Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtung, die er in so hohem Maße verdient. Wir haben es uns versagt, ihn
in seiner politischen Laufbahn zu verfolgen; eine Schrift aber müssen wir noch
hervorheben, um zu zeigen, daß seine politischen Theorien mit seinen
wissenschaftlichen in inniger Uebereinstimmung stehen, und daß man aus ihnen
selbst deit wunderlichen Einfall einer Fusion zwischen den Legitimisten und Or-
leanisten begreifen kann. Es ist die Broschüre über die französische Demo¬
kratie, 18i9, die zwar zunächst als Gelegenheitsschrift erschien, und vor dem
Socialismus einerseits, vor dem Bonapartismus andererseits warnte, die aber
zugleich sein gesamMteS politisches Glaubensbekenntnis) enthält.

Die Februarrevolution gab anscheinend nicht blos den französischen Staats¬
männern, sondern der gesämMten literarischen Bewegung von 18A0 ein sehr
bedenkliches Dementi. So verschieden die einzelnen Schriftsteller voneinander
waren, sie hatten sich durchweg in der Ueberzeugung vereinigt, die französische
Geschichte, enthalte einen stetigen Fortschritt zum Bessern und das Bürgerkö¬
nigthum sei die Lösung des Räthsels der Revolution. Nun sah man sich
plötzlich in das alte Chaos gestürzt, die Geschichte war wieder in Frage ge¬
stellt und die besten Männer wurden an ihrem Glauben irre. Dieser Ver.
Stimmung, die Guizot sehr lebhaft mitfühlte und die in nicht minder begabten,
aber leidenschaftlichem Schriftstellern einen wilden Pessimismus hervorrief,
setzte er die motivirte Ueberzeugung entgegen, daß oaö alte Ziel doch oas
richtige war. So schwere Vorwürfe er der Demokratie macht, so besteht der
hauptsächliche doch darin, daß sie in den Wahn versiele, ausschließlich die
Herrschaft führen zu können. Die Demokratie beruhe auf einem Theil der
Gesellschaft, der früher von den andern Schichten völlig getrennt gewesen sei;
wenn er jetzt glaube, den Sieg über die andern davon getragen zu haben, so
sei das ein schwerer Irrthum. Einmal bestehen die alten Elemente in der
Form der politischen Parteien, der legitimistischen, vrleanistischen :c., noch fort,
und es drängten sich neue Parteien hervor, die mit dem Stichwort der Demo¬
kratie nur eine andere Schicht der Gesellschaft ans Ruder bringen wollten.
Man nehme die Republik für den Augenblick an, aber man könne seine Ver¬
gangenheit nicht verleugnen, und die Republik könne sich einer festen Regierung
ebensowenig überheben, als jede andere Regierungsform. Die Annahme vieler
wohlgesinnten Männer, daß sich bei vollständiger Freiheit die Menschen von
selbst vernunftgemäß entwickeln, sei ein Irrthum, der aus dem weitern beruhe,
daß die menschliche Natur an sich gut sei. 'Es vermischen sich vielmehr in ihr
Gutes und Böses, und grade bei einer sehr freien Verfassung, grade nach
dem Sturm einer Revolution gehört ein sehr fester, entschlossener Wille dazu,
die Gesellschaft wieder in ihre Fugen einzurenken, dem Uebel in seinem ersten
Ursprung zu widerstehen. <)ni n'a tressaM !l cette Jnvolution Lvuämne clef
Kbimss sur lödiquels oll, la sooiätv, et Ach freies barrierös <M 1'en se-


Grenzboten. I. -I8ö7. i8

Achtung, die er in so hohem Maße verdient. Wir haben es uns versagt, ihn
in seiner politischen Laufbahn zu verfolgen; eine Schrift aber müssen wir noch
hervorheben, um zu zeigen, daß seine politischen Theorien mit seinen
wissenschaftlichen in inniger Uebereinstimmung stehen, und daß man aus ihnen
selbst deit wunderlichen Einfall einer Fusion zwischen den Legitimisten und Or-
leanisten begreifen kann. Es ist die Broschüre über die französische Demo¬
kratie, 18i9, die zwar zunächst als Gelegenheitsschrift erschien, und vor dem
Socialismus einerseits, vor dem Bonapartismus andererseits warnte, die aber
zugleich sein gesamMteS politisches Glaubensbekenntnis) enthält.

