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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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den Hoffnungen der Befragenden zu richten. Unter jeder Regierung gab es
immer nicht wenige Große, die einst selbst den Thron zu besteigen hofften, und
die Orakel der Chaldäer, die sich natürlich oft auf politische Berechnungen
stützten, weckten schlummernde Leidenschaften, regten gefährliche Gedanken auf
und gaben Gläubigen den Muth des Fatalismus. Bei sehr vielen Anklagen
auf Verschwörung oder Mordversuche gegen den Kaiser finden wir Chaldäer
als Zeugen oder Mitangeklagte. Sie wurden wiederholt des Landes verwiesen
und mit dem Tode bestraft: vergebens. Diese Menschen, sagt Tacitus, ebenso ge¬
fährlich für die Machthaber als trügerisch für die Ehrgeizigen, wird man in
unserer Stadt immer wegweisen und immer wieder festhalten.

Die Astrologie war im ersten Jahrhundert die von den höhern Ständen
vorzugsweise begünstigte Art der Prophezeiung. Viele Gebildete, die nicht das
Geringste ohne Befragung der Sterne unternahmen, sahen mit souveräner Ver¬
achtung auf die zahlreichen Classen von Wahrsagern herab, die bei den untern
Ständen in Gebrauch waren. Zu diesen verhielt sich die Astrologie in Bezug
aus das Ansetzn, das sie genoß, im ersten Jahrhundert ungefähr wie im
neunzehnten der Somnambulismus, das Tischklopfen und der Psychograpl) zu
der Wahrsagung aus Karten, Kaffeesatz und Zinnguß. Natürlich erfuhren
die gemeinen Leute ihr Schicksal zu viel geringern Preisen als die vornehme
Welt. Während die große Dame ihren Hausastrologen bedeutende Summen
zahlen mußte, um zu ermitteln, ob sie länger leben werde als ihr Liebhaber
oder ihr Gemahl, ließ sich die Frau aus dem Volke für eine kleine Kupfer¬
münze die Linien der Stirn oder der Hände beschauen, um zu wissen, ob sie
dem Schenkwirth einen Korb geben und den Kleidertrödler nehmen sollte.
Andre Arten der populären Wahrsagerei waren-: aus Steinchen, Hölzchen,
Würfeln, Feuer, Gerste, aus dem Siebe, aus Mehl, Käse und Eiern; die
meisten wurden besonders bei dem Landvolk von umherziehenden Wahrsägern
angewendet. Während jedoch die heutzutage in der gebildeten Welt beliebten
Methoden die Zukunft zu erforschen denselben ausschließlich angehören und den
untern Classen völlig unbekannt sind, war die Astrologie im Alterthum doch in
allen Schichten der Gesellschaft verbreitet und ließ sich zu den Bedürfnissen
auch der untersten Stände herab. Die Sterne wurden ebensowol über die ge¬
ringfügigsten Dinge als über das Schicksal-der Welt befragt, und wenn die
Astrologen einem Drusus oder Nerva den Thron verhießen, so durste" sie ei¬
nem Trimalchio nur ein langes Leben und eine Erbschaft prophezeien,
um reich belohnt zu werden. Bei Prophezeiungen, die nur Privatangelegen¬
heiten betrafen, setzten sie" sich natürlich keiner so großen Gefahr aus,
als wenn sie über das Leben des Kaisers oder die Zukunft des Staats
Mittheilungen machten. Von ihnen erfuhr der Kaufmann, ob ein Geschäft
für ihn günstig ausfallen, der lauernde Erbe, wenn der reiche Mann sterben


den Hoffnungen der Befragenden zu richten. Unter jeder Regierung gab es
immer nicht wenige Große, die einst selbst den Thron zu besteigen hofften, und
die Orakel der Chaldäer, die sich natürlich oft auf politische Berechnungen
stützten, weckten schlummernde Leidenschaften, regten gefährliche Gedanken auf
und gaben Gläubigen den Muth des Fatalismus. Bei sehr vielen Anklagen
auf Verschwörung oder Mordversuche gegen den Kaiser finden wir Chaldäer
als Zeugen oder Mitangeklagte. Sie wurden wiederholt des Landes verwiesen
und mit dem Tode bestraft: vergebens. Diese Menschen, sagt Tacitus, ebenso ge¬
fährlich für die Machthaber als trügerisch für die Ehrgeizigen, wird man in
unserer Stadt immer wegweisen und immer wieder festhalten.

Die Astrologie war im ersten Jahrhundert die von den höhern Ständen
vorzugsweise begünstigte Art der Prophezeiung. Viele Gebildete, die nicht das
Geringste ohne Befragung der Sterne unternahmen, sahen mit souveräner Ver¬
achtung auf die zahlreichen Classen von Wahrsagern herab, die bei den untern
Ständen in Gebrauch waren. Zu diesen verhielt sich die Astrologie in Bezug
aus das Ansetzn, das sie genoß, im ersten Jahrhundert ungefähr wie im
neunzehnten der Somnambulismus, das Tischklopfen und der Psychograpl) zu
der Wahrsagung aus Karten, Kaffeesatz und Zinnguß. Natürlich erfuhren
die gemeinen Leute ihr Schicksal zu viel geringern Preisen als die vornehme
Welt. Während die große Dame ihren Hausastrologen bedeutende Summen
zahlen mußte, um zu ermitteln, ob sie länger leben werde als ihr Liebhaber
oder ihr Gemahl, ließ sich die Frau aus dem Volke für eine kleine Kupfer¬
münze die Linien der Stirn oder der Hände beschauen, um zu wissen, ob sie
dem Schenkwirth einen Korb geben und den Kleidertrödler nehmen sollte.
Andre Arten der populären Wahrsagerei waren-: aus Steinchen, Hölzchen,
Würfeln, Feuer, Gerste, aus dem Siebe, aus Mehl, Käse und Eiern; die
meisten wurden besonders bei dem Landvolk von umherziehenden Wahrsägern
angewendet. Während jedoch die heutzutage in der gebildeten Welt beliebten
Methoden die Zukunft zu erforschen denselben ausschließlich angehören und den
untern Classen völlig unbekannt sind, war die Astrologie im Alterthum doch in
allen Schichten der Gesellschaft verbreitet und ließ sich zu den Bedürfnissen
auch der untersten Stände herab. Die Sterne wurden ebensowol über die ge¬
ringfügigsten Dinge als über das Schicksal-der Welt befragt, und wenn die
Astrologen einem Drusus oder Nerva den Thron verhießen, so durste» sie ei¬
nem Trimalchio nur ein langes Leben und eine Erbschaft prophezeien,
um reich belohnt zu werden. Bei Prophezeiungen, die nur Privatangelegen¬
heiten betrafen, setzten sie« sich natürlich keiner so großen Gefahr aus,
als wenn sie über das Leben des Kaisers oder die Zukunft des Staats
Mittheilungen machten. Von ihnen erfuhr der Kaufmann, ob ein Geschäft
für ihn günstig ausfallen, der lauernde Erbe, wenn der reiche Mann sterben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/400>, abgerufen am 22.12.2024.