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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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einlassen, verlieren sich entweder in Deklamationen oder in eine Symbolik, die
mehr anregt als abschließt. Das große Verdienst Guizots besteht darin, daß
er rein analytisch verfährt. Stets an der Hand der Quellen entwickelt er das
Leben des germanischen Kriegers, der jetzt Landeigenthümer geworden war,
und mit diesem Eigenthum sich die Souveränetät über den Boden aneignete;
wie er durch seine natürliche Stellung nicht mehr der Feind, sondern der Herr
des eingebornen Landvolks wird, wie er mit seinen Standesgenossen in einer
Hierarchie der Aemter sich zusammenfindet, mit dem König durch neue krie¬
gerische Unternehmungen. Die ursprünglichen Einrichtungen der Gefolgschaft
hören mit der veränderten Lage der Dinge auf, und für ihre neuen Einrich¬
tungen gehen die Deutschen auf das Muster ihrer alten seßhaften Stamm¬
verhältnisse zurück. Es ist das allgemeine Streben nach einer bestimmten
Organisation, aber die rein privatrechtliche Natur der Rechtsbeziehungen ver¬
trägt eine feste Ordnung nicht; wir finden daher im Mittelalter einen innern
Widerspruch zwischen der Idee und der Wirklichkeit. -- Dies sind die leitenden
Gesichtspunkte. Die Hauptsache ist aber die detaillirte Ausführung, Guizots
Meisterstück und in Beziehung auf ihre Plastik von keinem andern Geschicht¬
schreiber jener Zeit erreicht. Die Deutschen sind stärker in der Masse und in
der Combination der Thatsachen; man vermißt aber bei ihnen jene Ordnung
und jene Deutlichkeit, die uns das ganze Treiben jener Zeit zur lebendigen
Gegenwart macht. Es hat doch für den Geschichtschreiber seine Vorzüge, ein
systematischer Kopf zu sein. Wir machen nur auf eine geistvolle Bemerkung
aufmerksam: daß in dem Alterthum die Macht in den Städten concentrirt
war, dem eigentlichen Aufenthalt der großen Grundbesitzer, im Mittelalter
dagegen auf dem Lande; daß daher im Mittelalter die Blüte der Städte sich
zu einer Opposition gegen den großen Grundbesitz entwickelte und ihrer
Natur nach demokratisch war, während im Alterthum die Städte als der Inbe¬
griff aller Staatsgewalt eine aristokratische Form hatten. -- Auch die all-
mälige Entwicklung des capetingischen Königthums ist vortrefflich. Die Könige
hatten keine unmittelbare Gewalt mehr, sie mußten sich zunächst der Kirche
anschließen, dann vorsichtig und allmälig im Interesse des Publicums in die
einzelnen kleinen Souveränetäten eingreifen, hauptsächlich aber als gute Wirth¬
schafter ihre Gewalt privatrechtlich erweitern. Schon Philipp August weiß
das Königthum im modernen Sinn herzustellen; der heilige Ludwig, der die
bloße Weltklugheit den höhern sittlichen Begriffen opfert, setzt dennoch das
Werk seiner Vorgänger kräftig fort, und so ist am Schluß dieser Periode der
Staat in seinen ersten Fundamenten festgestellt. -- Was die Städte betrifft,
so sucht Guizot auch hier die einzelnen Elemente, die von den frühern Ge¬
schichtschreibern ausschließlich hervorgehoben sind, in ihrer Totalität zusammen¬
zufassen. Er nimmt einen dreifachen Ursprung der Communalsreiheit an: die


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einlassen, verlieren sich entweder in Deklamationen oder in eine Symbolik, die
mehr anregt als abschließt. Das große Verdienst Guizots besteht darin, daß
er rein analytisch verfährt. Stets an der Hand der Quellen entwickelt er das
Leben des germanischen Kriegers, der jetzt Landeigenthümer geworden war,
und mit diesem Eigenthum sich die Souveränetät über den Boden aneignete;
wie er durch seine natürliche Stellung nicht mehr der Feind, sondern der Herr
des eingebornen Landvolks wird, wie er mit seinen Standesgenossen in einer
Hierarchie der Aemter sich zusammenfindet, mit dem König durch neue krie¬
gerische Unternehmungen. Die ursprünglichen Einrichtungen der Gefolgschaft
hören mit der veränderten Lage der Dinge auf, und für ihre neuen Einrich¬
tungen gehen die Deutschen auf das Muster ihrer alten seßhaften Stamm¬
verhältnisse zurück. Es ist das allgemeine Streben nach einer bestimmten
Organisation, aber die rein privatrechtliche Natur der Rechtsbeziehungen ver¬
trägt eine feste Ordnung nicht; wir finden daher im Mittelalter einen innern
Widerspruch zwischen der Idee und der Wirklichkeit. — Dies sind die leitenden
Gesichtspunkte. Die Hauptsache ist aber die detaillirte Ausführung, Guizots
Meisterstück und in Beziehung auf ihre Plastik von keinem andern Geschicht¬
schreiber jener Zeit erreicht. Die Deutschen sind stärker in der Masse und in
der Combination der Thatsachen; man vermißt aber bei ihnen jene Ordnung
und jene Deutlichkeit, die uns das ganze Treiben jener Zeit zur lebendigen
Gegenwart macht. Es hat doch für den Geschichtschreiber seine Vorzüge, ein
systematischer Kopf zu sein. Wir machen nur auf eine geistvolle Bemerkung
aufmerksam: daß in dem Alterthum die Macht in den Städten concentrirt
war, dem eigentlichen Aufenthalt der großen Grundbesitzer, im Mittelalter
dagegen auf dem Lande; daß daher im Mittelalter die Blüte der Städte sich
zu einer Opposition gegen den großen Grundbesitz entwickelte und ihrer
Natur nach demokratisch war, während im Alterthum die Städte als der Inbe¬
griff aller Staatsgewalt eine aristokratische Form hatten. — Auch die all-
mälige Entwicklung des capetingischen Königthums ist vortrefflich. Die Könige
hatten keine unmittelbare Gewalt mehr, sie mußten sich zunächst der Kirche
anschließen, dann vorsichtig und allmälig im Interesse des Publicums in die
einzelnen kleinen Souveränetäten eingreifen, hauptsächlich aber als gute Wirth¬
schafter ihre Gewalt privatrechtlich erweitern. Schon Philipp August weiß
das Königthum im modernen Sinn herzustellen; der heilige Ludwig, der die
bloße Weltklugheit den höhern sittlichen Begriffen opfert, setzt dennoch das
Werk seiner Vorgänger kräftig fort, und so ist am Schluß dieser Periode der
Staat in seinen ersten Fundamenten festgestellt. — Was die Städte betrifft,
so sucht Guizot auch hier die einzelnen Elemente, die von den frühern Ge¬
schichtschreibern ausschließlich hervorgehoben sind, in ihrer Totalität zusammen¬
zufassen. Er nimmt einen dreifachen Ursprung der Communalsreiheit an: die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/379>, abgerufen am 22.12.2024.