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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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daß er göttliche Ehren empfing- Es ist sehr interessant, daß Mohammed auf
ganz ähnliche Weise das persische Epos zu beseitigen suchte, wie die christliche
Kirche Homer und Hesiod, Zuweilen behandelten übrigens die christlichen
Schriftsteller des Mittelalters die heidnischen Götter auch nach der Methode
des Euemerus d. h. als ausgezeichnete und hochbegabte Männer, die durch
große Thaten oder ungemeine Weisheit göttliche Verehrung erlangt hätten.

Indessen, obwol die alten Sagen ihre Stelle in den Gemüthern der
Menschen verloren hatten, dauerte das Verlangen nach mythischer Erzählung
ungeschwächt sort. Dieses Verlangen fand seine volle Befriedigung in zwei
neuen, bald massenhaft auftretenden Formen der Sagenbildung: der Heiligen¬
legende und der ritterlichen Poesie, in welchen die beiden hauptsächlichsten
Ideale des Mittelalters, das der christlichen Heiligkeit und das des christlichen
Ritterthums ihren Ausdruck erhielten.

Beide Gattungen der Sage stimmen sowol ihrer Natur, als auch ihrem
Zweck nach mit dem griechischen Mythus völlig überein. Sie wurden in der
Absicht erdichtet, Sympathie, Interesse und Ehrfurcht für die Gegenstände der Er¬
zählung hervorzurufen, und entsprachen diesem Zweck nicht nur völlig, sondern
fanden auch unbedingten Glauben in einem ganz unkritischen und für die
Aufnahme solcher Eindrücke im höchsten Grade disponirten Zuhörerkreise. Die.
Heiligenlegenden mit ihren zahlreichen Wundern, Heilungen von Krankheiten,
Versuchungen und Leiden, Lehren und Geboten sind ebensowenig, als die
griechischen Heldensagen, Uebertreibungen und Ausschmückungen wirklicher
Thatsachen, sondern es sind Ausströmungen eines allgemein verbreiteten Ge¬
fühls, zu dessen Befriedigung sie dienten und von dem sie ihrerseits kräftig
unterstützt und bestätigt wurden, vue toi vivo, sagt Alfred Maury in seinem
Lssai 8ur 1g8 tLASnckes pieusss "Zu mo^su ii^e, uns loi vive veut, sans LLsss
c>s nouveaux kalt.8 qu'klliz puisss croire. In den Lebensgeschichten der Heiligen
offenbart sich dieselbe Vorstellung von dem beständigen Eingreifen der Gottheit
>n die Verhältnisse der Menschen und die Gesetze der Natur, wie in den
homerischen Gedichten: fortwährend zeigt sich Gottes Hand auch in den gering¬
fügigsten Umständen, um der begünstigten Persönlichkeit Hilfe zu leisten, so
völlig ist der wissenschaftliche Standpunkt bei Betrachtung der Naturerscheinungen
von dem religiösen absorbirt. Vermöge des unmittelbaren Einflusses der Gott¬
heit thun die Heiligen eine Reihe von Wundern, die bei allen ziemlich die¬
selbe ist. Gewöhnlich wird ihnen in ihrer Jugend durch eine Viston oder
Prophezeihung ihre Zukunft enthüllt. Sodann vollbringt der Heilige die
nöthigen Wunder; er gibt Blinden das Gesicht, Tauben das Gehör, Stummen
die Sprache, Lat men den Gang wieder, heilt Besessene, weckt Todte und wird
von seinem bevorstehenden Ende durch einen Traum in Kenntniß gesetzt. Auf
seinem Grabe geschehen schließlich noch andere Wunder, die den obigen ähnlich


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daß er göttliche Ehren empfing- Es ist sehr interessant, daß Mohammed auf
ganz ähnliche Weise das persische Epos zu beseitigen suchte, wie die christliche
Kirche Homer und Hesiod, Zuweilen behandelten übrigens die christlichen
Schriftsteller des Mittelalters die heidnischen Götter auch nach der Methode
des Euemerus d. h. als ausgezeichnete und hochbegabte Männer, die durch
große Thaten oder ungemeine Weisheit göttliche Verehrung erlangt hätten.

Indessen, obwol die alten Sagen ihre Stelle in den Gemüthern der
Menschen verloren hatten, dauerte das Verlangen nach mythischer Erzählung
ungeschwächt sort. Dieses Verlangen fand seine volle Befriedigung in zwei
neuen, bald massenhaft auftretenden Formen der Sagenbildung: der Heiligen¬
legende und der ritterlichen Poesie, in welchen die beiden hauptsächlichsten
Ideale des Mittelalters, das der christlichen Heiligkeit und das des christlichen
Ritterthums ihren Ausdruck erhielten.

