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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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zu gewinnen. -- Die Kirche hat sich im Zeitalter der Karolinger gleichfalls
zusammengerafft; ihr Streben geht nach Ordnung und Gesetz. Die Regeln
werden festgestellt, die äußere Ordnung der Kirche wieder in ihre Fugen ge¬
rückt und eine bis dahin noch wenig beachtete Thatsache, die eigentliche Theo¬
logie beginnt. Wie auch diese an das Alterthum, namentlich an die neu¬
platonische Philosophie anknüpft, wird an dem Beispiel des Johannes Scotus
geistvoll nachgewiesen. Wenn die Kirche, um die Herrschaft über die Welt zu
gewinnen, ihre innere Freiheit aufgab und dem Geist des Alterthums sich
feindselig entgegenstellte, so besteht doch zwischen der alten und modernen
Civilisation keine wirkliche Kluft, und wir müssen in Bezug auf unsere eigent¬
liche Bildung nach allen Seiten hin die Römer als unsere Väter ehren.

Der Kursus des folgenden Jahres war der Geschichte des Lehnssystems
gewidmet, welches für Frankreich mit den Capetingern beginnt. Seit dieser
Zeit gibt es eine französische Nation. In politischer Beziehung sällt zwar
das Reich noch viel mehr auseinander, als unter den frühern Dynastien.
Der König, dessen Beziehung auf die alte göttliche Abkunft aufhört, der nur der
Erste unter seines Gleichen ist, muß durch persönliche Kraft, durch höhere Ein¬
sicht das verlorene Ansehn wieder gewinnen. Die Staatskraft zerfällt in eine
Reihe kleiner Souveränetäten, in ein verwickeltes System von Rechtsbeziehungen
und Willkür, die man kaum übersehen kann; aber in dem Volk tritt mehr und
mehr das Gefühl der Einheit hervor und kommt dem Königthum zu Hilfe.
Alle gesellschaftlichen Elemente haben seit dieser Zeit die Neigung, sich zu
nähern, sich zu assimiliren, große Massen zu bilden. Im Urtheil über dieses
eigentliche Mittelalter hält Guizot die richtige Mitte zwischen den blinden An¬
betern jener wilden Zeit, die sich damals in der romantischen Schule centrali-
sirten, und den Voltairianern, die von dem einseitigen Maßstab ihres Nützlich¬
keitssystems aus jene wahrhaft schöpferische, wenn auch untergeordnete Zeit be¬
urtheilten. Er zeigt, daß auch Voltaire Augenblicke hatte, wo ihm die Poesie
des Mittelalters einleuchtete.


OK! l'I>eureux lomps puo celui <Is ees l'Mes,
Des t>on8 clemons, c>L8 e"pries t"lauer8,
Lgs t'"rsittlLt8, nux mortels seeourÄbles!
Un üeoul,!>it. tous ees t"it,8 a"tmiraI>lL8
V-M8 son ctiiUeau, pro8 et'un luiAv l'o^el'. . . .
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I^ivront ni>8 coeur8 u l'iii8ipiclil,<! z
riiU8onner l,i-!8tLiueitt ^tieervilile;
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^K! co^on-moi, l'erivur " 8vri in"i'it>e.

Die meisten Schriftsteller, die sich auf eine Schilderung des Mittelalters


zu gewinnen. — Die Kirche hat sich im Zeitalter der Karolinger gleichfalls
zusammengerafft; ihr Streben geht nach Ordnung und Gesetz. Die Regeln
werden festgestellt, die äußere Ordnung der Kirche wieder in ihre Fugen ge¬
rückt und eine bis dahin noch wenig beachtete Thatsache, die eigentliche Theo¬
logie beginnt. Wie auch diese an das Alterthum, namentlich an die neu¬
platonische Philosophie anknüpft, wird an dem Beispiel des Johannes Scotus
geistvoll nachgewiesen. Wenn die Kirche, um die Herrschaft über die Welt zu
gewinnen, ihre innere Freiheit aufgab und dem Geist des Alterthums sich
feindselig entgegenstellte, so besteht doch zwischen der alten und modernen
Civilisation keine wirkliche Kluft, und wir müssen in Bezug auf unsere eigent¬
liche Bildung nach allen Seiten hin die Römer als unsere Väter ehren.