Die Februarrevolution gab anscheinend nicht blos den französischen Staats¬
männern, sondern der gesämMten literarischen Bewegung von 18A0 ein sehr
bedenkliches Dementi. So verschieden die einzelnen Schriftsteller voneinander
waren, sie hatten sich durchweg in der Ueberzeugung vereinigt, die französische
Geschichte, enthalte einen stetigen Fortschritt zum Bessern und das Bürgerkö¬
nigthum sei die Lösung des Räthsels der Revolution. Nun sah man sich
plötzlich in das alte Chaos gestürzt, die Geschichte war wieder in Frage ge¬
stellt und die besten Männer wurden an ihrem Glauben irre. Dieser Ver.
Stimmung, die Guizot sehr lebhaft mitfühlte und die in nicht minder begabten,
aber leidenschaftlichem Schriftstellern einen wilden Pessimismus hervorrief,
setzte er die motivirte Ueberzeugung entgegen, daß oaö alte Ziel doch oas
richtige war. So schwere Vorwürfe er der Demokratie macht, so besteht der
hauptsächliche doch darin, daß sie in den Wahn versiele, ausschließlich die
Herrschaft führen zu können. Die Demokratie beruhe auf einem Theil der
Gesellschaft, der früher von den andern Schichten völlig getrennt gewesen sei;
wenn er jetzt glaube, den Sieg über die andern davon getragen zu haben, so
sei das ein schwerer Irrthum. Einmal bestehen die alten Elemente in der
Form der politischen Parteien, der legitimistischen, vrleanistischen :c., noch fort,
und es drängten sich neue Parteien hervor, die mit dem Stichwort der Demo¬
kratie nur eine andere Schicht der Gesellschaft ans Ruder bringen wollten.
Man nehme die Republik für den Augenblick an, aber man könne seine Ver¬
gangenheit nicht verleugnen, und die Republik könne sich einer festen Regierung
ebensowenig überheben, als jede andere Regierungsform. Die Annahme vieler
wohlgesinnten Männer, daß sich bei vollständiger Freiheit die Menschen von
selbst vernunftgemäß entwickeln, sei ein Irrthum, der aus dem weitern beruhe,
daß die menschliche Natur an sich gut sei. 'Es vermischen sich vielmehr in ihr
Gutes und Böses, und grade bei einer sehr freien Verfassung, grade nach
dem Sturm einer Revolution gehört ein sehr fester, entschlossener Wille dazu,
die Gesellschaft wieder in ihre Fugen einzurenken, dem Uebel in seinem ersten
Ursprung zu widerstehen. <)ni n'a tressaM !l cette Jnvolution Lvuämne clef
Kbimss sur lödiquels oll, la sooiätv, et Ach freies barrierös <M 1'en se-


