter Ves- pasian, der keineswegs zu den schlechtesten Regenten gehörte, erfolgte eine MasfenauSweisung der Philosophen aus Rom, und unter seinem Sohne Do- mitian ward dieselbe Maßregel in noch größerem Umfange angewendet. Zum Theil waren diese Verfolgungen durch eine Ostentation provocirt, die namentlich die beiden genannten Schulen mit ihrem radicalen Idealismus ihrer Principienrei¬ terei und rigoristische Moral trieben, die sich schon in der äußern Erschei¬ nung documentirte. Diese gab der Hofparlei reichliche Veranlassung zu Spott und Witzeleien; sie behauptete, ba,j lange Bärte, chinaufgezogene Augenbrauen, abgeschabte Mäntel, bloße Füße und ein maßloser Hochmuth sehr häufig nur eine Maske seien, um Hohlheit, Unwerth und unlautere Absichten zu verber¬ gen. Seneca, der intime Beziehungen zum Hofe Neros und ein Vermögen von zwanzig Millionen mit den Grundsätzen der Stoa zu vereinigen wüßte, empfiehlt den Philosophen mehr als einmal Mäßigung, Toleranz und Vermei¬ dung der Erireme. Wenn die Philosophie freilich vielen ihrer Bekenner Ge¬ fahr gebracht habe, so sei es eben nur durch die Narrheit und Insolenz in der praktischen Anwendung ihrer Lehrer geschehen. Es sei ein Irrthum, daß die Philosophie ihre Anhänger halnäckig und widerspenstig mache, und zu Verächtern der Obrigkeiten und Regierungen erziehe. Vielmehr seien grade sie der Regierung am dankbarsten verpflichtet und am Neuesten ergeben; denn durch Erhaltung der Ruhe und Ordnung machte der Regent es ihnen möglich, in Sicherheit ihren Speculationen nachzuhängen. Sie verehren ihn daher mit weit innigerer Liebe, als die Ehrgeizigen, die, von ihm zu Rang und Würden befördert, nie zufrieden sind und immer mehr geleistet als empfangen zu haben glauben. — Aber solche Raisonnements waren begreiflicherweise nicht hin¬ reichend, um die Antipathien der damaligen römischen Kaiser zu überwinden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/415>, abgerufen am 22.12.2024.