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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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zuweilen so hineingelebt, daß ihre ihm zugeeigneten Kompositionen den Ver¬
storbenen selbst irre führen könnten, wenn es ihm einfiele, wiederzukehren und
nachzuschauen, welche solcher Art für seine Unsterblichkeit sorgen.

Da gibt es in Florenz Kopisten, die seit Jahren allmonatlich eine neue
Madonna della Sediola durchpausen; andere in Neapel, welche die Zigeuner¬
madonna des Correggio, ehe die neunundneunzigste Copie trocken ist, schon
wieder zum hundertsten Male in Angriff haben; andere in Venedig, welche,
besser fundirt, sich zu dem kostbaren Goldgrunde Fiesoles aufschwingen, da sie
sicher sind, ihre Auslagen mit Wucher bezahlt zu erhalten.

Aber hin und wieder fällt es auch den Besitzern seltener Originale ein,
die Erlaubniß zum Copiren ganz zu versagen. Fürst Barbarini isolirt z. B.
auf diese Weise die Beatrice ti Cenci des Guido Reni. Die Folge ist, daß
die Copien nicht verschwinden, nicht selten werden, nicht im Preise steigen,
wol aber, daß sie nach und nach etwas sagenhaftes, Gerüchtartiges erhalten,
etwas dem Original Verwandtes und doch Fremdes, der allmciligen Entstellung
vergleichbar, welche die Zeit über eine Persönlichkeit verhängt, deren Spuren
in dem Boden der Geschichte nicht tief eingedrückt sind. Die Cencicopien sind
fast zu jedem Preise -- wir glauben, schon von zwei Scudi anfangend --
in Oel und wirklicher Größe zu haben.

Von componirter Nachahmungen ist uns besonders eine im Gedächtniß
geblieben, welche das Verfahren in dieser Kunstrichtung deutlich macht. Auf
den ersten Blick sah man, daß sichs um einen Guercino handle. Die schwere
Luft des Hintergrunds, die ewig sich gleichbleibende Vertheilung der Gewand- .
färben, die nicht ganz freie Bewegung bei großer Technik, der selten sich än¬
dernde Typus der Kopfe -- alles war Guercino, und das Bild, wie sichs
gab, konnte in seinen großen Verhältnissen eine der Hauptwände jedes Ga¬
lericgebäudes schmücken. Dennoch war es kein echtes. Was niemand ent¬
decken konnte, der nicht alle möglichen Sammlungen Italiens durchgemustert
hatte, das fiel demjenigen doch gleich in die Augen, der diese Studien zu
Hilfe rufen konnte. Aus etwa drei weit auseinandergestreuten Guercinos war
mit Geschick ein Compler von Figuren dieses Meisters zusammengetragen wor¬
den, und man hatte solcher Art eine Copie vor sich, die sich in ihrer eigen¬
thümlichen Erscheinung doch für Original ausgeben durste.

Es liegt auf der Hand, daß trotz der ebenbürtigen Ausführung, dem
schielenden Meister doch mit einer solchen Anthologie seiner Eigenheiten ein
schlechter Dienst geleistet wurde. Anleihen bei sich selbst sind in der Kunst
nicht viel besser als die bei andern. Veruntreuungen dieser Art haben mehr
als einen Künstler in den Nus> der Erfindungsarmuth gebracht.

Begreiflicherweise führt das Fälschungssystem im Allgemeinen dahin, daß
auf dem Kunstgebiete man über Echt und Unecht nicht weniger streitet, als


zuweilen so hineingelebt, daß ihre ihm zugeeigneten Kompositionen den Ver¬
storbenen selbst irre führen könnten, wenn es ihm einfiele, wiederzukehren und
nachzuschauen, welche solcher Art für seine Unsterblichkeit sorgen.

Da gibt es in Florenz Kopisten, die seit Jahren allmonatlich eine neue
Madonna della Sediola durchpausen; andere in Neapel, welche die Zigeuner¬
madonna des Correggio, ehe die neunundneunzigste Copie trocken ist, schon
wieder zum hundertsten Male in Angriff haben; andere in Venedig, welche,
besser fundirt, sich zu dem kostbaren Goldgrunde Fiesoles aufschwingen, da sie
sicher sind, ihre Auslagen mit Wucher bezahlt zu erhalten.

Aber hin und wieder fällt es auch den Besitzern seltener Originale ein,
die Erlaubniß zum Copiren ganz zu versagen. Fürst Barbarini isolirt z. B.
auf diese Weise die Beatrice ti Cenci des Guido Reni. Die Folge ist, daß
die Copien nicht verschwinden, nicht selten werden, nicht im Preise steigen,
wol aber, daß sie nach und nach etwas sagenhaftes, Gerüchtartiges erhalten,
etwas dem Original Verwandtes und doch Fremdes, der allmciligen Entstellung
vergleichbar, welche die Zeit über eine Persönlichkeit verhängt, deren Spuren
in dem Boden der Geschichte nicht tief eingedrückt sind. Die Cencicopien sind
fast zu jedem Preise — wir glauben, schon von zwei Scudi anfangend —
in Oel und wirklicher Größe zu haben.

Von componirter Nachahmungen ist uns besonders eine im Gedächtniß
geblieben, welche das Verfahren in dieser Kunstrichtung deutlich macht. Auf
den ersten Blick sah man, daß sichs um einen Guercino handle. Die schwere
Luft des Hintergrunds, die ewig sich gleichbleibende Vertheilung der Gewand- .
färben, die nicht ganz freie Bewegung bei großer Technik, der selten sich än¬
dernde Typus der Kopfe — alles war Guercino, und das Bild, wie sichs
gab, konnte in seinen großen Verhältnissen eine der Hauptwände jedes Ga¬
lericgebäudes schmücken. Dennoch war es kein echtes. Was niemand ent¬
decken konnte, der nicht alle möglichen Sammlungen Italiens durchgemustert
hatte, das fiel demjenigen doch gleich in die Augen, der diese Studien zu
Hilfe rufen konnte. Aus etwa drei weit auseinandergestreuten Guercinos war
mit Geschick ein Compler von Figuren dieses Meisters zusammengetragen wor¬
den, und man hatte solcher Art eine Copie vor sich, die sich in ihrer eigen¬
thümlichen Erscheinung doch für Original ausgeben durste.

Es liegt auf der Hand, daß trotz der ebenbürtigen Ausführung, dem
schielenden Meister doch mit einer solchen Anthologie seiner Eigenheiten ein
schlechter Dienst geleistet wurde. Anleihen bei sich selbst sind in der Kunst
nicht viel besser als die bei andern. Veruntreuungen dieser Art haben mehr
als einen Künstler in den Nus> der Erfindungsarmuth gebracht.

Begreiflicherweise führt das Fälschungssystem im Allgemeinen dahin, daß
auf dem Kunstgebiete man über Echt und Unecht nicht weniger streitet, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/37>, abgerufen am 22.12.2024.