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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Allerdings haben wir ja seit mehren Jahren durch den unermüdlichen
und große Opfer nicht scheuenden Eifer N. Weigels eine sehr wichtige Samm¬
lung von trefflichen Reproduktionen alter Holzschnitte erhalten, aber es ist
dieses ausdrücklich als eine Sammlung sür den Kunstkenner und Kunsthistoriker
angelegt, mit dem speciellen Zweck, diejenigen Blätter vorzuführen, die au-
theutich von den erfindenden Meistern selbst geschnitten sind; ihr Ziel ist somit
wesentlich ein wissenschaftliches. Hier wird uns aber im Düreralbum von
einem Meister, dem größten deutschen Künstlergeist des 16. Jahrhunderts,
dessen größte und allgemeinste Bedeutung wol für immer, aber sicher jetzt in der
Fülle seiner im Holzschnitte und Kupferstich niedergelegten Zeichnungen liegt,
eine Reihe des Besten in treuer Nachbildung geboten.

Wol kein Künstler hat es nach seiner ganzen Lebensstellung und Gemüths¬
richtung so wenig verdient, nur ein großer Name im Kreise des Volkes wie
der Gebildeten zu werden, daß die einfache Bekanntschaft mit seinen Werken
und freudige Bewunderung sür dieselben sich zurückziehe in den engen Kreis,
der sich um die Mappe eines Kunstliebhabers etwa sammelt. Und grade bei
Dürer ist dies in dem eminentester Maße der Fall. Res ist nach persön¬
licher Neigung wie wissenschaftlicher Beschäftigung sehr weit von jener un¬
bedingten, liebenswürdigen, aber nicht eben sehr förderlichen und verstandes¬
scharfen Begeisterung für deutsche Kunst er priori entfernt. Grade die Unter¬
suchung jener vielen glücklich zusammentreffenden Lebensrichtungen und Mächte,
jener staunenswerthen Fülle bedeutender Individuen, die Italien in dem
Zeitraum von -1460--1350 zu dem Musterkarte moderner Kunst gemacht
haben, dem gegenüber die inneren Hemmnisse und Gegengewichte, die in
'Deutschland bei der ganzen Culturblüte des städtischen Lebens im 13. Jahrhundert
doch die letzte Entschließung der Blütenknospe individueller deutscher Kunst
gehindert, ja unmöglich gemacht haben, bildet seit Jahren sür ihn einen Gegen¬
stand aufmerksamer Untersuchung. Aber wer dem Dürer in seinen besten
Werken der Malerei, in der Reihenfolge eben jener Holzschnitte und Kupfer¬
stiche, in seinen kunstwissenschaftlicher Untersuchungen, endlich in dem un¬
mittelbaren Ergüsse seines innern Lebens in seinem Tagebuch näher getreten
ist, ihm gleichsam in das Auge geschaut hat, wird bekennen müssen: hier war
eine künstlerische Natur im größten Stil, ebenbürtig jenen drei Meistern, welche
die italienische Kunst befreit haben von allen Fesseln, aber ihr selbst Gesetz
und Maß in den Hauptbeziehungen geworden sind, und eine Natur, der, aller¬
dings nicht in gleichem Maße ungehemmt, glücklich doch das Tiefste des deut¬
schen Lebens in Form und Farbe auszusprechen vergönnt war. Dies in einer
vom Standpunkt wahrer Culturgeschichte ausgeführten Biographie dem deutschen
Volke wirklich nahe zu führen, bleibt eine bisher noch ungelöste Aufgabe, eine
Aufgabe von hohem, nationalen Interesse. Res hat die ersten Umrisse dazu


Allerdings haben wir ja seit mehren Jahren durch den unermüdlichen
und große Opfer nicht scheuenden Eifer N. Weigels eine sehr wichtige Samm¬
lung von trefflichen Reproduktionen alter Holzschnitte erhalten, aber es ist
dieses ausdrücklich als eine Sammlung sür den Kunstkenner und Kunsthistoriker
angelegt, mit dem speciellen Zweck, diejenigen Blätter vorzuführen, die au-
theutich von den erfindenden Meistern selbst geschnitten sind; ihr Ziel ist somit
wesentlich ein wissenschaftliches. Hier wird uns aber im Düreralbum von
einem Meister, dem größten deutschen Künstlergeist des 16. Jahrhunderts,
dessen größte und allgemeinste Bedeutung wol für immer, aber sicher jetzt in der
Fülle seiner im Holzschnitte und Kupferstich niedergelegten Zeichnungen liegt,
eine Reihe des Besten in treuer Nachbildung geboten.

Wol kein Künstler hat es nach seiner ganzen Lebensstellung und Gemüths¬
richtung so wenig verdient, nur ein großer Name im Kreise des Volkes wie
der Gebildeten zu werden, daß die einfache Bekanntschaft mit seinen Werken
und freudige Bewunderung sür dieselben sich zurückziehe in den engen Kreis,
der sich um die Mappe eines Kunstliebhabers etwa sammelt. Und grade bei
Dürer ist dies in dem eminentester Maße der Fall. Res ist nach persön¬
licher Neigung wie wissenschaftlicher Beschäftigung sehr weit von jener un¬
bedingten, liebenswürdigen, aber nicht eben sehr förderlichen und verstandes¬
scharfen Begeisterung für deutsche Kunst er priori entfernt. Grade die Unter¬
suchung jener vielen glücklich zusammentreffenden Lebensrichtungen und Mächte,
jener staunenswerthen Fülle bedeutender Individuen, die Italien in dem
Zeitraum von -1460—1350 zu dem Musterkarte moderner Kunst gemacht
haben, dem gegenüber die inneren Hemmnisse und Gegengewichte, die in
'Deutschland bei der ganzen Culturblüte des städtischen Lebens im 13. Jahrhundert
doch die letzte Entschließung der Blütenknospe individueller deutscher Kunst
gehindert, ja unmöglich gemacht haben, bildet seit Jahren sür ihn einen Gegen¬
stand aufmerksamer Untersuchung. Aber wer dem Dürer in seinen besten
Werken der Malerei, in der Reihenfolge eben jener Holzschnitte und Kupfer¬
stiche, in seinen kunstwissenschaftlicher Untersuchungen, endlich in dem un¬
mittelbaren Ergüsse seines innern Lebens in seinem Tagebuch näher getreten
ist, ihm gleichsam in das Auge geschaut hat, wird bekennen müssen: hier war
eine künstlerische Natur im größten Stil, ebenbürtig jenen drei Meistern, welche
die italienische Kunst befreit haben von allen Fesseln, aber ihr selbst Gesetz
und Maß in den Hauptbeziehungen geworden sind, und eine Natur, der, aller¬
dings nicht in gleichem Maße ungehemmt, glücklich doch das Tiefste des deut¬
schen Lebens in Form und Farbe auszusprechen vergönnt war. Dies in einer
vom Standpunkt wahrer Culturgeschichte ausgeführten Biographie dem deutschen
Volke wirklich nahe zu führen, bleibt eine bisher noch ungelöste Aufgabe, eine
Aufgabe von hohem, nationalen Interesse. Res hat die ersten Umrisse dazu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/342>, abgerufen am 25.08.2024.