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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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kleine Vorspiele zu der großen parlamentarischen Schlacht gegeben, die nächstens
über das Schicksal der von der Regierung vorgelegten Steuergesetzentwürse
entscheiden soll. Die tiefe Indifferenz, der sich unser Publicum seit lange den
Verhandlungen der Landesvertretung gegenüber befleißigte -- eine Stimmung,
die in den stereotypen Witzen des Kladderadatsch einen nur, zu getreuen Aus¬
druck findet -- ist wenigstens bei dieser Gelegenheit einem sehr regen Antheil
gewichen. Der gute Bürger, der bisher sehr einer Anschauung nachging, die
aus der von der Demokratie im Jahr 1849 angenommenen Enthaltsamskeits-
Politik entsprang und unserer Verfassung jede Bedeutung und jeden Nutzen
abzuleugnen liebte, kommt jetzt allgemach zur Ueberzeugung, daß seine Vertreter
bei Dingen, die ihn und seinen Geldbeutel höchlich interessiren, doch ein sehr
gewichtiges Wort mitzusprechen haben, und daß er vielleicht weiser gehandelt
hätte, wäre er etwas weniger politischer Philosoph und etwas eifriger bei den
Wahlen gewesen. Denn obwol allem Anschein nach die gouvernementalen
Sleuerprojecte sehr geringe Aussicht haben angenommen zu werden, da nicht
nur die Fraktionen der Opposition, sondern auch die ritterschaftliche Partei
sehr entschieden gegen sie gestimmt sind, so läßt die große Zahl abhängiger
Beamtendeputirten immer noch die Möglichkeit einer für die Negierung gün¬
stigen Wendung offen. Nicht zum ersten Male hätten sich bei uns aus oppo¬
sitionellen Beschlüssen der Commissionen ministeriale Beschlüsse des Plenums
entwickelt, und selbst der vorausgesagte unbeugsame Widerstand des Herren¬
hauses ist, ehe er zur That geworden, nicht hinreichend, um die bösen Träume
von dem Lager unserer bedrohten Hausbesitzer zu verscheuchen.

Die Vereinigung der drei Fractionen der Linken -- der Konstitutionellen,
Bethmann-Hollwegianer und Katholiken -- die Niedersetzung einer gemein¬
schaftlichen Parteicommission, der Abdruck der Protokolle ihrer Berathungen und
endlich als Resultat dieser Thätigkeit der patowsche Antrag mit seinen so vor¬
trefflich und klar entwickelten Motiven haben unter diesen Umständen in der
Presse wie im Publicum ebenso große Beachtung als Anerkennung gefunden.
Die Berathungen der Commission verbreiten sich, über die Wiedereinführung
der dreijährigen Dienstzeit im Heere und über die Gebäudesteuer. In Betreff
ersterer war die Ansicht vorherrschend, die sie zum mindesten bei der Infanterie
für überflüssig erklärt und die Kraft und den Geist in unserer Kriegsverfassung
auf andere Grundlagen stützen will, als die Annäherung an die militärischen
Einrichtungen der uns umgebenden continentalen Großmächte, die sowol durch
ihre ungleich größern Mittel, als ihre zum Theil sehr von den unsrigen ab¬
weichenden Zwecke auf eine ganz verschiedene Militärorganisation angewiesen
find. Höchst umfassend und eindringend waren die über die Gebäudesteuer
gepflogenen Erörterungen. Obwol sie durch den patowscben Antrag, der princi-
Paliter sämmtliche Steuervorlagen als nicht durch die Nothwendigkeit geboten


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kleine Vorspiele zu der großen parlamentarischen Schlacht gegeben, die nächstens
über das Schicksal der von der Regierung vorgelegten Steuergesetzentwürse
entscheiden soll. Die tiefe Indifferenz, der sich unser Publicum seit lange den
Verhandlungen der Landesvertretung gegenüber befleißigte — eine Stimmung,
die in den stereotypen Witzen des Kladderadatsch einen nur, zu getreuen Aus¬
druck findet — ist wenigstens bei dieser Gelegenheit einem sehr regen Antheil
gewichen. Der gute Bürger, der bisher sehr einer Anschauung nachging, die
aus der von der Demokratie im Jahr 1849 angenommenen Enthaltsamskeits-
Politik entsprang und unserer Verfassung jede Bedeutung und jeden Nutzen
abzuleugnen liebte, kommt jetzt allgemach zur Ueberzeugung, daß seine Vertreter
bei Dingen, die ihn und seinen Geldbeutel höchlich interessiren, doch ein sehr
gewichtiges Wort mitzusprechen haben, und daß er vielleicht weiser gehandelt
hätte, wäre er etwas weniger politischer Philosoph und etwas eifriger bei den
Wahlen gewesen. Denn obwol allem Anschein nach die gouvernementalen
Sleuerprojecte sehr geringe Aussicht haben angenommen zu werden, da nicht
nur die Fraktionen der Opposition, sondern auch die ritterschaftliche Partei
sehr entschieden gegen sie gestimmt sind, so läßt die große Zahl abhängiger
Beamtendeputirten immer noch die Möglichkeit einer für die Negierung gün¬
stigen Wendung offen. Nicht zum ersten Male hätten sich bei uns aus oppo¬
sitionellen Beschlüssen der Commissionen ministeriale Beschlüsse des Plenums
entwickelt, und selbst der vorausgesagte unbeugsame Widerstand des Herren¬
hauses ist, ehe er zur That geworden, nicht hinreichend, um die bösen Träume
von dem Lager unserer bedrohten Hausbesitzer zu verscheuchen.

Die Vereinigung der drei Fractionen der Linken — der Konstitutionellen,
Bethmann-Hollwegianer und Katholiken — die Niedersetzung einer gemein¬
schaftlichen Parteicommission, der Abdruck der Protokolle ihrer Berathungen und
endlich als Resultat dieser Thätigkeit der patowsche Antrag mit seinen so vor¬
trefflich und klar entwickelten Motiven haben unter diesen Umständen in der
Presse wie im Publicum ebenso große Beachtung als Anerkennung gefunden.
Die Berathungen der Commission verbreiten sich, über die Wiedereinführung
der dreijährigen Dienstzeit im Heere und über die Gebäudesteuer. In Betreff
ersterer war die Ansicht vorherrschend, die sie zum mindesten bei der Infanterie
für überflüssig erklärt und die Kraft und den Geist in unserer Kriegsverfassung
auf andere Grundlagen stützen will, als die Annäherung an die militärischen
Einrichtungen der uns umgebenden continentalen Großmächte, die sowol durch
ihre ungleich größern Mittel, als ihre zum Theil sehr von den unsrigen ab¬
weichenden Zwecke auf eine ganz verschiedene Militärorganisation angewiesen
find. Höchst umfassend und eindringend waren die über die Gebäudesteuer
gepflogenen Erörterungen. Obwol sie durch den patowscben Antrag, der princi-
Paliter sämmtliche Steuervorlagen als nicht durch die Nothwendigkeit geboten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/347>, abgerufen am 23.07.2024.