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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Von diesem großen und festen Kern aus erfüllten die Baiern ihre Aufgabe,
das Deutsche zu verbreiten. Sie drangen in die tiroler Thäler bis zur Grenze
der Langobarden, und nach Zerstörung des Awarenreiches durch Karl d. Gr.
gerinanistrten sie die Ostmark (Oestreich u. d. E.), so wie die obern Theile
von Körnten und Steiermark, wo überall Slawen sich festgesetzt hatten. Die
deutsche Bevölkerung des Kaiserthums Oestreich gehört zum größten Theile
zum baierischen Stamme.

Der baiersche Dialekt zerlegt sich in eine Reihe Mundarten, deren haupt¬
sächliche die bairische im engern Sinne, die nordgauische, die östreichische, stei-
rische, kärntische, tirolische sind, alle wieder in bunten Spielarten. Die öst¬
reichische hat auf die deutschen Mundarten Böhmens, Mährens und Ungarns,
so weit dieselben anderer Abkunft sind, durch den langen politischen Zu¬
sammenhang großen Einfluß geübt, wie dies früher auch auf das Schlesische
geschehen ist.

Zwischen Ober- und niederdeutsch liegt ein drittes in der Mitte, das zu
keinem von den zweien gehört und gegenwärtig gewöhnlich mitteldeutsch ge¬
nannt wird. Man darf nur einen Blick auf die bernhardsche Sprachkarte
sammt dem Texte dazu thun, um die Ratlosigkeit in diesen Sprachgegenden
zu gewahren. Die alten Stammverhältnisse führen auch hier am besten.

Am Nieder- und Mittelrhein und längs des ganzen Mains saßen die
Oberfranken in verschiedenen Völkerschaften. Von den Ardennen und der
Eifel den Rhein links hinab bis zur Maas, rechts von der Sieg bis über
die Ruhr herrschten die Ripuarier. In ihrem Bereiche, das mit den heutigen
Preußischen Regierungsbezirken Aachen und Köln zusammenfällt, finden wir
die niederrheinische Mundart, die im Norden mit dem Niederländischen ver¬
schwimmt, das aus niederfränkischen, sächsischen und friesischen Stoffen sich ge¬
bildet hat. . ^

Der zweite große Theil der Oberfranken rückte am linken Rhein bis zur
Moder hinauf, am rechten bis zu Murg und Ens; hier und am Main
verdrängten sie überall die Alemannen. Die östliche Grenze lag an der Werra
und im Quellgebiete des Mains. In diesen Gegenden begegnen wir
der mittelrheinischen, mainischen und hessischen Mundart, deren innerer
Zusammenhang sich bei manchen Verschiedenheiten doch deutlich zu erkenne"
gibt.

An die Franken grenzen an der Werra seit unbestimmbaren Zeiten die
Hermunduren, oder wie sie seit Anfang des fünften Jahrhunderts heißen, die
Thüringer, einer unserer seeligsten Stämme. Im Norden stoßen sie am
Harz an die Sachsen, ostwärts reichten sie bis zur Elbe, bis sie von den
Slawen hinter die Saale geworfen wurden; im Süden schied sie das Wald¬
gebirge von den Ostfranken. Von den unter Karl d. Gr. gegründeten, unter


Grenzboten. I. 18S7. 42

Von diesem großen und festen Kern aus erfüllten die Baiern ihre Aufgabe,
das Deutsche zu verbreiten. Sie drangen in die tiroler Thäler bis zur Grenze
der Langobarden, und nach Zerstörung des Awarenreiches durch Karl d. Gr.
gerinanistrten sie die Ostmark (Oestreich u. d. E.), so wie die obern Theile
von Körnten und Steiermark, wo überall Slawen sich festgesetzt hatten. Die
deutsche Bevölkerung des Kaiserthums Oestreich gehört zum größten Theile
zum baierischen Stamme.

Der baiersche Dialekt zerlegt sich in eine Reihe Mundarten, deren haupt¬
sächliche die bairische im engern Sinne, die nordgauische, die östreichische, stei-
rische, kärntische, tirolische sind, alle wieder in bunten Spielarten. Die öst¬
reichische hat auf die deutschen Mundarten Böhmens, Mährens und Ungarns,
so weit dieselben anderer Abkunft sind, durch den langen politischen Zu¬
sammenhang großen Einfluß geübt, wie dies früher auch auf das Schlesische
geschehen ist.

Zwischen Ober- und niederdeutsch liegt ein drittes in der Mitte, das zu
keinem von den zweien gehört und gegenwärtig gewöhnlich mitteldeutsch ge¬
nannt wird. Man darf nur einen Blick auf die bernhardsche Sprachkarte
sammt dem Texte dazu thun, um die Ratlosigkeit in diesen Sprachgegenden
zu gewahren. Die alten Stammverhältnisse führen auch hier am besten.

