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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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schaftliche Gegenstände in angemessener populärer Form zu behandeln, aber
leider auf eine sehr dilettantische Art, da der Verfasser weder Gründlichkeit,
noch Umfang des Wissens in erforderlichem Grade besessen hat. Wir würden
dieser Schrift auch nicht gedacht haben, wenn nicht Goethe sie seines Lobes
gewürdigt hätte. Der alte Herr fand sich dadurch 'angenehm unterhalten und
angeregt, vermuthlich legte er mehr in die kleinen Aufsätze hinein, als er von
ihnen empfing.

Wenn auch hier der Versuch gemacht werden soll, eine Reihe von Bildern
aus dem römischen Alterthum zugeben, so schließen wir von dem zu benutzenden
Material nicht blos alles aus, was auf phantastischer Vorstellung, sondern
auch, was auf nicht erweislicher Vermuthung beruht. Wir knüpfen dabei an
eins der seltsamsten Fragmente in der römischen Literatur an, das auf den
ersten Blick von zu vielen Räthseln umgeben scheint, um als Quelle benutzt
zu werden: das sogenannte Satyrikon des Petronius. Der Name und die
Person deS Verfassers, das Zeitalter, in dem er geschrieben, Und der Inhalt
seines Buchs sind bis in die neueste Zeit Gegenstand gelehrter Streitigkeiten
gewesen, die jedoch gegenwärtig in der Hauptsache als entschieden betrachtet
werden können- Es sind Fragmente eines Romans, dessen Plan bei seiner
jetzigen Zertrümmerung außer aller Berechnung liegt; was wir übrig haben,
sind lose zusammenhängende Scenen, in Prosa mit eingewebten Gedichten;
zum Theil Schilderungen der schmuzigsten Art, die das Buch mit Recht in
Verruf gebracht haben; aber durch und durch mit Witz, Geist, Feinheit und
Geschmack geschrieben. Die einzelnen Stücke sind zu verschiedenen Zeiten in
verschiedenen Handschriften entdeckt worden, und das Interesse, welches daS
Buch namentlich außerhalb der gelehrten Welt erregte, bewog einen Franzosen,
Franz Robot, gegen Ende des 17. Jahrhunderts zu einer Ausfüllung der den
Zusammenhang störenden Lücken, die angeblich aus einer von ihm entdeckten
vollständigern Handschrift stammte; eine Fälschung, die zwar die Akademien
in Nimes und Arles täuschte, aber sehr bald entdeckt wurde, und ihrem Ur¬
heber viele Grobheiten von den gelehrten Herausgebern des Petron eintrug-
Sowol wegen seines Witzes als wegen seiner zügellosen Libertinage machte das
Buch in der guten Gesellschaft des ancien re^ime enormes Glück, es war
bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht weniger als sechsmal
ins Französische übersetzt. In den Kreisen der deutschen Literatur, in denen
man sich mit mehr oder minder Glück bestrebte, die Galanterie der Franzosen
nachzuahmen, fand es ebenso großen Anklang. Der von König Ludwig eines
Platzes in Walhalla gewürdigte Dichter des Ardinghello und der Hildegard von
Hohenthal übersetzte es ins Deutsche (Rom sSchwabach^773). Es-ist bekannt,
mit welcher Vorliebe Heinse sich auf dem Gebiet des Bestialen erging: aber
nichts, was er geschrieben hat, ist so ekelhaft und zugleich so dumm, als seine


schaftliche Gegenstände in angemessener populärer Form zu behandeln, aber
leider auf eine sehr dilettantische Art, da der Verfasser weder Gründlichkeit,
noch Umfang des Wissens in erforderlichem Grade besessen hat. Wir würden
dieser Schrift auch nicht gedacht haben, wenn nicht Goethe sie seines Lobes
gewürdigt hätte. Der alte Herr fand sich dadurch 'angenehm unterhalten und
angeregt, vermuthlich legte er mehr in die kleinen Aufsätze hinein, als er von
ihnen empfing.

Wenn auch hier der Versuch gemacht werden soll, eine Reihe von Bildern
aus dem römischen Alterthum zugeben, so schließen wir von dem zu benutzenden
Material nicht blos alles aus, was auf phantastischer Vorstellung, sondern
auch, was auf nicht erweislicher Vermuthung beruht. Wir knüpfen dabei an
eins der seltsamsten Fragmente in der römischen Literatur an, das auf den
ersten Blick von zu vielen Räthseln umgeben scheint, um als Quelle benutzt
zu werden: das sogenannte Satyrikon des Petronius. Der Name und die
Person deS Verfassers, das Zeitalter, in dem er geschrieben, Und der Inhalt
seines Buchs sind bis in die neueste Zeit Gegenstand gelehrter Streitigkeiten
gewesen, die jedoch gegenwärtig in der Hauptsache als entschieden betrachtet
werden können- Es sind Fragmente eines Romans, dessen Plan bei seiner
jetzigen Zertrümmerung außer aller Berechnung liegt; was wir übrig haben,
sind lose zusammenhängende Scenen, in Prosa mit eingewebten Gedichten;
zum Theil Schilderungen der schmuzigsten Art, die das Buch mit Recht in
Verruf gebracht haben; aber durch und durch mit Witz, Geist, Feinheit und
Geschmack geschrieben. Die einzelnen Stücke sind zu verschiedenen Zeiten in
verschiedenen Handschriften entdeckt worden, und das Interesse, welches daS
Buch namentlich außerhalb der gelehrten Welt erregte, bewog einen Franzosen,
Franz Robot, gegen Ende des 17. Jahrhunderts zu einer Ausfüllung der den
Zusammenhang störenden Lücken, die angeblich aus einer von ihm entdeckten
vollständigern Handschrift stammte; eine Fälschung, die zwar die Akademien
in Nimes und Arles täuschte, aber sehr bald entdeckt wurde, und ihrem Ur¬
heber viele Grobheiten von den gelehrten Herausgebern des Petron eintrug-
Sowol wegen seines Witzes als wegen seiner zügellosen Libertinage machte das
Buch in der guten Gesellschaft des ancien re^ime enormes Glück, es war
bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht weniger als sechsmal
ins Französische übersetzt. In den Kreisen der deutschen Literatur, in denen
man sich mit mehr oder minder Glück bestrebte, die Galanterie der Franzosen
nachzuahmen, fand es ebenso großen Anklang. Der von König Ludwig eines
Platzes in Walhalla gewürdigte Dichter des Ardinghello und der Hildegard von
Hohenthal übersetzte es ins Deutsche (Rom sSchwabach^773). Es-ist bekannt,
mit welcher Vorliebe Heinse sich auf dem Gebiet des Bestialen erging: aber
nichts, was er geschrieben hat, ist so ekelhaft und zugleich so dumm, als seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/390>, abgerufen am 23.07.2024.