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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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berechnet ist, den Charakter der Einseitigkeit in der modernen Civilisation auf¬
zuheben. Um sich den Gang derselben klar zu machen, muß man ihre drei
Elemente unterscheiden: die Reste der altrömischen Bildung (das Kaiserthum,
das Recht, die Municipien), die christliche Kirche und die Germanen.

Die bisherigen französischen Geschichtschreiber hatten nun je nach ihrem
Politischen Princip eines dieser drei Elemente ausschließlich an die Spitze der
Geschichte gestellt; Guizot betrachtet als seine Hauptaufgabe, alle drei in ihr
rechtes Licht zu setzen, ihre gegenseitige Einwirkung an den Tag zu bringen und
nachzuweisen, wie aus dem Jneinanderleben dieser drei Bildungsformen, die
sich ursprünglich im vollsten Sinn des Worts äußerlich gegenüberstanden, die
moderne Civilisation hervorgegangen ist. In dieser Vielseitigkeit der Gesichts¬
punkte ist er in der That der objectivste Geschichtschreiber Frankreichs und darf
die Bezeichnung eines philosophischen Denkers in Anspruch nehmen.

Dagegen leidet er an einer andern Einseitigkeit, die uns bei einer so
gelehrten Bildung unglaublich erscheint. Schon in der Einleitung stellt er die
französische Bildung als den Herd und den Mittelpunkt der allgemeinen euro¬
päischen Bildung dar. Es sei den Franzosen gelungen, die beiden Momente
der Civilisation, das sociale und das individuelle, das praktische und theore¬
tische , am sichersten ins Gleichgewicht zu bringen. Wenn man geneigt sein
wollte, diese einseitige Ansicht aus einer patriotischen Uebertreibung herzuleiten,
so wird man in der sechzehnten Vorlesung des zweiten Werks nicht wenig
überrascht, wenn von dem Bürgerstand-behauptet wird, er sei eigentlich nur
Frankreich zu Hause. Diese Ansicht ist so unerhört, daß wir sie hier wört¬
lich citiren: ^ulw part, I-r bourxeoisie, le I'ters-Lot, n'-r reyu un an88i com-
plet övveloppLMEnt" n'k en rue ällstinLö an88i vgsle, kwssi t'üooncle cju'en
Kranes. II ^ a als8 eomirmriLS äans toute I'Lurops.....M pourtant e'est,
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toute I'^mope; U n'^ a on vraimeM as tiers-IZtat qu'on Kranes, Aber selbst
das ist noch nicht das Aergste. Bald darauf setzt er auseinander, daß, so
sehr man Ursache hat, den Verfall des freien Communallebens zu beklagen,
Man doch nicht vergessen dürfe, daß in diesem Communalleben eine unüber¬
windliche Einseitigkeit geherrscht habe. Der Geist des Particularismus sei in
den Städten verknöchert gewesen, sie hätten sich nicht einmal zu dem doch so
naheliegenden Gedanken erhoben, sich untereinander gegen die Ritter und
Bürsten zu verbünden. Bei dieser Deduction, die in der neunzehnten Vor¬
lesung vorkommt, fällt es einem Deutschen wirklich schwer, ernst zu bleiben.
Es Mre lächerlich anzunehmen, daß Guizot die Geschichte der Hansa nicht
Knut; aber er hat sie in diesem Augenblick vollständig vergessen, sie eristirt


berechnet ist, den Charakter der Einseitigkeit in der modernen Civilisation auf¬
zuheben. Um sich den Gang derselben klar zu machen, muß man ihre drei
Elemente unterscheiden: die Reste der altrömischen Bildung (das Kaiserthum,
das Recht, die Municipien), die christliche Kirche und die Germanen.

Die bisherigen französischen Geschichtschreiber hatten nun je nach ihrem
Politischen Princip eines dieser drei Elemente ausschließlich an die Spitze der
Geschichte gestellt; Guizot betrachtet als seine Hauptaufgabe, alle drei in ihr
rechtes Licht zu setzen, ihre gegenseitige Einwirkung an den Tag zu bringen und
nachzuweisen, wie aus dem Jneinanderleben dieser drei Bildungsformen, die
sich ursprünglich im vollsten Sinn des Worts äußerlich gegenüberstanden, die
moderne Civilisation hervorgegangen ist. In dieser Vielseitigkeit der Gesichts¬
punkte ist er in der That der objectivste Geschichtschreiber Frankreichs und darf
die Bezeichnung eines philosophischen Denkers in Anspruch nehmen.

Dagegen leidet er an einer andern Einseitigkeit, die uns bei einer so
gelehrten Bildung unglaublich erscheint. Schon in der Einleitung stellt er die
französische Bildung als den Herd und den Mittelpunkt der allgemeinen euro¬
päischen Bildung dar. Es sei den Franzosen gelungen, die beiden Momente
der Civilisation, das sociale und das individuelle, das praktische und theore¬
tische , am sichersten ins Gleichgewicht zu bringen. Wenn man geneigt sein
wollte, diese einseitige Ansicht aus einer patriotischen Uebertreibung herzuleiten,
so wird man in der sechzehnten Vorlesung des zweiten Werks nicht wenig
überrascht, wenn von dem Bürgerstand-behauptet wird, er sei eigentlich nur
Frankreich zu Hause. Diese Ansicht ist so unerhört, daß wir sie hier wört¬
lich citiren: ^ulw part, I-r bourxeoisie, le I'ters-Lot, n'-r reyu un an88i com-
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das ist noch nicht das Aergste. Bald darauf setzt er auseinander, daß, so
sehr man Ursache hat, den Verfall des freien Communallebens zu beklagen,
Man doch nicht vergessen dürfe, daß in diesem Communalleben eine unüber¬
windliche Einseitigkeit geherrscht habe. Der Geist des Particularismus sei in
den Städten verknöchert gewesen, sie hätten sich nicht einmal zu dem doch so
naheliegenden Gedanken erhoben, sich untereinander gegen die Ritter und
Bürsten zu verbünden. Bei dieser Deduction, die in der neunzehnten Vor¬
lesung vorkommt, fällt es einem Deutschen wirklich schwer, ernst zu bleiben.
Es Mre lächerlich anzunehmen, daß Guizot die Geschichte der Hansa nicht
Knut; aber er hat sie in diesem Augenblick vollständig vergessen, sie eristirt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/373>, abgerufen am 22.12.2024.