Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.wie sie, ein höhnisches Landmädchen, aus dem Volke heraufkam, in Dresden zur Es wäre ungerecht, deshalb zu verkennen, daß viel Interessantes und wie sie, ein höhnisches Landmädchen, aus dem Volke heraufkam, in Dresden zur Es wäre ungerecht, deshalb zu verkennen, daß viel Interessantes und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103487"/> <p xml:id="ID_1274" prev="#ID_1273"> wie sie, ein höhnisches Landmädchen, aus dem Volke heraufkam, in Dresden zur<lb/> Sängerin wurde und in Pesth zuerst die Herrschaft auf der Bühne gewann.<lb/> Mit Geist, ja mir Scharfsinn weiß sie einige ihrer großen Rollen zu analysiren<lb/> und ihre musikalische und dramatische Auffassung derselben in klarer Darstellung<lb/> wiederzugeben. In dem, was sie über ihr eignes Leben erzählt, ist durchweg<lb/> die Haltung einer gebildeten Frau, es ist kein niedriger Zug darin, wol aber<lb/> manches, was man in der Theaterwelt selten findet, ein unablässiges ernstes<lb/> Ringen nach Schönheit und Wahrheit, zu unruhig vielleicht, um immer sichere<lb/> Resultate zu geben, aber stets ein Schild gegen die gewöhnlichen Versuchungen<lb/> des Enthusiasmus. Auch Zartgefühl und die Discretion, welche der Frau<lb/> ziemt, vermissen wir nicht, ja diese nöthigt uns auch Achtung ab, wo sie<lb/> der Wirkung des Buches einigen Schaden thut. Es ist sehr in der Ordnung,<lb/> daß sie ihre Lebensgeschichte da schließt, wo sie das Theater verläßt, denn ihr<lb/> späteres Leben, wie reich es an Bewegung, Schmerz und Freude gewesen sein<lb/> mag, gehört nicht der Oeffentlichkeit an, und wer das Buch in die Hand<lb/> nimmt, nur um etwas über diese spätere Zeit zu erfahren, dem sei die Strafe<lb/> einer völligen Enttäuschung von Herzen gegönnt. Aber wiewohl es ihrem Buche<lb/> steht, daß sie am rechten Ort zu schließen weiß, so ist doch die Discretion der<lb/> Frau auch in dem Bericht über ihre letzten Wanderjahre Ursache, daß dem<lb/> Leser das Interesse an dieser Zeit geringer wird. Sie gibt wenig von ihrem<lb/> innern Leben und Empfinden; wo der Lesende das Recht hat, auch von der<lb/> Entwicklung, den innern Kämpfen und Wandlungen einer interessanten Per-<lb/> sönlichkeit zu erfahren, da tritt eine zurückhaltende Aufzählung der Gastspiele,<lb/> Reisen und flüchtiger Bekanntschaften ein. Wir glauben nicht artig, sondern<lb/> wahr zu urtheilen, wenn wir diese Magerkeit der Erzählung dem ehrenwerthen<lb/> Zartgefühl allein und nicht einem Mangel ihrer Seele zuschreiben, aber wir,<lb/> das Publicum, so bereit wir sind, solche Stimmung zu ehren, haben doch das<lb/> Recht, zu fragen, warum dann das Buch schreiben, wenn man nicht alles<lb/> sagen will, was hinein gehört, um das Buch zu einem guten Buche zu machen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1275" next="#ID_1276"> Es wäre ungerecht, deshalb zu verkennen, daß viel Interessantes und<lb/> nicht wenig Liebenswürdiges darin zu finden ist; und wenn das Ganze doch<lb/> keinen reinen Eindruck macht, und ein Gefühl von Depression beim Schluß<lb/> übermächtig wird, so liegt der Grund noch in etwas Anverm. Wieder ein<lb/> Künstlerleben, das in poetischem Dust und sehnsüchtiger Erwartung begonnen,<lb/> mit blendendem Glänze aufstieg und in bleicher Resignation endigte. Die<lb/> glänzendste aller Künste, voll rauschender Erfolge, mächtiger Effecte und ange¬<lb/> strengter schöner. Arbeit, überhäuft mit allem, was das Selbstgefühl emportreiben<lb/> und die Phantasie befriedigen kann, und doch keine innere Befriedigung, keine ste¬<lb/> tige, gesetzvolle Gestaltung ti!s Lebens von innen nach außen; ein ewiger Wechsel<lb/> von Emotion und Unsicherheit, ein ewiges unerfülltes Suchen, Verlangen, Hei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0354]
wie sie, ein höhnisches Landmädchen, aus dem Volke heraufkam, in Dresden zur
Sängerin wurde und in Pesth zuerst die Herrschaft auf der Bühne gewann.
