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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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sich der Reitweg und die schöne Welt stäubt nach allen Seiten auseinander.
Die Monate vom Februar bis August, so lange nämlich die Parlamente
tagen, gelten für die londoner Saison. In den übrigen Herbst- und Winter¬
monaten reist die feine Welt oder lebt auf ihren Landsitzen. Doch braucht
man nicht diese Jahreszeit abzuwarten, um ihr auch außerhalb Londons zu
begegnen. Schon unter dem historischen Laubdache des Busheypark bei Hamp¬
ton Court, dem Lieblingssitze Wolseys, Heinrichs VIII., Karls l. und
Cromwells, sieht man die nämlichen Reiterinnen wieder, und hier steigert die
Freude an ihrem freien Getreide noch der Hintergrund der ländlichsten
Umgebung. Von einem in der Ferne folgenden Diener begleitet, häu¬
fig auch ohne diesen, zu zweien, zu dreien, fliegen se" auf ungeduldigen
Rennern über den Rasenteppich wie weibliche Centauren oder sie führen
selbst die Zügel vom bequemen Sitz eines offnen Ein- oder Zweispänners,
wobei die Peitsche, mit dem Sonnenschirme ein Stück bildend, daS Pferd
nicht minder als die Sonnenstrahlen in Respect hält. ,

Nirgend entfaltet sich indessen ein reicheres Bild des berittenen Englands
als auf den Wettrennen selbst. Die Interessen, welche ein Renntag aus den
verschiedensten Richtungen auf dieses eine Centrum zusammenbringt, sind so
mannigfacher Art, daß nur sehr wenige derselben unter allgemeine Rubriken
gebracht werden können. Da sind zuvörderst die wirklichen Pferdebesttzer, deren
Vermögen häufig von der Stimmung ihres Hauptrenners oder seines gefürch-
teten Gegners abhängt, und die im letzten Augenblicke nicht selten noch im
Bedenken sind, ob das Pferd selbst oder der lockende Preis größere Berück¬
sichtigung verdienen; denn mancher solche Renner repräsentirt ein Capital,
das unglaubliche Zinsen abwirft und das der Eigner bei jedem neuen Wagniß
mit nicht weniger persönlicher Sorge in die Schranken führt, als ein Spieler
empfinden mag, der sein ganzes Vermögen auf eine einzige Karte setzte.

Daneben zittern andere, welche den türk besuchen, um Wetten zu gewin¬
nen. Die Erlebnisse Palmers, welcher diesem Geschäfte oblag, find noch in
aller Erinnerung. Die Industrie mit falschen Wechseln, erheblicheren Schuld¬
scheinen, aufgezwungenen Prolongationen steht hier in voller Blüte. Es ist
eine andere Art Hazardspiel auf grünem Teppich, nur versteckter, weniger
durchsichtig.

Wieder gibt es viele, welche da sind, um wirklich Pferde zu sehen; um
die Kraft des eignen Thieres beiläufig durch ein zeitweiliges Aushalten neben
den Rennern von Professton zu erprobe"; um es Pferdeliebhabern vorzuführen
und mit Nutzen zu verhandeln; um sagen zu können: ich war dabei, und zu Hause
durchblicken zu lassen: ich könnte den Preis gewinnen, aber eS bleibt ein Geheim¬
niß. Nicht zu reden von dem Gros der Anwesenden, welche Bewegung lieben,
ein Vergnügen suchen, Leute sehen wollen und gleich den Römern des alten


sich der Reitweg und die schöne Welt stäubt nach allen Seiten auseinander.
Die Monate vom Februar bis August, so lange nämlich die Parlamente
tagen, gelten für die londoner Saison. In den übrigen Herbst- und Winter¬
monaten reist die feine Welt oder lebt auf ihren Landsitzen. Doch braucht
man nicht diese Jahreszeit abzuwarten, um ihr auch außerhalb Londons zu
begegnen. Schon unter dem historischen Laubdache des Busheypark bei Hamp¬
ton Court, dem Lieblingssitze Wolseys, Heinrichs VIII., Karls l. und
Cromwells, sieht man die nämlichen Reiterinnen wieder, und hier steigert die
Freude an ihrem freien Getreide noch der Hintergrund der ländlichsten
Umgebung. Von einem in der Ferne folgenden Diener begleitet, häu¬
fig auch ohne diesen, zu zweien, zu dreien, fliegen se« auf ungeduldigen
Rennern über den Rasenteppich wie weibliche Centauren oder sie führen
selbst die Zügel vom bequemen Sitz eines offnen Ein- oder Zweispänners,
wobei die Peitsche, mit dem Sonnenschirme ein Stück bildend, daS Pferd
nicht minder als die Sonnenstrahlen in Respect hält. ,

Nirgend entfaltet sich indessen ein reicheres Bild des berittenen Englands
als auf den Wettrennen selbst. Die Interessen, welche ein Renntag aus den
verschiedensten Richtungen auf dieses eine Centrum zusammenbringt, sind so
mannigfacher Art, daß nur sehr wenige derselben unter allgemeine Rubriken
gebracht werden können. Da sind zuvörderst die wirklichen Pferdebesttzer, deren
Vermögen häufig von der Stimmung ihres Hauptrenners oder seines gefürch-
teten Gegners abhängt, und die im letzten Augenblicke nicht selten noch im
Bedenken sind, ob das Pferd selbst oder der lockende Preis größere Berück¬
sichtigung verdienen; denn mancher solche Renner repräsentirt ein Capital,
das unglaubliche Zinsen abwirft und das der Eigner bei jedem neuen Wagniß
mit nicht weniger persönlicher Sorge in die Schranken führt, als ein Spieler
empfinden mag, der sein ganzes Vermögen auf eine einzige Karte setzte.

