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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Die dialektische Verschiedenheit beruht aus dem Unterschiede der Abstam¬
mung; die Grenzen der alten Hauptvölkerschaften geben demnach auch die
Grenzen der Dialekte. Mit Hilfe der historischen Karten sind die Sprachkar¬
ten zu vervollständigen; die grammatischen Beweise müssen indessen mit den
urkundlichen Hand in Hand gehen.

Der Unterschied zwischen Nieder- Und Hochdeutsch ist dem gewöhnlichen.
Ohre am auffälligsten, und diese Marke ist daher am besten bekannt. Wenn
wir das Niederländische bei Seite lassen, so beginnt die Scheidelinie bei Roer-
monde, geht von Düsseldorf auf dem rechten Rheinufer hinauf nach der Sieg,
läuft in geringer Entfernung mit ihr parallel, zieht sich dann auf dem Rothar-
gebirge nach Berleburg, Sachsenberg, hannöv. Minden, Heiligenstadt, geht
auf der Wasserscheide von Leine und Unstrut über den Harz nach Aschersleben,
Bernburg, Barby, Wittenberg und wandert durch die Haiden nördlich der
schwarzen Elster nach Luckau und Lübben, und über Guben, Krossen, Züllichau
nach der polnischen Sprachgrenze.

Alles Land nördlich von der angegebenen Linie, mit Ausnahme einiger
kleinen friesischen Striche an der Nordsee, ist niedersächsisch, entweder von
ältester geschichtlicher Zeit her oder durch Germanisation.*) Die Südgrenze
des allen Herzogthums Sachsen stimmt denn auch meistens zu der heutigen
Sprachgrenze; auf dem Boden der Marken aber, welche von Erfurt und Mag¬
deburg aus an der Mittelelbe hauptsächlich durch Geros gewaltige Thätigkeit
unter den Ottonen gegründet wurden, lassen sich solche alte Linien nicht ziehen.
Hier kommt es darauf an, von wo die deutschen Ansiedler kommen. Die Nord¬
mark (Altmark) und die von dort gestiftete Mark Brandenburg in ihrer ganzen
Ausdehnung nach Osten sind hauptsächlich von Westphalen und Flamlänvern
colonisirt worden und daher niederdeutsch. Die thüringischen Marken Zeitz und
MerseburK so wie die Ostmark (Landsberg) wurden wesentlich von Thüringen
aus germanisirt und gehören daher zum Sprachgebiete dieses Lanoes. Dasselbe
gilt von der späteren Mark Meißen und dem südlichen Theile der lausitzer
Mark, während die nördliche Lausitz von Brandenburg her besetzt und also
niederdeutsch ist. Die Marken Bautzen und Görlitz ober die Overlausitz stim¬
men mit Meißen. Daß die ehemals slawischen Länder an der Ostsee: Wag¬
ler, Mecklenburg und Pommern mit Rügen niederdeutsch an Einwanderern
und Zunge wurden, begreift sich leicht aus ihrer Lage; ebenso Preußen, da
die Ordensritter meist aus Niedersachsen stammten und von dort Ansiedler nach



Die Anmerkung wird für viele nicht überflüssig sein, daß in den ersten Jahrhunderten
unserer Zeitrechnung die deutsche" Stämme bis östlich der Weichsel saßen, daß aber durch die
Wlkenvauderuug diese Länder öde wurde" und die Slawen in sie eindrangen. Im neunten
Jahrhundert reichte" dieselbe" bis zur Trave, Elbe und den ganzen Lauf der Saale. Seit
Karl dem Großen begann die Rückeroberung.

Die dialektische Verschiedenheit beruht aus dem Unterschiede der Abstam¬
mung; die Grenzen der alten Hauptvölkerschaften geben demnach auch die
Grenzen der Dialekte. Mit Hilfe der historischen Karten sind die Sprachkar¬
ten zu vervollständigen; die grammatischen Beweise müssen indessen mit den
urkundlichen Hand in Hand gehen.

Der Unterschied zwischen Nieder- Und Hochdeutsch ist dem gewöhnlichen.
Ohre am auffälligsten, und diese Marke ist daher am besten bekannt. Wenn
wir das Niederländische bei Seite lassen, so beginnt die Scheidelinie bei Roer-
monde, geht von Düsseldorf auf dem rechten Rheinufer hinauf nach der Sieg,
läuft in geringer Entfernung mit ihr parallel, zieht sich dann auf dem Rothar-
gebirge nach Berleburg, Sachsenberg, hannöv. Minden, Heiligenstadt, geht
auf der Wasserscheide von Leine und Unstrut über den Harz nach Aschersleben,
Bernburg, Barby, Wittenberg und wandert durch die Haiden nördlich der
schwarzen Elster nach Luckau und Lübben, und über Guben, Krossen, Züllichau
nach der polnischen Sprachgrenze.

Alles Land nördlich von der angegebenen Linie, mit Ausnahme einiger
kleinen friesischen Striche an der Nordsee, ist niedersächsisch, entweder von
ältester geschichtlicher Zeit her oder durch Germanisation.*) Die Südgrenze
des allen Herzogthums Sachsen stimmt denn auch meistens zu der heutigen
Sprachgrenze; auf dem Boden der Marken aber, welche von Erfurt und Mag¬
deburg aus an der Mittelelbe hauptsächlich durch Geros gewaltige Thätigkeit
unter den Ottonen gegründet wurden, lassen sich solche alte Linien nicht ziehen.
Hier kommt es darauf an, von wo die deutschen Ansiedler kommen. Die Nord¬
mark (Altmark) und die von dort gestiftete Mark Brandenburg in ihrer ganzen
Ausdehnung nach Osten sind hauptsächlich von Westphalen und Flamlänvern
colonisirt worden und daher niederdeutsch. Die thüringischen Marken Zeitz und
MerseburK so wie die Ostmark (Landsberg) wurden wesentlich von Thüringen
aus germanisirt und gehören daher zum Sprachgebiete dieses Lanoes. Dasselbe
gilt von der späteren Mark Meißen und dem südlichen Theile der lausitzer
Mark, während die nördliche Lausitz von Brandenburg her besetzt und also
niederdeutsch ist. Die Marken Bautzen und Görlitz ober die Overlausitz stim¬
men mit Meißen. Daß die ehemals slawischen Länder an der Ostsee: Wag¬
ler, Mecklenburg und Pommern mit Rügen niederdeutsch an Einwanderern
und Zunge wurden, begreift sich leicht aus ihrer Lage; ebenso Preußen, da
die Ordensritter meist aus Niedersachsen stammten und von dort Ansiedler nach



Die Anmerkung wird für viele nicht überflüssig sein, daß in den ersten Jahrhunderten
unserer Zeitrechnung die deutsche» Stämme bis östlich der Weichsel saßen, daß aber durch die
Wlkenvauderuug diese Länder öde wurde» und die Slawen in sie eindrangen. Im neunten
Jahrhundert reichte» dieselbe» bis zur Trave, Elbe und den ganzen Lauf der Saale. Seit
Karl dem Großen begann die Rückeroberung.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/335>, abgerufen am 23.07.2024.