Beide Gattungen der Sage stimmen sowol ihrer Natur, als auch ihrem
Zweck nach mit dem griechischen Mythus völlig überein. Sie wurden in der
Absicht erdichtet, Sympathie, Interesse und Ehrfurcht für die Gegenstände der Er¬
zählung hervorzurufen, und entsprachen diesem Zweck nicht nur völlig, sondern
fanden auch unbedingten Glauben in einem ganz unkritischen und für die
Aufnahme solcher Eindrücke im höchsten Grade disponirten Zuhörerkreise. Die.
Heiligenlegenden mit ihren zahlreichen Wundern, Heilungen von Krankheiten,
Versuchungen und Leiden, Lehren und Geboten sind ebensowenig, als die
griechischen Heldensagen, Uebertreibungen und Ausschmückungen wirklicher
Thatsachen, sondern es sind Ausströmungen eines allgemein verbreiteten Ge¬
fühls, zu dessen Befriedigung sie dienten und von dem sie ihrerseits kräftig
unterstützt und bestätigt wurden, vue toi vivo, sagt Alfred Maury in seinem
Lssai 8ur 1g8 tLASnckes pieusss «Zu mo^su ii^e, uns loi vive veut, sans LLsss
c>s nouveaux kalt.8 qu'klliz puisss croire. In den Lebensgeschichten der Heiligen
offenbart sich dieselbe Vorstellung von dem beständigen Eingreifen der Gottheit
>n die Verhältnisse der Menschen und die Gesetze der Natur, wie in den
homerischen Gedichten: fortwährend zeigt sich Gottes Hand auch in den gering¬
fügigsten Umständen, um der begünstigten Persönlichkeit Hilfe zu leisten, so
völlig ist der wissenschaftliche Standpunkt bei Betrachtung der Naturerscheinungen
von dem religiösen absorbirt. Vermöge des unmittelbaren Einflusses der Gott¬
heit thun die Heiligen eine Reihe von Wundern, die bei allen ziemlich die¬
selbe ist. Gewöhnlich wird ihnen in ihrer Jugend durch eine Viston oder
Prophezeihung ihre Zukunft enthüllt. Sodann vollbringt der Heilige die
nöthigen Wunder; er gibt Blinden das Gesicht, Tauben das Gehör, Stummen
die Sprache, Lat men den Gang wieder, heilt Besessene, weckt Todte und wird
von seinem bevorstehenden Ende durch einen Traum in Kenntniß gesetzt. Auf
seinem Grabe geschehen schließlich noch andere Wunder, die den obigen ähnlich


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[0299] daß er göttliche Ehren empfing- Es ist sehr interessant, daß Mohammed auf ganz ähnliche Weise das persische Epos zu beseitigen suchte, wie die christliche Kirche Homer und Hesiod, Zuweilen behandelten übrigens die christlichen Schriftsteller des Mittelalters die heidnischen Götter auch nach der Methode des Euemerus d. h. als ausgezeichnete und hochbegabte Männer, die durch große Thaten oder ungemeine Weisheit göttliche Verehrung erlangt hätten. Indessen, obwol die alten Sagen ihre Stelle in den Gemüthern der Menschen verloren hatten, dauerte das Verlangen nach mythischer Erzählung ungeschwächt sort. Dieses Verlangen fand seine volle Befriedigung in zwei neuen, bald massenhaft auftretenden Formen der Sagenbildung: der Heiligen¬ legende und der ritterlichen Poesie, in welchen die beiden hauptsächlichsten Ideale des Mittelalters, das der christlichen Heiligkeit und das des christlichen Ritterthums ihren Ausdruck erhielten. Beide Gattungen der Sage stimmen sowol ihrer Natur, als auch ihrem Zweck nach mit dem griechischen Mythus völlig überein. Sie wurden in der Absicht erdichtet, Sympathie, Interesse und Ehrfurcht für die Gegenstände der Er¬ zählung hervorzurufen, und entsprachen diesem Zweck nicht nur völlig, sondern fanden auch unbedingten Glauben in einem ganz unkritischen und für die Aufnahme solcher Eindrücke im höchsten Grade disponirten Zuhörerkreise. Die. Heiligenlegenden mit ihren zahlreichen Wundern, Heilungen von Krankheiten, Versuchungen und Leiden, Lehren und Geboten sind ebensowenig, als die griechischen Heldensagen, Uebertreibungen und Ausschmückungen wirklicher Thatsachen, sondern es sind Ausströmungen eines allgemein verbreiteten Ge¬ fühls, zu dessen Befriedigung sie dienten und von dem sie ihrerseits kräftig unterstützt und bestätigt wurden, vue toi vivo, sagt Alfred Maury in seinem Lssai 8ur 1g8 tLASnckes pieusss «Zu mo^su ii^e, uns loi vive veut, sans LLsss c>s nouveaux kalt.8 qu'klliz puisss croire. In den Lebensgeschichten der Heiligen offenbart sich dieselbe Vorstellung von dem beständigen Eingreifen der Gottheit >n die Verhältnisse der Menschen und die Gesetze der Natur, wie in den homerischen Gedichten: fortwährend zeigt sich Gottes Hand auch in den gering¬ fügigsten Umständen, um der begünstigten Persönlichkeit Hilfe zu leisten, so völlig ist der wissenschaftliche Standpunkt bei Betrachtung der Naturerscheinungen von dem religiösen absorbirt. Vermöge des unmittelbaren Einflusses der Gott¬ heit thun die Heiligen eine Reihe von Wundern, die bei allen ziemlich die¬ selbe ist. Gewöhnlich wird ihnen in ihrer Jugend durch eine Viston oder Prophezeihung ihre Zukunft enthüllt. Sodann vollbringt der Heilige die nöthigen Wunder; er gibt Blinden das Gesicht, Tauben das Gehör, Stummen die Sprache, Lat men den Gang wieder, heilt Besessene, weckt Todte und wird von seinem bevorstehenden Ende durch einen Traum in Kenntniß gesetzt. Auf seinem Grabe geschehen schließlich noch andere Wunder, die den obigen ähnlich 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/299>, abgerufen am 22.12.2024.