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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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überdies niemals in eine staatliche Verbindung kam, welche dem Deutschen
eine kräftige Einwirkung ermöglichte, und der seine alten Erinnerungen nicht
blos mit der Phantasie, sondern auch mit der Hand wahrt und in den Hus¬
sitenkriegen eine noch immer nachzitternde politische Anregung hat. So haben
sich die Deutschen außer einige" nördlichen und südlichen Grenzstrichen nur in
dem westlichen Dreieck zur Herrschaft gebracht, das von den Gebirgen und
einer Linie gebildet wird, die über Reichenberg, Leitmeritz, Saatz, Pilsen und
Bischof-Teinitz läuft. Hier sitzen sie aber zahlreich; sie machen den dritten
Theil der gesammten Bevölkerung Böhmens aus und sind auch in Prag selbst den
Czechen überlegen.

Mit den Czechen stehen die engverwandten Mähren in unmittelbarem Zu¬
sammenhang. In der Ausdehnung von Leutomischl bis Königseck ist daS
mährische Gebirge von ihnen überflutet, aus bessert Kamme nur das deutsche
Iglau einsame Wacht für unsre Sprache hält. In die südöstlichen Theile von
Mähren dringt das Deutsche in ziemlich gerader Linie von Königseck nach Laut-
schitz an der Schwärzn vor. Von hier ab machen Tava und March die
Grenze gegen die Slawen, bis zu der letzteren Einfluß in die Donau. Bei
Presburg stoßen Deutsche, Slawaken und Magyaren zusammen; wir nehmen
hier von dem slawischen Nachbar einen vorläufigen zärtlichen Abschied und brechen
mit dem Ungarn gegen Süden auf, den wir erst bei dem Einfluß der Lafnitz in
die Rab verabschieden; hier ist der südöstlichste Punkt unsers zusammenhängen¬
den Sprachgebietes. Von Ungarn selbst gehören die Gegenden um den Neu¬
siedlersee, wo die berühmten Spiegelhienzen Hausen, und ein schmaler Streifen
an der steirischen Grenze zu uns. Die bedeutenden deutschen Ansiedlungen in
der Zips, in der schwäbischen Türkei (baranyaer Gespannschaft), in dem Ba¬
nate, endlich das treue tüchtige Sachsenland Siebenbürgens sind starke, weit
vorgeschobene Posten unsers Volkes gegen den wilden Osten. In dem ge¬
sammten Ostlande, von der Dura bis zur Aluta, haben wir mehr erobert als
wir im Westen verlieren konnten. Die Betrachtung dieser Grenzen gibt freu¬
digere Aussichten, als das Studium der diplomatischen Verhandlungen.

Unsere sprachliche Südgrenze verläuft fast so ruhig wie die westliche. Wir
haben hier zunächst den slowenischen Stamm der Südslawen gegenüber. Die
Marke läuft von der Lafnitzmündung nach Radkarsburg an der Mur und von
hier auf den weinreichen windischen Büheln nach Lavamünd in Kärnten. Von
da geht die Scheidelinie über das Zollfeld, zwischen klagcnfurter und osstacher
See hindurch nach Vliland. Nicht weit dahinter springt das Deutsche über den
Gratnerkofel hinüber nach dem Oertchen Pontasel, wo wir die Krainer
entlassen und den Italienern unsern ersten Gruß entbieten. Hier ist also
eine ähnliche bedeutsame Völkergrenze, wie bei Presburg, bei Goldap
(deutsch, keltisch, slawisch) und am Monte Rosa. Wir ziehen uns darauf so-


überdies niemals in eine staatliche Verbindung kam, welche dem Deutschen
eine kräftige Einwirkung ermöglichte, und der seine alten Erinnerungen nicht
blos mit der Phantasie, sondern auch mit der Hand wahrt und in den Hus¬
sitenkriegen eine noch immer nachzitternde politische Anregung hat. So haben
sich die Deutschen außer einige» nördlichen und südlichen Grenzstrichen nur in
dem westlichen Dreieck zur Herrschaft gebracht, das von den Gebirgen und
einer Linie gebildet wird, die über Reichenberg, Leitmeritz, Saatz, Pilsen und
Bischof-Teinitz läuft. Hier sitzen sie aber zahlreich; sie machen den dritten
Theil der gesammten Bevölkerung Böhmens aus und sind auch in Prag selbst den
Czechen überlegen.

Mit den Czechen stehen die engverwandten Mähren in unmittelbarem Zu¬
sammenhang. In der Ausdehnung von Leutomischl bis Königseck ist daS
mährische Gebirge von ihnen überflutet, aus bessert Kamme nur das deutsche
Iglau einsame Wacht für unsre Sprache hält. In die südöstlichen Theile von
Mähren dringt das Deutsche in ziemlich gerader Linie von Königseck nach Laut-
schitz an der Schwärzn vor. Von hier ab machen Tava und March die
Grenze gegen die Slawen, bis zu der letzteren Einfluß in die Donau. Bei
Presburg stoßen Deutsche, Slawaken und Magyaren zusammen; wir nehmen
hier von dem slawischen Nachbar einen vorläufigen zärtlichen Abschied und brechen
mit dem Ungarn gegen Süden auf, den wir erst bei dem Einfluß der Lafnitz in
die Rab verabschieden; hier ist der südöstlichste Punkt unsers zusammenhängen¬
den Sprachgebietes. Von Ungarn selbst gehören die Gegenden um den Neu¬
siedlersee, wo die berühmten Spiegelhienzen Hausen, und ein schmaler Streifen
an der steirischen Grenze zu uns. Die bedeutenden deutschen Ansiedlungen in
der Zips, in der schwäbischen Türkei (baranyaer Gespannschaft), in dem Ba¬
nate, endlich das treue tüchtige Sachsenland Siebenbürgens sind starke, weit
vorgeschobene Posten unsers Volkes gegen den wilden Osten. In dem ge¬
sammten Ostlande, von der Dura bis zur Aluta, haben wir mehr erobert als
wir im Westen verlieren konnten. Die Betrachtung dieser Grenzen gibt freu¬
digere Aussichten, als das Studium der diplomatischen Verhandlungen.

