Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.griff zu geben, berechnet Guizot nach dem Maßstab eines Monats die Zahl Durch Karl den Großen wird zum ersten Mal der Versuch gemacht, ein Grenzboten. I. 18ö7. 47
griff zu geben, berechnet Guizot nach dem Maßstab eines Monats die Zahl Durch Karl den Großen wird zum ersten Mal der Versuch gemacht, ein Grenzboten. I. 18ö7. 47
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griff zu geben, berechnet Guizot nach dem Maßstab eines Monats die Zahl
der Heiligengeschichten und bringt sie aus 2ü,000. Der Grund für die Popu¬
larität dieser Geschichten war ein doppelter. Einmal waren sie die natürliche
Reaction gegen die Unsittlichkeit des Zeitalters. Die> täglichen Ereignisse em¬
pörten oder unterdrückten alle sittlichen Jnstincte des Menschen; alles war
dem Zufall und der Gewalt anheimgefallen. Nirgend fand man in der
äußern Welt jene Herrschaft der Regel, jene Idee der Pflicht, jene Achtung
vor dem Recht, welche die Sicherheit deS Lebens und den Frieden der Seele
ausmachen. Der moralische Jnstinct, der sich nie ganz unterdrücken läßt, sucht
sich einen Ausweg. Er fand ihn in den Legenden, wo mitten in einer Sünd¬
flut unsinniger Fabeln das geistige Element zu seinem Recht kam, wo die
Seelen sich von dem beständigen Anblick der Perbrechen erholen und ihrem
Liebesbedürfniß genügen konnten. Der zweite Grund lag in der großen Ein¬
förmigkeit und Inhaltlosigkeit des wirklichen Lebens, so weit man die untern
Schichten der Gesellschaft ins Auge faßt. Für diese waren die Legenden, was
die Geschichten aus Tausend und einer Nacht sür die Phantasie der Orientalen
sind. Die Einbildungskraft des Volks konnte sich frei in einer übersinnlichen
wunderbaren Welt ergehn, die voll von Bewegung und Poesie war. Wir
würden unsern Raum überschreiten, wenn wir auf den sehr interessanten Gegen¬
satz der weltlichen Literatur zu dieser geistlichen eingehen wollten. Wir wenden
uns zum Zeitalter der,Karolinger.
Durch Karl den Großen wird zum ersten Mal der Versuch gemacht, ein
wirkliches Staatsleben zu gründen, «in Staatsleben, welches sich zu der Kirche
in ein bestimmtes Verhältniß setzte. Um Karl den Großen richtig zu wür¬
digen, muß man die zwei Seiten ins Auge fassen, die in der Thätigkeit jedes
großen Mannes zu unterscheiden sind. Einmal erkennt er schneller, schärfer
und entschlossener, was dem Zeitalter noth thut, und führt es aus. Dann
wird er durch seinen Dämon über das Maß der menschlichen Kraft hinaus¬
geführt, und was er in dieser Beziehung erstrebt, geht mit ihm zu Grunde.
Seine natürliche Ausgabe, das ganze Gallien in einen fränkischen Staat zu
verwandeln, hat er durchgeführt; die Idee eines Weltreichs und einer Centra¬
lisation im Sinn des römischen Kaiserthums hat ihn nicht überdauert. Aber
während in der vorhergehenden Zeit in der gesammten Civilisation alles
Schritt für Schritt bergab ging, hat er den Impuls zu einem neuen Auf¬
schwung der Gesellschaft gegeben, der nicht mehr unterbrochen wird. Ein vor¬
treffliches Bild ist das Leben Alcuins, in welchem Guizot zeigt, daß er sehr
wohl zu schildern und sogar mit einem Anflug von Laune zu schildern ver¬
steht, wenn er einmal den Gang seiner Dialektik unterbricht. Den Verfall
der karolingischen Monarchie leitet Guizot nach dem Vorgang Thierrys aus
dem natürlichen Streben der einzelnen Nationen her, eine individuelle Eristenz
Grenzboten. I. 18ö7. 47
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