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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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überbaut, so daß sie nur dunkle Gänge bilden. Ueberhaupt entspricht das
Innere der Stadt durchaus nicht ihrem alten Ruhme, wie man ihn bei den
alten morgenländischen Schriftstellern findet, welche nicht genug Rühmens
machen können, wenn sie von der Pracht und Herrlichkeit der Königsstadt
sprechen. Eine Ausnahme davon machen nur Abulfeda und Ihr Batuta, zu
deren Zeit diese alte Stadt am Ostrande des Jranplateaus noch nicht wieder
aus dem Aschenhaufen erstanden war, in welchen sie der Weltstürmer und
Zerstörer Dschingis Khan verwandelt hatte. Die herrlichen Bauwerke, welche
als Denkmäler vergangener Pracht und ehemaligen Glanzes galten, sind jetzt
größtentheils von der Erde verschwunden oder zerbröckeln als Ruinen. Ueber¬
all sieht man Spuren des Verfalls oder Erinnerungen an die grausenhaften
Verheerungen, durch welche die mongolischen und persischen Eroberer Herat
zu verschiedenen Malen in einen Trümmerhaufen verwandelten. Denn diese
Stadt war von jeher ein Zankapfel zwischen Persien und Afghanistan, und
von Alters her mußte jeder Eroberer, der von Westasien nach Indien zog,
wegen ihrer strategischen Wichtigkeit und ihrer Lage an dem großen Durch-
zugSwege von Persien nach den productenreichen Ländern am Indus und
Ganges sich ihrer zu bemächtigen suchen, ehe er es wagen konnte, seinen Zug
weiter nach Osten fortzusetzen. Selbst die Hauptmoschee, ein großes Gebäude
mit prachtvoller Ausschmückung, neigt sich heutzutage dem Untergange zu. Der
Königsgarten galt einst für ein Wunder der Welt, aber seine Paläste waren
schon zu der Zeit, als Kinneir Herat besuchte, nichts als Trümmerhaufen.
Zu den merkwürdigsten Bauwerken Herats gehört Mussalah (Ort der Andacht)
ein Gebäude, das zur Aufnahme der irdischen Reste des Imam Reza (Riza)
bestimmt war, eines bei den Schiiten berühmten Heiligen, der zu Anfang des
neunten Jahrhunderts lebte und von dem Khalifen Mannum al Raschid
mittelst einer vergifteten Weintraube, die ihm der Khalif mit eignen
Händen anbot, ums Leben gebracht worden sein soll. Einer der mongo¬
lischen Herrscher, ein Nachkomme Timurs, begann das Gebäude bei Herat,
aber es wurde nie vollendet. Es entstanden nämlich Streitigkeiten, ob Herat
der geeignete Ort für diese Reliquien sei, und da sich die sabinische Geistlich¬
keit im Allgemeinen nicht ganz zu Gunsten dieser Stadt aussprach, so brachte
man die Gebeine des Heiligen nach Mesched, der Hauptstadt von Khorassan,
wohin seitdem die Perser häusig zu dem Grabmal des Heiligen wallfahrten.
Der britische Reisende Conolly wurde von der Großartigkeit des Gebäudes bei
Herat und seines Baustils überrascht, obgleich er Mussalah im äußersten
Verfall sah. Um ein großes Domgewölbe ziehen sich hohe Säulengänge mit
Mosaiken, die in weißen Ouarztafeln und bunten gebrannten Ziegeln aus¬
geführt sind. Aus den Ruinen erheben sich noch zwanzig Minarets, die von
einer Menge von Bogen und Säulen umgeben sind. Auf den höchsten Mi-


überbaut, so daß sie nur dunkle Gänge bilden. Ueberhaupt entspricht das
Innere der Stadt durchaus nicht ihrem alten Ruhme, wie man ihn bei den
alten morgenländischen Schriftstellern findet, welche nicht genug Rühmens
machen können, wenn sie von der Pracht und Herrlichkeit der Königsstadt
sprechen. Eine Ausnahme davon machen nur Abulfeda und Ihr Batuta, zu
deren Zeit diese alte Stadt am Ostrande des Jranplateaus noch nicht wieder
aus dem Aschenhaufen erstanden war, in welchen sie der Weltstürmer und
Zerstörer Dschingis Khan verwandelt hatte. Die herrlichen Bauwerke, welche
als Denkmäler vergangener Pracht und ehemaligen Glanzes galten, sind jetzt
größtentheils von der Erde verschwunden oder zerbröckeln als Ruinen. Ueber¬
all sieht man Spuren des Verfalls oder Erinnerungen an die grausenhaften
Verheerungen, durch welche die mongolischen und persischen Eroberer Herat
zu verschiedenen Malen in einen Trümmerhaufen verwandelten. Denn diese
Stadt war von jeher ein Zankapfel zwischen Persien und Afghanistan, und
von Alters her mußte jeder Eroberer, der von Westasien nach Indien zog,
wegen ihrer strategischen Wichtigkeit und ihrer Lage an dem großen Durch-
zugSwege von Persien nach den productenreichen Ländern am Indus und
Ganges sich ihrer zu bemächtigen suchen, ehe er es wagen konnte, seinen Zug
weiter nach Osten fortzusetzen. Selbst die Hauptmoschee, ein großes Gebäude
mit prachtvoller Ausschmückung, neigt sich heutzutage dem Untergange zu. Der
Königsgarten galt einst für ein Wunder der Welt, aber seine Paläste waren
schon zu der Zeit, als Kinneir Herat besuchte, nichts als Trümmerhaufen.
Zu den merkwürdigsten Bauwerken Herats gehört Mussalah (Ort der Andacht)
ein Gebäude, das zur Aufnahme der irdischen Reste des Imam Reza (Riza)
bestimmt war, eines bei den Schiiten berühmten Heiligen, der zu Anfang des
neunten Jahrhunderts lebte und von dem Khalifen Mannum al Raschid
mittelst einer vergifteten Weintraube, die ihm der Khalif mit eignen
Händen anbot, ums Leben gebracht worden sein soll. Einer der mongo¬
lischen Herrscher, ein Nachkomme Timurs, begann das Gebäude bei Herat,
aber es wurde nie vollendet. Es entstanden nämlich Streitigkeiten, ob Herat
der geeignete Ort für diese Reliquien sei, und da sich die sabinische Geistlich¬
keit im Allgemeinen nicht ganz zu Gunsten dieser Stadt aussprach, so brachte
man die Gebeine des Heiligen nach Mesched, der Hauptstadt von Khorassan,
wohin seitdem die Perser häusig zu dem Grabmal des Heiligen wallfahrten.
Der britische Reisende Conolly wurde von der Großartigkeit des Gebäudes bei
Herat und seines Baustils überrascht, obgleich er Mussalah im äußersten
Verfall sah. Um ein großes Domgewölbe ziehen sich hohe Säulengänge mit
Mosaiken, die in weißen Ouarztafeln und bunten gebrannten Ziegeln aus¬
geführt sind. Aus den Ruinen erheben sich noch zwanzig Minarets, die von
einer Menge von Bogen und Säulen umgeben sind. Auf den höchsten Mi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/262>, abgerufen am 22.12.2024.