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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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seltsamen Gespann vor uns. Aber der Mann blickt so sorglich und so freudig
auf die Bürde dieses Esels: ein Mantel ist über ihn gebreitet und darauf sitzt
vorwärts gebogen eine weibliche Gestalt, über den ideal behandelten Mantel
den Reisehut gehängt, das Gesicht vom Schleier umfaßt; von dem Gegenstand,
den ihre Arme halten, ist nur ein eingehüllter Kopf sichtbar. Die ganze
Gestalt mit dem feinen Gesichtsprofil ist trefflich abgerundet, und man steht,
sie sitzt ohne Aengstlichkeit, über ein theures Unterpfand sich beugend; in diesem
Moment aber hat sie die Aufmerksamkeit auf den sich zu ihr umwendenden
Führer gerichtet.

Doch warum lassen wir uns auch hier an einer einfach wandernden Fami¬
lie: Mann, Frau und Kind mit ihren zwei Thieren, dem einzigen Besitz,
wie es scheint, nicht genügen? Die Antwort ist in der wunderbaren, schräg
aus der Höhe kommenden Beleuchtung gegeben^ die aus der Gruppe, dem
Wege ruht und immer abnehmend an jedem Baumstamm, jedem Blatte des
Vordergrundes ausklingt. Das ist kein Sonnenstrahl, der durch eine Lücke
des Blätterdaches dringt, nein, eine Lichtwolke, die mit durch den Wald sich
hinzieht, voraufzieht den Wanderern und in der Engelköpse, mannigfaltig geordnet,
auf und nieder blicken. Jetzt werden wir über die wunderbare Stimmung
dieser Wald- und Reisescene erst recht klar werde". Wir werden auch jener
Fruchtfülle als einer speciellen Gabe an diese Wanderer uns erfreuen.
Selbst der ruhende Hirsch, der Hase, die vorn aus dem Gewässer heraus¬
kriechende häßliche, den Rachen öffnende Eidechse, werden nicht ohne Beziehung
ZU der den Wald durchziehenden Mutter mit dem Kind, das über Himmel und
Erde Gewalt hat, zu der nach Aegvpten fliehenden heiligen Familie bleiben.

Das dritte Blatt wirb am wenigsten eine zu aller Zeit verständliche, uns
>n der Gegenwart anmuthende Sprache reden. Es galt drei Heilige, wie
sie als Schutzheilige auf einem bestimmten Altar im Schnitzwerk der Gemälde
gebildet wurden, im Holzschnitt dem Einzelnen als seine besondern Schützer
>n die Hand zu geben, sie an der Wand seines Zimmers aufgehängt dauernd
in vergegenwärtigen. Wir haben viel derartige Blätter von Dürer, mehre
"heben sich aber zu einem tief durchdachten religiösen Vorgang. Hier treten
uns der heilige Gregor, Laurentius und Stephanus einfach in fast
statuarischer Ruhe entgegen. Offenbar sind diese drei als der Bischof und
die beiden dienenden Diaionen zusammengestellt: jener in der Mitte vollständig
du ksoe in architektonischem äußern wie innern Gleichgewicht, diese zu den
Seiten in der Seitenbiegung des Kopfes Unterordnung und den Zug schmerz¬
lichen Leidens aussprechend. Wie großartig sind auch hier die ganzen Ge¬
stalten in ihrer kirchlichen reichen Tracht im großen Faltenwurf aufgefaßt!
Nur die untern, auf der Erde ausstoßenden Gewänder erinnern uns noch an
die kleinliche Faltenzerknitterung Wohlgemuths. Und vor allem der Mittel-


Grenzboten. I. 1837.

seltsamen Gespann vor uns. Aber der Mann blickt so sorglich und so freudig
auf die Bürde dieses Esels: ein Mantel ist über ihn gebreitet und darauf sitzt
vorwärts gebogen eine weibliche Gestalt, über den ideal behandelten Mantel
den Reisehut gehängt, das Gesicht vom Schleier umfaßt; von dem Gegenstand,
den ihre Arme halten, ist nur ein eingehüllter Kopf sichtbar. Die ganze
Gestalt mit dem feinen Gesichtsprofil ist trefflich abgerundet, und man steht,
sie sitzt ohne Aengstlichkeit, über ein theures Unterpfand sich beugend; in diesem
Moment aber hat sie die Aufmerksamkeit auf den sich zu ihr umwendenden
Führer gerichtet.

Doch warum lassen wir uns auch hier an einer einfach wandernden Fami¬
lie: Mann, Frau und Kind mit ihren zwei Thieren, dem einzigen Besitz,
wie es scheint, nicht genügen? Die Antwort ist in der wunderbaren, schräg
aus der Höhe kommenden Beleuchtung gegeben^ die aus der Gruppe, dem
Wege ruht und immer abnehmend an jedem Baumstamm, jedem Blatte des
Vordergrundes ausklingt. Das ist kein Sonnenstrahl, der durch eine Lücke
des Blätterdaches dringt, nein, eine Lichtwolke, die mit durch den Wald sich
hinzieht, voraufzieht den Wanderern und in der Engelköpse, mannigfaltig geordnet,
auf und nieder blicken. Jetzt werden wir über die wunderbare Stimmung
dieser Wald- und Reisescene erst recht klar werde». Wir werden auch jener
Fruchtfülle als einer speciellen Gabe an diese Wanderer uns erfreuen.
Selbst der ruhende Hirsch, der Hase, die vorn aus dem Gewässer heraus¬
kriechende häßliche, den Rachen öffnende Eidechse, werden nicht ohne Beziehung
ZU der den Wald durchziehenden Mutter mit dem Kind, das über Himmel und
Erde Gewalt hat, zu der nach Aegvpten fliehenden heiligen Familie bleiben.

