Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Antike Versuche aus dem modernen Theater.

Alexandrea. Tragische Trilogie. Von F. A. Maercker. Berlin, Decker.

Der vorliegende Versuch verdient zunächst das Lob einer gewissenhaften
Arbeit. Was zu den Aeußerlichkeiten eines Kunstwerks gehört, Versmaß,
Stil, poetisches Colorit, ferner die Technik in Bezug auf die Anordnung der
Scenen, die Gruppirung der Figuren :c., alle diese Dinge, mit denen man es
heutzutage nur zu leicht zu nehmen pflegt, hat der Verfasser mit großem Ernst
und mit Sachverständniß behandelt. Es ist heute schon wohlthuend, wenn
man im Drama einen gutklingenden Vers antrifft; und das ist hier in reichem
Maße der Fall. Ferner macht das Drama durchweg den Eindruck, daß eS
von einem gebildeten Mann herrühre. Die Ideen sind weder sehr neu, noch
sehr frappant, aber sie stehen aus der Höhe der Cultur. Das alles berechtigt
den Verfasser, bei dem Leser einen sueoös ä'öLtunö zu erwarten; ob auch auf
dem Theater, das ist eine Frage, die wir verneinen müssen. Wol aber regt
das Drama seiner Tendenz wegen zu der allgemeinen Besprechung eines poe¬
tischen Princips an, die bei den Ferien, die uns die eigentlichen Theaterdichter
geben, wol zeitgemäß sein möchte.

Dieselbe Reaction, die wir seit 17 Jahren auf dem französischen Theater
verfolgen, fängt sich auch bei uns an zu regen. Seit 1838 sehen wir
>n Frankreich die römischen Tyrannen und die römischen Jungfrauen, die Tar-
quinier und Appier, die Virginia und Lucretia, die man seit den ersten Stücken
V. Hugos und A. Dumas von den Theatern auf immer verbannt glaubte,
mit dem ganzen Apparat von Declamationen, an die man in der altclasstschen
Zeit gewöhnt war, wieder auftreten. Seitdem das Drama der Renaissance
und des Mittelalters sich in dem Thurm von Nesle und in den kolossalen
Hatten der Burggrafen versteinert hatte, war man der Gothik und der Roman¬
tik müde geworden. Eine geniale Schauspielerin beschwor die Schatten Cor-
"eitles und Raeineö wieder herauf; ein junger talentvoller Dichter ging, um
etwas Neues zu leisten, wieder bei Boileau in die Schule. Auf den ersten
Beifallssturm ist freilich wieder eine gewisse Blastrlhcit eingetreten, aber wenn
die Menge den römischen Tugenden nicht mehr zujauchzt, so ist dafür die feine


Greuzlwlm. I. t8S7. 36
Antike Versuche aus dem modernen Theater.

Alexandrea. Tragische Trilogie. Von F. A. Maercker. Berlin, Decker.

Der vorliegende Versuch verdient zunächst das Lob einer gewissenhaften
Arbeit. Was zu den Aeußerlichkeiten eines Kunstwerks gehört, Versmaß,
Stil, poetisches Colorit, ferner die Technik in Bezug auf die Anordnung der
Scenen, die Gruppirung der Figuren :c., alle diese Dinge, mit denen man es
heutzutage nur zu leicht zu nehmen pflegt, hat der Verfasser mit großem Ernst
und mit Sachverständniß behandelt. Es ist heute schon wohlthuend, wenn
man im Drama einen gutklingenden Vers antrifft; und das ist hier in reichem
Maße der Fall. Ferner macht das Drama durchweg den Eindruck, daß eS
von einem gebildeten Mann herrühre. Die Ideen sind weder sehr neu, noch
sehr frappant, aber sie stehen aus der Höhe der Cultur. Das alles berechtigt
den Verfasser, bei dem Leser einen sueoös ä'öLtunö zu erwarten; ob auch auf
dem Theater, das ist eine Frage, die wir verneinen müssen. Wol aber regt
das Drama seiner Tendenz wegen zu der allgemeinen Besprechung eines poe¬
tischen Princips an, die bei den Ferien, die uns die eigentlichen Theaterdichter
geben, wol zeitgemäß sein möchte.

Dieselbe Reaction, die wir seit 17 Jahren auf dem französischen Theater
verfolgen, fängt sich auch bei uns an zu regen. Seit 1838 sehen wir
>n Frankreich die römischen Tyrannen und die römischen Jungfrauen, die Tar-
quinier und Appier, die Virginia und Lucretia, die man seit den ersten Stücken
V. Hugos und A. Dumas von den Theatern auf immer verbannt glaubte,
mit dem ganzen Apparat von Declamationen, an die man in der altclasstschen
Zeit gewöhnt war, wieder auftreten. Seitdem das Drama der Renaissance
und des Mittelalters sich in dem Thurm von Nesle und in den kolossalen
Hatten der Burggrafen versteinert hatte, war man der Gothik und der Roman¬
tik müde geworden. Eine geniale Schauspielerin beschwor die Schatten Cor-
»eitles und Raeineö wieder herauf; ein junger talentvoller Dichter ging, um
etwas Neues zu leisten, wieder bei Boileau in die Schule. Auf den ersten
Beifallssturm ist freilich wieder eine gewisse Blastrlhcit eingetreten, aber wenn
die Menge den römischen Tugenden nicht mehr zujauchzt, so ist dafür die feine