Unsere sprachliche Südgrenze verläuft fast so ruhig wie die westliche. Wir
haben hier zunächst den slowenischen Stamm der Südslawen gegenüber. Die
Marke läuft von der Lafnitzmündung nach Radkarsburg an der Mur und von
hier auf den weinreichen windischen Büheln nach Lavamünd in Kärnten. Von
da geht die Scheidelinie über das Zollfeld, zwischen klagcnfurter und osstacher
See hindurch nach Vliland. Nicht weit dahinter springt das Deutsche über den
Gratnerkofel hinüber nach dem Oertchen Pontasel, wo wir die Krainer
entlassen und den Italienern unsern ersten Gruß entbieten. Hier ist also
eine ähnliche bedeutsame Völkergrenze, wie bei Presburg, bei Goldap
(deutsch, keltisch, slawisch) und am Monte Rosa. Wir ziehen uns darauf so-


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[0333] überdies niemals in eine staatliche Verbindung kam, welche dem Deutschen eine kräftige Einwirkung ermöglichte, und der seine alten Erinnerungen nicht blos mit der Phantasie, sondern auch mit der Hand wahrt und in den Hus¬ sitenkriegen eine noch immer nachzitternde politische Anregung hat. So haben sich die Deutschen außer einige» nördlichen und südlichen Grenzstrichen nur in dem westlichen Dreieck zur Herrschaft gebracht, das von den Gebirgen und einer Linie gebildet wird, die über Reichenberg, Leitmeritz, Saatz, Pilsen und Bischof-Teinitz läuft. Hier sitzen sie aber zahlreich; sie machen den dritten Theil der gesammten Bevölkerung Böhmens aus und sind auch in Prag selbst den Czechen überlegen. Mit den Czechen stehen die engverwandten Mähren in unmittelbarem Zu¬ sammenhang. In der Ausdehnung von Leutomischl bis Königseck ist daS mährische Gebirge von ihnen überflutet, aus bessert Kamme nur das deutsche Iglau einsame Wacht für unsre Sprache hält. In die südöstlichen Theile von Mähren dringt das Deutsche in ziemlich gerader Linie von Königseck nach Laut- schitz an der Schwärzn vor. Von hier ab machen Tava und March die Grenze gegen die Slawen, bis zu der letzteren Einfluß in die Donau. Bei Presburg stoßen Deutsche, Slawaken und Magyaren zusammen; wir nehmen hier von dem slawischen Nachbar einen vorläufigen zärtlichen Abschied und brechen mit dem Ungarn gegen Süden auf, den wir erst bei dem Einfluß der Lafnitz in die Rab verabschieden; hier ist der südöstlichste Punkt unsers zusammenhängen¬ den Sprachgebietes. Von Ungarn selbst gehören die Gegenden um den Neu¬ siedlersee, wo die berühmten Spiegelhienzen Hausen, und ein schmaler Streifen an der steirischen Grenze zu uns. Die bedeutenden deutschen Ansiedlungen in der Zips, in der schwäbischen Türkei (baranyaer Gespannschaft), in dem Ba¬ nate, endlich das treue tüchtige Sachsenland Siebenbürgens sind starke, weit vorgeschobene Posten unsers Volkes gegen den wilden Osten. In dem ge¬ sammten Ostlande, von der Dura bis zur Aluta, haben wir mehr erobert als wir im Westen verlieren konnten. Die Betrachtung dieser Grenzen gibt freu¬ digere Aussichten, als das Studium der diplomatischen Verhandlungen. Unsere sprachliche Südgrenze verläuft fast so ruhig wie die westliche. Wir haben hier zunächst den slowenischen Stamm der Südslawen gegenüber. Die Marke läuft von der Lafnitzmündung nach Radkarsburg an der Mur und von hier auf den weinreichen windischen Büheln nach Lavamünd in Kärnten. Von da geht die Scheidelinie über das Zollfeld, zwischen klagcnfurter und osstacher See hindurch nach Vliland. Nicht weit dahinter springt das Deutsche über den Gratnerkofel hinüber nach dem Oertchen Pontasel, wo wir die Krainer entlassen und den Italienern unsern ersten Gruß entbieten. Hier ist also eine ähnliche bedeutsame Völkergrenze, wie bei Presburg, bei Goldap (deutsch, keltisch, slawisch) und am Monte Rosa. Wir ziehen uns darauf so-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/333>, abgerufen am 22.12.2024.