Daneben zittern andere, welche den türk besuchen, um Wetten zu gewin¬
nen. Die Erlebnisse Palmers, welcher diesem Geschäfte oblag, find noch in
aller Erinnerung. Die Industrie mit falschen Wechseln, erheblicheren Schuld¬
scheinen, aufgezwungenen Prolongationen steht hier in voller Blüte. Es ist
eine andere Art Hazardspiel auf grünem Teppich, nur versteckter, weniger
durchsichtig.

Wieder gibt es viele, welche da sind, um wirklich Pferde zu sehen; um
die Kraft des eignen Thieres beiläufig durch ein zeitweiliges Aushalten neben
den Rennern von Professton zu erprobe»; um es Pferdeliebhabern vorzuführen
und mit Nutzen zu verhandeln; um sagen zu können: ich war dabei, und zu Hause
durchblicken zu lassen: ich könnte den Preis gewinnen, aber eS bleibt ein Geheim¬
niß. Nicht zu reden von dem Gros der Anwesenden, welche Bewegung lieben,
ein Vergnügen suchen, Leute sehen wollen und gleich den Römern des alten


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[0310] sich der Reitweg und die schöne Welt stäubt nach allen Seiten auseinander. Die Monate vom Februar bis August, so lange nämlich die Parlamente tagen, gelten für die londoner Saison. In den übrigen Herbst- und Winter¬ monaten reist die feine Welt oder lebt auf ihren Landsitzen. Doch braucht man nicht diese Jahreszeit abzuwarten, um ihr auch außerhalb Londons zu begegnen. Schon unter dem historischen Laubdache des Busheypark bei Hamp¬ ton Court, dem Lieblingssitze Wolseys, Heinrichs VIII., Karls l. und Cromwells, sieht man die nämlichen Reiterinnen wieder, und hier steigert die Freude an ihrem freien Getreide noch der Hintergrund der ländlichsten Umgebung. Von einem in der Ferne folgenden Diener begleitet, häu¬ fig auch ohne diesen, zu zweien, zu dreien, fliegen se« auf ungeduldigen Rennern über den Rasenteppich wie weibliche Centauren oder sie führen selbst die Zügel vom bequemen Sitz eines offnen Ein- oder Zweispänners, wobei die Peitsche, mit dem Sonnenschirme ein Stück bildend, daS Pferd nicht minder als die Sonnenstrahlen in Respect hält. , Nirgend entfaltet sich indessen ein reicheres Bild des berittenen Englands als auf den Wettrennen selbst. Die Interessen, welche ein Renntag aus den verschiedensten Richtungen auf dieses eine Centrum zusammenbringt, sind so mannigfacher Art, daß nur sehr wenige derselben unter allgemeine Rubriken gebracht werden können. Da sind zuvörderst die wirklichen Pferdebesttzer, deren Vermögen häufig von der Stimmung ihres Hauptrenners oder seines gefürch- teten Gegners abhängt, und die im letzten Augenblicke nicht selten noch im Bedenken sind, ob das Pferd selbst oder der lockende Preis größere Berück¬ sichtigung verdienen; denn mancher solche Renner repräsentirt ein Capital, das unglaubliche Zinsen abwirft und das der Eigner bei jedem neuen Wagniß mit nicht weniger persönlicher Sorge in die Schranken führt, als ein Spieler empfinden mag, der sein ganzes Vermögen auf eine einzige Karte setzte. Daneben zittern andere, welche den türk besuchen, um Wetten zu gewin¬ nen. Die Erlebnisse Palmers, welcher diesem Geschäfte oblag, find noch in aller Erinnerung. Die Industrie mit falschen Wechseln, erheblicheren Schuld¬ scheinen, aufgezwungenen Prolongationen steht hier in voller Blüte. Es ist eine andere Art Hazardspiel auf grünem Teppich, nur versteckter, weniger durchsichtig. Wieder gibt es viele, welche da sind, um wirklich Pferde zu sehen; um die Kraft des eignen Thieres beiläufig durch ein zeitweiliges Aushalten neben den Rennern von Professton zu erprobe»; um es Pferdeliebhabern vorzuführen und mit Nutzen zu verhandeln; um sagen zu können: ich war dabei, und zu Hause durchblicken zu lassen: ich könnte den Preis gewinnen, aber eS bleibt ein Geheim¬ niß. Nicht zu reden von dem Gros der Anwesenden, welche Bewegung lieben, ein Vergnügen suchen, Leute sehen wollen und gleich den Römern des alten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/310>, abgerufen am 22.12.2024.