Grenzboten. I. -I8ö7. i8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103518"/>
            <p xml:id="ID_1369" prev="#ID_1368"> Achtung, die er in so hohem Maße verdient. Wir haben es uns versagt, ihn<lb/>
in seiner politischen Laufbahn zu verfolgen; eine Schrift aber müssen wir noch<lb/>
hervorheben, um zu zeigen, daß seine politischen Theorien mit seinen<lb/>
wissenschaftlichen in inniger Uebereinstimmung stehen, und daß man aus ihnen<lb/>
selbst deit wunderlichen Einfall einer Fusion zwischen den Legitimisten und Or-<lb/>
leanisten begreifen kann. Es ist die Broschüre über die französische Demo¬<lb/>
kratie, 18i9, die zwar zunächst als Gelegenheitsschrift erschien, und vor dem<lb/>
Socialismus einerseits, vor dem Bonapartismus andererseits warnte, die aber<lb/>
zugleich sein gesamMteS politisches Glaubensbekenntnis) enthält.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1370" next="#ID_1371"> Die Februarrevolution gab anscheinend nicht blos den französischen Staats¬<lb/>
männern, sondern der gesämMten literarischen Bewegung von 18A0 ein sehr<lb/>
bedenkliches Dementi. So verschieden die einzelnen Schriftsteller voneinander<lb/>
waren, sie hatten sich durchweg in der Ueberzeugung vereinigt, die französische<lb/>
Geschichte, enthalte einen stetigen Fortschritt zum Bessern und das Bürgerkö¬<lb/>
nigthum sei die Lösung des Räthsels der Revolution. Nun sah man sich<lb/>
plötzlich in das alte Chaos gestürzt, die Geschichte war wieder in Frage ge¬<lb/>
stellt und die besten Männer wurden an ihrem Glauben irre. Dieser Ver.<lb/>
Stimmung, die Guizot sehr lebhaft mitfühlte und die in nicht minder begabten,<lb/>
aber leidenschaftlichem Schriftstellern einen wilden Pessimismus hervorrief,<lb/>
setzte er die motivirte Ueberzeugung entgegen, daß oaö alte Ziel doch oas<lb/>
richtige war. So schwere Vorwürfe er der Demokratie macht, so besteht der<lb/>
hauptsächliche doch darin, daß sie in den Wahn versiele, ausschließlich die<lb/>
Herrschaft führen zu können. Die Demokratie beruhe auf einem Theil der<lb/>
Gesellschaft, der früher von den andern Schichten völlig getrennt gewesen sei;<lb/>
wenn er jetzt glaube, den Sieg über die andern davon getragen zu haben, so<lb/>
sei das ein schwerer Irrthum. Einmal bestehen die alten Elemente in der<lb/>
Form der politischen Parteien, der legitimistischen, vrleanistischen :c., noch fort,<lb/>
und es drängten sich neue Parteien hervor, die mit dem Stichwort der Demo¬<lb/>
kratie nur eine andere Schicht der Gesellschaft ans Ruder bringen wollten.<lb/>
Man nehme die Republik für den Augenblick an, aber man könne seine Ver¬<lb/>
gangenheit nicht verleugnen, und die Republik könne sich einer festen Regierung<lb/>
ebensowenig überheben, als jede andere Regierungsform. Die Annahme vieler<lb/>
wohlgesinnten Männer, daß sich bei vollständiger Freiheit die Menschen von<lb/>
selbst vernunftgemäß entwickeln, sei ein Irrthum, der aus dem weitern beruhe,<lb/>
daß die menschliche Natur an sich gut sei. 'Es vermischen sich vielmehr in ihr<lb/>
Gutes und Böses, und grade bei einer sehr freien Verfassung, grade nach<lb/>
dem Sturm einer Revolution gehört ein sehr fester, entschlossener Wille dazu,<lb/>
die Gesellschaft wieder in ihre Fugen einzurenken, dem Uebel in seinem ersten<lb/>
Ursprung zu widerstehen. &lt;)ni n'a tressaM !l cette Jnvolution Lvuämne clef<lb/>
Kbimss sur lödiquels oll, la sooiätv, et Ach freies barrierös &lt;M 1'en se-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. -I8ö7. i8</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0385] Achtung, die er in so hohem Maße verdient. Wir haben es uns versagt, ihn in seiner politischen Laufbahn zu verfolgen; eine Schrift aber müssen wir noch hervorheben, um zu zeigen, daß seine politischen Theorien mit seinen wissenschaftlichen in inniger Uebereinstimmung stehen, und daß man aus ihnen selbst deit wunderlichen Einfall einer Fusion zwischen den Legitimisten und Or- leanisten begreifen kann. Es ist die Broschüre über die französische Demo¬ kratie, 18i9, die zwar zunächst als Gelegenheitsschrift erschien, und vor dem Socialismus einerseits, vor dem Bonapartismus andererseits warnte, die aber zugleich sein gesamMteS politisches Glaubensbekenntnis) enthält. Die Februarrevolution gab anscheinend nicht blos den französischen Staats¬ männern, sondern der gesämMten literarischen Bewegung von 18A0 ein sehr bedenkliches Dementi. So verschieden die einzelnen Schriftsteller voneinander waren, sie hatten sich durchweg in der Ueberzeugung vereinigt, die französische Geschichte, enthalte einen stetigen Fortschritt zum Bessern und das Bürgerkö¬ nigthum sei die Lösung des Räthsels der Revolution. Nun sah man sich plötzlich in das alte Chaos gestürzt, die Geschichte war wieder in Frage ge¬ stellt und die besten Männer wurden an ihrem Glauben irre. Dieser Ver. Stimmung, die Guizot sehr lebhaft mitfühlte und die in nicht minder begabten, aber leidenschaftlichem Schriftstellern einen wilden Pessimismus hervorrief, setzte er die motivirte Ueberzeugung entgegen, daß oaö alte Ziel doch oas richtige war. So schwere Vorwürfe er der Demokratie macht, so besteht der hauptsächliche doch darin, daß sie in den Wahn versiele, ausschließlich die Herrschaft führen zu können. Die Demokratie beruhe auf einem Theil der Gesellschaft, der früher von den andern Schichten völlig getrennt gewesen sei; wenn er jetzt glaube, den Sieg über die andern davon getragen zu haben, so sei das ein schwerer Irrthum. Einmal bestehen die alten Elemente in der Form der politischen Parteien, der legitimistischen, vrleanistischen :c., noch fort, und es drängten sich neue Parteien hervor, die mit dem Stichwort der Demo¬ kratie nur eine andere Schicht der Gesellschaft ans Ruder bringen wollten. Man nehme die Republik für den Augenblick an, aber man könne seine Ver¬ gangenheit nicht verleugnen, und die Republik könne sich einer festen Regierung ebensowenig überheben, als jede andere Regierungsform. Die Annahme vieler wohlgesinnten Männer, daß sich bei vollständiger Freiheit die Menschen von selbst vernunftgemäß entwickeln, sei ein Irrthum, der aus dem weitern beruhe, daß die menschliche Natur an sich gut sei. 'Es vermischen sich vielmehr in ihr Gutes und Böses, und grade bei einer sehr freien Verfassung, grade nach dem Sturm einer Revolution gehört ein sehr fester, entschlossener Wille dazu, die Gesellschaft wieder in ihre Fugen einzurenken, dem Uebel in seinem ersten Ursprung zu widerstehen. <)ni n'a tressaM !l cette Jnvolution Lvuämne clef Kbimss sur lödiquels oll, la sooiätv, et Ach freies barrierös <M 1'en se- Grenzboten. I. -I8ö7. i8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/385
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/385>, abgerufen am 22.12.2024.