Greuzlwlm. I. t8S7. 36
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103422"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Antike Versuche aus dem modernen Theater.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1040"> Alexandrea.  Tragische Trilogie. Von F. A. Maercker. Berlin, Decker.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1041"> Der vorliegende Versuch verdient zunächst das Lob einer gewissenhaften<lb/>
Arbeit. Was zu den Aeußerlichkeiten eines Kunstwerks gehört, Versmaß,<lb/>
Stil, poetisches Colorit, ferner die Technik in Bezug auf die Anordnung der<lb/>
Scenen, die Gruppirung der Figuren :c., alle diese Dinge, mit denen man es<lb/>
heutzutage nur zu leicht zu nehmen pflegt, hat der Verfasser mit großem Ernst<lb/>
und mit Sachverständniß behandelt. Es ist heute schon wohlthuend, wenn<lb/>
man im Drama einen gutklingenden Vers antrifft; und das ist hier in reichem<lb/>
Maße der Fall. Ferner macht das Drama durchweg den Eindruck, daß eS<lb/>
von einem gebildeten Mann herrühre. Die Ideen sind weder sehr neu, noch<lb/>
sehr frappant, aber sie stehen aus der Höhe der Cultur. Das alles berechtigt<lb/>
den Verfasser, bei dem Leser einen sueoös ä'öLtunö zu erwarten; ob auch auf<lb/>
dem Theater, das ist eine Frage, die wir verneinen müssen. Wol aber regt<lb/>
das Drama seiner Tendenz wegen zu der allgemeinen Besprechung eines poe¬<lb/>
tischen Princips an, die bei den Ferien, die uns die eigentlichen Theaterdichter<lb/>
geben, wol zeitgemäß sein möchte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1042" next="#ID_1043"> Dieselbe Reaction, die wir seit 17 Jahren auf dem französischen Theater<lb/>
verfolgen, fängt sich auch bei uns an zu regen. Seit 1838 sehen wir<lb/>
&gt;n Frankreich die römischen Tyrannen und die römischen Jungfrauen, die Tar-<lb/>
quinier und Appier, die Virginia und Lucretia, die man seit den ersten Stücken<lb/>
V. Hugos und A. Dumas von den Theatern auf immer verbannt glaubte,<lb/>
mit dem ganzen Apparat von Declamationen, an die man in der altclasstschen<lb/>
Zeit gewöhnt war, wieder auftreten. Seitdem das Drama der Renaissance<lb/>
und des Mittelalters sich in dem Thurm von Nesle und in den kolossalen<lb/>
Hatten der Burggrafen versteinert hatte, war man der Gothik und der Roman¬<lb/>
tik müde geworden. Eine geniale Schauspielerin beschwor die Schatten Cor-<lb/>
»eitles und Raeineö wieder herauf; ein junger talentvoller Dichter ging, um<lb/>
etwas Neues zu leisten, wieder bei Boileau in die Schule. Auf den ersten<lb/>
Beifallssturm ist freilich wieder eine gewisse Blastrlhcit eingetreten, aber wenn<lb/>
die Menge den römischen Tugenden nicht mehr zujauchzt, so ist dafür die feine</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Greuzlwlm. I. t8S7. 36</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] Antike Versuche aus dem modernen Theater. Alexandrea. Tragische Trilogie. Von F. A. Maercker. Berlin, Decker. Der vorliegende Versuch verdient zunächst das Lob einer gewissenhaften Arbeit. Was zu den Aeußerlichkeiten eines Kunstwerks gehört, Versmaß, Stil, poetisches Colorit, ferner die Technik in Bezug auf die Anordnung der Scenen, die Gruppirung der Figuren :c., alle diese Dinge, mit denen man es heutzutage nur zu leicht zu nehmen pflegt, hat der Verfasser mit großem Ernst und mit Sachverständniß behandelt. Es ist heute schon wohlthuend, wenn man im Drama einen gutklingenden Vers antrifft; und das ist hier in reichem Maße der Fall. Ferner macht das Drama durchweg den Eindruck, daß eS von einem gebildeten Mann herrühre. Die Ideen sind weder sehr neu, noch sehr frappant, aber sie stehen aus der Höhe der Cultur. Das alles berechtigt den Verfasser, bei dem Leser einen sueoös ä'öLtunö zu erwarten; ob auch auf dem Theater, das ist eine Frage, die wir verneinen müssen. Wol aber regt das Drama seiner Tendenz wegen zu der allgemeinen Besprechung eines poe¬ tischen Princips an, die bei den Ferien, die uns die eigentlichen Theaterdichter geben, wol zeitgemäß sein möchte. Dieselbe Reaction, die wir seit 17 Jahren auf dem französischen Theater verfolgen, fängt sich auch bei uns an zu regen. Seit 1838 sehen wir >n Frankreich die römischen Tyrannen und die römischen Jungfrauen, die Tar- quinier und Appier, die Virginia und Lucretia, die man seit den ersten Stücken V. Hugos und A. Dumas von den Theatern auf immer verbannt glaubte, mit dem ganzen Apparat von Declamationen, an die man in der altclasstschen Zeit gewöhnt war, wieder auftreten. Seitdem das Drama der Renaissance und des Mittelalters sich in dem Thurm von Nesle und in den kolossalen Hatten der Burggrafen versteinert hatte, war man der Gothik und der Roman¬ tik müde geworden. Eine geniale Schauspielerin beschwor die Schatten Cor- »eitles und Raeineö wieder herauf; ein junger talentvoller Dichter ging, um etwas Neues zu leisten, wieder bei Boileau in die Schule. Auf den ersten Beifallssturm ist freilich wieder eine gewisse Blastrlhcit eingetreten, aber wenn die Menge den römischen Tugenden nicht mehr zujauchzt, so ist dafür die feine Greuzlwlm. I. t8S7. 36

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/289>, abgerufen am 22.12.2024.