Am Nieder- und Mittelrhein und längs des ganzen Mains saßen die
Oberfranken in verschiedenen Völkerschaften. Von den Ardennen und der
Eifel den Rhein links hinab bis zur Maas, rechts von der Sieg bis über
die Ruhr herrschten die Ripuarier. In ihrem Bereiche, das mit den heutigen
Preußischen Regierungsbezirken Aachen und Köln zusammenfällt, finden wir
die niederrheinische Mundart, die im Norden mit dem Niederländischen ver¬
schwimmt, das aus niederfränkischen, sächsischen und friesischen Stoffen sich ge¬
bildet hat. . ^

Der zweite große Theil der Oberfranken rückte am linken Rhein bis zur
Moder hinauf, am rechten bis zu Murg und Ens; hier und am Main
verdrängten sie überall die Alemannen. Die östliche Grenze lag an der Werra
und im Quellgebiete des Mains. In diesen Gegenden begegnen wir
der mittelrheinischen, mainischen und hessischen Mundart, deren innerer
Zusammenhang sich bei manchen Verschiedenheiten doch deutlich zu erkenne»
gibt.

An die Franken grenzen an der Werra seit unbestimmbaren Zeiten die
Hermunduren, oder wie sie seit Anfang des fünften Jahrhunderts heißen, die
Thüringer, einer unserer seeligsten Stämme. Im Norden stoßen sie am
Harz an die Sachsen, ostwärts reichten sie bis zur Elbe, bis sie von den
Slawen hinter die Saale geworfen wurden; im Süden schied sie das Wald¬
gebirge von den Ostfranken. Von den unter Karl d. Gr. gegründeten, unter


Grenzboten. I. 18S7. 42
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[0337] Von diesem großen und festen Kern aus erfüllten die Baiern ihre Aufgabe, das Deutsche zu verbreiten. Sie drangen in die tiroler Thäler bis zur Grenze der Langobarden, und nach Zerstörung des Awarenreiches durch Karl d. Gr. gerinanistrten sie die Ostmark (Oestreich u. d. E.), so wie die obern Theile von Körnten und Steiermark, wo überall Slawen sich festgesetzt hatten. Die deutsche Bevölkerung des Kaiserthums Oestreich gehört zum größten Theile zum baierischen Stamme. Der baiersche Dialekt zerlegt sich in eine Reihe Mundarten, deren haupt¬ sächliche die bairische im engern Sinne, die nordgauische, die östreichische, stei- rische, kärntische, tirolische sind, alle wieder in bunten Spielarten. Die öst¬ reichische hat auf die deutschen Mundarten Böhmens, Mährens und Ungarns, so weit dieselben anderer Abkunft sind, durch den langen politischen Zu¬ sammenhang großen Einfluß geübt, wie dies früher auch auf das Schlesische geschehen ist. Zwischen Ober- und niederdeutsch liegt ein drittes in der Mitte, das zu keinem von den zweien gehört und gegenwärtig gewöhnlich mitteldeutsch ge¬ nannt wird. Man darf nur einen Blick auf die bernhardsche Sprachkarte sammt dem Texte dazu thun, um die Ratlosigkeit in diesen Sprachgegenden zu gewahren. Die alten Stammverhältnisse führen auch hier am besten. Am Nieder- und Mittelrhein und längs des ganzen Mains saßen die Oberfranken in verschiedenen Völkerschaften. Von den Ardennen und der Eifel den Rhein links hinab bis zur Maas, rechts von der Sieg bis über die Ruhr herrschten die Ripuarier. In ihrem Bereiche, das mit den heutigen Preußischen Regierungsbezirken Aachen und Köln zusammenfällt, finden wir die niederrheinische Mundart, die im Norden mit dem Niederländischen ver¬ schwimmt, das aus niederfränkischen, sächsischen und friesischen Stoffen sich ge¬ bildet hat. . ^ Der zweite große Theil der Oberfranken rückte am linken Rhein bis zur Moder hinauf, am rechten bis zu Murg und Ens; hier und am Main verdrängten sie überall die Alemannen. Die östliche Grenze lag an der Werra und im Quellgebiete des Mains. In diesen Gegenden begegnen wir der mittelrheinischen, mainischen und hessischen Mundart, deren innerer Zusammenhang sich bei manchen Verschiedenheiten doch deutlich zu erkenne» gibt. An die Franken grenzen an der Werra seit unbestimmbaren Zeiten die Hermunduren, oder wie sie seit Anfang des fünften Jahrhunderts heißen, die Thüringer, einer unserer seeligsten Stämme. Im Norden stoßen sie am Harz an die Sachsen, ostwärts reichten sie bis zur Elbe, bis sie von den Slawen hinter die Saale geworfen wurden; im Süden schied sie das Wald¬ gebirge von den Ostfranken. Von den unter Karl d. Gr. gegründeten, unter Grenzboten. I. 18S7. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/337>, abgerufen am 23.07.2024.