Das dritte Blatt wirb am wenigsten eine zu aller Zeit verständliche, uns
>n der Gegenwart anmuthende Sprache reden. Es galt drei Heilige, wie
sie als Schutzheilige auf einem bestimmten Altar im Schnitzwerk der Gemälde
gebildet wurden, im Holzschnitt dem Einzelnen als seine besondern Schützer
>n die Hand zu geben, sie an der Wand seines Zimmers aufgehängt dauernd
in vergegenwärtigen. Wir haben viel derartige Blätter von Dürer, mehre
«heben sich aber zu einem tief durchdachten religiösen Vorgang. Hier treten
uns der heilige Gregor, Laurentius und Stephanus einfach in fast
statuarischer Ruhe entgegen. Offenbar sind diese drei als der Bischof und
die beiden dienenden Diaionen zusammengestellt: jener in der Mitte vollständig
du ksoe in architektonischem äußern wie innern Gleichgewicht, diese zu den
Seiten in der Seitenbiegung des Kopfes Unterordnung und den Zug schmerz¬
lichen Leidens aussprechend. Wie großartig sind auch hier die ganzen Ge¬
stalten in ihrer kirchlichen reichen Tracht im großen Faltenwurf aufgefaßt!
Nur die untern, auf der Erde ausstoßenden Gewänder erinnern uns noch an
die kleinliche Faltenzerknitterung Wohlgemuths. Und vor allem der Mittel-


Grenzboten. I. 1837.
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[0345] seltsamen Gespann vor uns. Aber der Mann blickt so sorglich und so freudig auf die Bürde dieses Esels: ein Mantel ist über ihn gebreitet und darauf sitzt vorwärts gebogen eine weibliche Gestalt, über den ideal behandelten Mantel den Reisehut gehängt, das Gesicht vom Schleier umfaßt; von dem Gegenstand, den ihre Arme halten, ist nur ein eingehüllter Kopf sichtbar. Die ganze Gestalt mit dem feinen Gesichtsprofil ist trefflich abgerundet, und man steht, sie sitzt ohne Aengstlichkeit, über ein theures Unterpfand sich beugend; in diesem Moment aber hat sie die Aufmerksamkeit auf den sich zu ihr umwendenden Führer gerichtet. Doch warum lassen wir uns auch hier an einer einfach wandernden Fami¬ lie: Mann, Frau und Kind mit ihren zwei Thieren, dem einzigen Besitz, wie es scheint, nicht genügen? Die Antwort ist in der wunderbaren, schräg aus der Höhe kommenden Beleuchtung gegeben^ die aus der Gruppe, dem Wege ruht und immer abnehmend an jedem Baumstamm, jedem Blatte des Vordergrundes ausklingt. Das ist kein Sonnenstrahl, der durch eine Lücke des Blätterdaches dringt, nein, eine Lichtwolke, die mit durch den Wald sich hinzieht, voraufzieht den Wanderern und in der Engelköpse, mannigfaltig geordnet, auf und nieder blicken. Jetzt werden wir über die wunderbare Stimmung dieser Wald- und Reisescene erst recht klar werde». Wir werden auch jener Fruchtfülle als einer speciellen Gabe an diese Wanderer uns erfreuen. Selbst der ruhende Hirsch, der Hase, die vorn aus dem Gewässer heraus¬ kriechende häßliche, den Rachen öffnende Eidechse, werden nicht ohne Beziehung ZU der den Wald durchziehenden Mutter mit dem Kind, das über Himmel und Erde Gewalt hat, zu der nach Aegvpten fliehenden heiligen Familie bleiben. Das dritte Blatt wirb am wenigsten eine zu aller Zeit verständliche, uns >n der Gegenwart anmuthende Sprache reden. Es galt drei Heilige, wie sie als Schutzheilige auf einem bestimmten Altar im Schnitzwerk der Gemälde gebildet wurden, im Holzschnitt dem Einzelnen als seine besondern Schützer >n die Hand zu geben, sie an der Wand seines Zimmers aufgehängt dauernd in vergegenwärtigen. Wir haben viel derartige Blätter von Dürer, mehre «heben sich aber zu einem tief durchdachten religiösen Vorgang. Hier treten uns der heilige Gregor, Laurentius und Stephanus einfach in fast statuarischer Ruhe entgegen. Offenbar sind diese drei als der Bischof und die beiden dienenden Diaionen zusammengestellt: jener in der Mitte vollständig du ksoe in architektonischem äußern wie innern Gleichgewicht, diese zu den Seiten in der Seitenbiegung des Kopfes Unterordnung und den Zug schmerz¬ lichen Leidens aussprechend. Wie großartig sind auch hier die ganzen Ge¬ stalten in ihrer kirchlichen reichen Tracht im großen Faltenwurf aufgefaßt! Nur die untern, auf der Erde ausstoßenden Gewänder erinnern uns noch an die kleinliche Faltenzerknitterung Wohlgemuths. Und vor allem der Mittel- Grenzboten. I. 1837.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/345>, abgerufen am 23.07.2024.