Der Kursus des folgenden Jahres war der Geschichte des Lehnssystems
gewidmet, welches für Frankreich mit den Capetingern beginnt. Seit dieser
Zeit gibt es eine französische Nation. In politischer Beziehung sällt zwar
das Reich noch viel mehr auseinander, als unter den frühern Dynastien.
Der König, dessen Beziehung auf die alte göttliche Abkunft aufhört, der nur der
Erste unter seines Gleichen ist, muß durch persönliche Kraft, durch höhere Ein¬
sicht das verlorene Ansehn wieder gewinnen. Die Staatskraft zerfällt in eine
Reihe kleiner Souveränetäten, in ein verwickeltes System von Rechtsbeziehungen
und Willkür, die man kaum übersehen kann; aber in dem Volk tritt mehr und
mehr das Gefühl der Einheit hervor und kommt dem Königthum zu Hilfe.
Alle gesellschaftlichen Elemente haben seit dieser Zeit die Neigung, sich zu
nähern, sich zu assimiliren, große Massen zu bilden. Im Urtheil über dieses
eigentliche Mittelalter hält Guizot die richtige Mitte zwischen den blinden An¬
betern jener wilden Zeit, die sich damals in der romantischen Schule centrali-
sirten, und den Voltairianern, die von dem einseitigen Maßstab ihres Nützlich¬
keitssystems aus jene wahrhaft schöpferische, wenn auch untergeordnete Zeit be¬
urtheilten. Er zeigt, daß auch Voltaire Augenblicke hatte, wo ihm die Poesie
des Mittelalters einleuchtete.


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Die meisten Schriftsteller, die sich auf eine Schilderung des Mittelalters


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[0378] zu gewinnen. — Die Kirche hat sich im Zeitalter der Karolinger gleichfalls zusammengerafft; ihr Streben geht nach Ordnung und Gesetz. Die Regeln werden festgestellt, die äußere Ordnung der Kirche wieder in ihre Fugen ge¬ rückt und eine bis dahin noch wenig beachtete Thatsache, die eigentliche Theo¬ logie beginnt. Wie auch diese an das Alterthum, namentlich an die neu¬ platonische Philosophie anknüpft, wird an dem Beispiel des Johannes Scotus geistvoll nachgewiesen. Wenn die Kirche, um die Herrschaft über die Welt zu gewinnen, ihre innere Freiheit aufgab und dem Geist des Alterthums sich feindselig entgegenstellte, so besteht doch zwischen der alten und modernen Civilisation keine wirkliche Kluft, und wir müssen in Bezug auf unsere eigent¬ liche Bildung nach allen Seiten hin die Römer als unsere Väter ehren. Der Kursus des folgenden Jahres war der Geschichte des Lehnssystems gewidmet, welches für Frankreich mit den Capetingern beginnt. Seit dieser Zeit gibt es eine französische Nation. In politischer Beziehung sällt zwar das Reich noch viel mehr auseinander, als unter den frühern Dynastien. Der König, dessen Beziehung auf die alte göttliche Abkunft aufhört, der nur der Erste unter seines Gleichen ist, muß durch persönliche Kraft, durch höhere Ein¬ sicht das verlorene Ansehn wieder gewinnen. Die Staatskraft zerfällt in eine Reihe kleiner Souveränetäten, in ein verwickeltes System von Rechtsbeziehungen und Willkür, die man kaum übersehen kann; aber in dem Volk tritt mehr und mehr das Gefühl der Einheit hervor und kommt dem Königthum zu Hilfe. Alle gesellschaftlichen Elemente haben seit dieser Zeit die Neigung, sich zu nähern, sich zu assimiliren, große Massen zu bilden. Im Urtheil über dieses eigentliche Mittelalter hält Guizot die richtige Mitte zwischen den blinden An¬ betern jener wilden Zeit, die sich damals in der romantischen Schule centrali- sirten, und den Voltairianern, die von dem einseitigen Maßstab ihres Nützlich¬ keitssystems aus jene wahrhaft schöpferische, wenn auch untergeordnete Zeit be¬ urtheilten. Er zeigt, daß auch Voltaire Augenblicke hatte, wo ihm die Poesie des Mittelalters einleuchtete. OK! l'I>eureux lomps puo celui <Is ees l'Mes, Des t>on8 clemons, c>L8 e»pries t»lauer8, Lgs t'»rsittlLt8, nux mortels seeourÄbles! Un üeoul,!>it. tous ees t»it,8 a«tmiraI>lL8 V-M8 son ctiiUeau, pro8 et'un luiAv l'o^el'. . . . vn it diwin t<Z8 äümou8 1v8 l'ni!8; 8on8 t» I'iuson Ik8 grüoL8 <Zi,vull'«Ze8 I^ivront ni>8 coeur8 u l'iii8ipiclil,<! z riiU8onner l,i-!8tLiueitt ^tieervilile; vu court, I,eil>8! upib8 in vÄ'Up: ^K! co^on-moi, l'erivur » 8vri in«i'it>e. Die meisten Schriftsteller, die sich auf eine Schilderung des Mittelalters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/378>, abgerufen am 25.08.2024.