Mit Geist, ja mir Scharfsinn weiß sie einige ihrer großen Rollen zu analysiren
und ihre musikalische und dramatische Auffassung derselben in klarer Darstellung
wiederzugeben. In dem, was sie über ihr eignes Leben erzählt, ist durchweg
die Haltung einer gebildeten Frau, es ist kein niedriger Zug darin, wol aber
manches, was man in der Theaterwelt selten findet, ein unablässiges ernstes
Ringen nach Schönheit und Wahrheit, zu unruhig vielleicht, um immer sichere
Resultate zu geben, aber stets ein Schild gegen die gewöhnlichen Versuchungen
des Enthusiasmus. Auch Zartgefühl und die Discretion, welche der Frau
ziemt, vermissen wir nicht, ja diese nöthigt uns auch Achtung ab, wo sie
der Wirkung des Buches einigen Schaden thut. Es ist sehr in der Ordnung,
daß sie ihre Lebensgeschichte da schließt, wo sie das Theater verläßt, denn ihr
späteres Leben, wie reich es an Bewegung, Schmerz und Freude gewesen sein
mag, gehört nicht der Oeffentlichkeit an, und wer das Buch in die Hand
nimmt, nur um etwas über diese spätere Zeit zu erfahren, dem sei die Strafe
einer völligen Enttäuschung von Herzen gegönnt. Aber wiewohl es ihrem Buche
steht, daß sie am rechten Ort zu schließen weiß, so ist doch die Discretion der
Frau auch in dem Bericht über ihre letzten Wanderjahre Ursache, daß dem
Leser das Interesse an dieser Zeit geringer wird. Sie gibt wenig von ihrem
innern Leben und Empfinden; wo der Lesende das Recht hat, auch von der
Entwicklung, den innern Kämpfen und Wandlungen einer interessanten Per-
sönlichkeit zu erfahren, da tritt eine zurückhaltende Aufzählung der Gastspiele,
Reisen und flüchtiger Bekanntschaften ein. Wir glauben nicht artig, sondern
wahr zu urtheilen, wenn wir diese Magerkeit der Erzählung dem ehrenwerthen
Zartgefühl allein und nicht einem Mangel ihrer Seele zuschreiben, aber wir,
das Publicum, so bereit wir sind, solche Stimmung zu ehren, haben doch das
Recht, zu fragen, warum dann das Buch schreiben, wenn man nicht alles
sagen will, was hinein gehört, um das Buch zu einem guten Buche zu machen?
Es wäre ungerecht, deshalb zu verkennen, daß viel Interessantes und
nicht wenig Liebenswürdiges darin zu finden ist; und wenn das Ganze doch
keinen reinen Eindruck macht, und ein Gefühl von Depression beim Schluß
übermächtig wird, so liegt der Grund noch in etwas Anverm. Wieder ein
Künstlerleben, das in poetischem Dust und sehnsüchtiger Erwartung begonnen,
mit blendendem Glänze aufstieg und in bleicher Resignation endigte. Die
glänzendste aller Künste, voll rauschender Erfolge, mächtiger Effecte und ange¬
strengter schöner. Arbeit, überhäuft mit allem, was das Selbstgefühl emportreiben
und die Phantasie befriedigen kann, und doch keine innere Befriedigung, keine ste¬
tige, gesetzvolle Gestaltung ti!s Lebens von innen nach außen; ein ewiger Wechsel
von Emotion und Unsicherheit, ein ewiges unerfülltes Suchen, Verlangen, Hei-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |