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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Hauptes, wie geht er in innerer Theilnahme weit über diesen unmittelbaren
Act hinaus, voll Freude und doch Ernst, ja Wehmuth! Die großartigste Gestalt
des ganzen Bildes ist offenbar der Maria gegenüber links in den nächsten
Vordergrund gerückte Joachim. Eine schon im Körpermaß die anderen über¬
ragende Gestalt. Und welches Profil im gewaltigen Bart sortgesetzt, während
ein Kopftuch nach hinten vom Kopf zum Körper unmittelbar überleitet! Die
Falten des schweren Gewandes setzen die großen Linien durchaus fort. Er
hält in der Linken eine Nelke vor sich, während seine Rechte zurückgewandt
den Rosenkranz zeigt. Was die Legende ihm zuweist, strenge Ascese und
sicherer Glaube an die Verheißung, deren Symbol ihm die Blume zu sein
scheint, ist hier vollendet ausgesprochen. Wie er sein Auge von dem Mittel¬
punkt der Situation abgewendet hat, nur sest vor sich schauend, so ist im
Gegentheil Joseph, mit entblößtem Haupte, die Pelzkappe in der Hand, ganz
auf die Handlung gerichtet. So ist in der That eine einfache freundliche
Familienscene zu einem weit hinausweisenden Charakterbild geworden, und der
religiöse Ernst konnte auch die letzte Andeutung eines Heiligenscheines ver¬
schmähen, um grade individuell die einzelnen Gestalten zu beherrschen.

Das zweite Bild gehört zu den in der Technik gradezu bewundernswerthen;
zugleich ist eine Gesammtstimmung in der Natur wie den Menschen ausgeprägt,
daß wir hier entschieden an das Vermögen eines Coreggio oder Tizian er¬
innert werden, während das erstere uns eine dem Michel Angelo mehr ver¬
wandte Kraft zeigte. Wir blicken in einen tiefen Wald, durch den ein schmaler
Weg führt, der aber in dem niedrigen Gehege wie der kleinen gewölbten
Steinbrücke als ein von menschlicher Hand nicht vernachlässigter sich zeigt. Das
stehende Gewässer ist hinter der Brücke vom dichtesten Gebüsch überwachsen,
das besonders in einem üppigen, baumartigen Weinstock seinen Mittelpunkt
findet. Um so tiefer kann der Blick daneben in das etwas wellenförmige
Waldesgrün zwischen den Baumstämmen eindringen. Lassen die hintern Bäume
durchaus keine von der unsn'gen verschiedene Vegetation ahnen, so hat schon jener
Weinstock mit der Fülle seiner Trauben uns südlich gelockt, aber "koch über¬
raschender ist der mächtige Palmbaum im Vordergrund, dessen schwanke Zweige,
dessen Dattelbüschel aus dem schuppigen Stamm reich emporsprießen, und
drüben neben jenem Weinstock erhebt sich ein zweiter, eigen gewundener Palm¬
baum, sichtlich von anderer Species, auch mit andern Fruchtbüscheln. Wir sehen,
die Natur beut den daherziehenden Reisenden reiche Labung.

Wer sind diese? Sähen wir blos den vorausgehenden, einen Zügel hal¬
tenden Mann mit dem Stock über der Schulter, dem etwas fliegenden Mantel,
dem Wamms und der umgehängten Tasche, den Kniegürteln und plumpen
Schuhen, blos den bedächtig schreitenden Esel und daS ihn begleitende muntere
Oechslein, wir hätten einen einfachen Arbeitsmann mit einem allerdings etwas


Hauptes, wie geht er in innerer Theilnahme weit über diesen unmittelbaren
Act hinaus, voll Freude und doch Ernst, ja Wehmuth! Die großartigste Gestalt
des ganzen Bildes ist offenbar der Maria gegenüber links in den nächsten
Vordergrund gerückte Joachim. Eine schon im Körpermaß die anderen über¬
ragende Gestalt. Und welches Profil im gewaltigen Bart sortgesetzt, während
ein Kopftuch nach hinten vom Kopf zum Körper unmittelbar überleitet! Die
Falten des schweren Gewandes setzen die großen Linien durchaus fort. Er
hält in der Linken eine Nelke vor sich, während seine Rechte zurückgewandt
den Rosenkranz zeigt. Was die Legende ihm zuweist, strenge Ascese und
sicherer Glaube an die Verheißung, deren Symbol ihm die Blume zu sein
scheint, ist hier vollendet ausgesprochen. Wie er sein Auge von dem Mittel¬
punkt der Situation abgewendet hat, nur sest vor sich schauend, so ist im
Gegentheil Joseph, mit entblößtem Haupte, die Pelzkappe in der Hand, ganz
auf die Handlung gerichtet. So ist in der That eine einfache freundliche
Familienscene zu einem weit hinausweisenden Charakterbild geworden, und der
religiöse Ernst konnte auch die letzte Andeutung eines Heiligenscheines ver¬
schmähen, um grade individuell die einzelnen Gestalten zu beherrschen.

Das zweite Bild gehört zu den in der Technik gradezu bewundernswerthen;
zugleich ist eine Gesammtstimmung in der Natur wie den Menschen ausgeprägt,
daß wir hier entschieden an das Vermögen eines Coreggio oder Tizian er¬
innert werden, während das erstere uns eine dem Michel Angelo mehr ver¬
wandte Kraft zeigte. Wir blicken in einen tiefen Wald, durch den ein schmaler
Weg führt, der aber in dem niedrigen Gehege wie der kleinen gewölbten
Steinbrücke als ein von menschlicher Hand nicht vernachlässigter sich zeigt. Das
stehende Gewässer ist hinter der Brücke vom dichtesten Gebüsch überwachsen,
das besonders in einem üppigen, baumartigen Weinstock seinen Mittelpunkt
findet. Um so tiefer kann der Blick daneben in das etwas wellenförmige
Waldesgrün zwischen den Baumstämmen eindringen. Lassen die hintern Bäume
durchaus keine von der unsn'gen verschiedene Vegetation ahnen, so hat schon jener
Weinstock mit der Fülle seiner Trauben uns südlich gelockt, aber »koch über¬
raschender ist der mächtige Palmbaum im Vordergrund, dessen schwanke Zweige,
dessen Dattelbüschel aus dem schuppigen Stamm reich emporsprießen, und
drüben neben jenem Weinstock erhebt sich ein zweiter, eigen gewundener Palm¬
baum, sichtlich von anderer Species, auch mit andern Fruchtbüscheln. Wir sehen,
die Natur beut den daherziehenden Reisenden reiche Labung.

Wer sind diese? Sähen wir blos den vorausgehenden, einen Zügel hal¬
tenden Mann mit dem Stock über der Schulter, dem etwas fliegenden Mantel,
dem Wamms und der umgehängten Tasche, den Kniegürteln und plumpen
Schuhen, blos den bedächtig schreitenden Esel und daS ihn begleitende muntere
Oechslein, wir hätten einen einfachen Arbeitsmann mit einem allerdings etwas


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[0344] Hauptes, wie geht er in innerer Theilnahme weit über diesen unmittelbaren Act hinaus, voll Freude und doch Ernst, ja Wehmuth! Die großartigste Gestalt des ganzen Bildes ist offenbar der Maria gegenüber links in den nächsten Vordergrund gerückte Joachim. Eine schon im Körpermaß die anderen über¬ ragende Gestalt. Und welches Profil im gewaltigen Bart sortgesetzt, während ein Kopftuch nach hinten vom Kopf zum Körper unmittelbar überleitet! Die Falten des schweren Gewandes setzen die großen Linien durchaus fort. Er hält in der Linken eine Nelke vor sich, während seine Rechte zurückgewandt den Rosenkranz zeigt. Was die Legende ihm zuweist, strenge Ascese und sicherer Glaube an die Verheißung, deren Symbol ihm die Blume zu sein scheint, ist hier vollendet ausgesprochen. Wie er sein Auge von dem Mittel¬ punkt der Situation abgewendet hat, nur sest vor sich schauend, so ist im Gegentheil Joseph, mit entblößtem Haupte, die Pelzkappe in der Hand, ganz auf die Handlung gerichtet. So ist in der That eine einfache freundliche Familienscene zu einem weit hinausweisenden Charakterbild geworden, und der religiöse Ernst konnte auch die letzte Andeutung eines Heiligenscheines ver¬ schmähen, um grade individuell die einzelnen Gestalten zu beherrschen. Das zweite Bild gehört zu den in der Technik gradezu bewundernswerthen; zugleich ist eine Gesammtstimmung in der Natur wie den Menschen ausgeprägt, daß wir hier entschieden an das Vermögen eines Coreggio oder Tizian er¬ innert werden, während das erstere uns eine dem Michel Angelo mehr ver¬ wandte Kraft zeigte. Wir blicken in einen tiefen Wald, durch den ein schmaler Weg führt, der aber in dem niedrigen Gehege wie der kleinen gewölbten Steinbrücke als ein von menschlicher Hand nicht vernachlässigter sich zeigt. Das stehende Gewässer ist hinter der Brücke vom dichtesten Gebüsch überwachsen, das besonders in einem üppigen, baumartigen Weinstock seinen Mittelpunkt findet. Um so tiefer kann der Blick daneben in das etwas wellenförmige Waldesgrün zwischen den Baumstämmen eindringen. Lassen die hintern Bäume durchaus keine von der unsn'gen verschiedene Vegetation ahnen, so hat schon jener Weinstock mit der Fülle seiner Trauben uns südlich gelockt, aber »koch über¬ raschender ist der mächtige Palmbaum im Vordergrund, dessen schwanke Zweige, dessen Dattelbüschel aus dem schuppigen Stamm reich emporsprießen, und drüben neben jenem Weinstock erhebt sich ein zweiter, eigen gewundener Palm¬ baum, sichtlich von anderer Species, auch mit andern Fruchtbüscheln. Wir sehen, die Natur beut den daherziehenden Reisenden reiche Labung. Wer sind diese? Sähen wir blos den vorausgehenden, einen Zügel hal¬ tenden Mann mit dem Stock über der Schulter, dem etwas fliegenden Mantel, dem Wamms und der umgehängten Tasche, den Kniegürteln und plumpen Schuhen, blos den bedächtig schreitenden Esel und daS ihn begleitende muntere Oechslein, wir hätten einen einfachen Arbeitsmann mit einem allerdings etwas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/344>, abgerufen am 25.08.2024.