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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Obgleich niemand den Umfang des Landes gemessen oder die Zahl seiner
Bewohner ermittelt hat, so ist es doch gebräuchlich, den Flächenraum des
Fürstenthums Herat zu 3200 Quadratmeilen und die Bevölkerungszahl zu
1,300,000 Seelen anzugeben.

Herat stand bis auf die neueste Zeit, wo es von den Persern erobert
wurde, unter der Herrschaft eines Afghanenfürsten von der Duranidynastie,
welcher ganz in der despotischen Weise regierte, die den Regierungen der west-
asiatischcn Länder eigenthümlich ist. Die bürgerliche Verfassung ist derjenigen
gleich, welche in andern Theilen Afghanistans üblich ist. Bei den angesesse¬
nen Völkerstämmen ist die Gemeinde, bei den nomadisirenden die Familie und
die Versammlung der Aeltesten die Grundlage der Verfassung und der einzige
Schutz vor den Erpressungen der Regierung.

Die Hauptstadt Herat ist eine der berühmtesten Städte des Morgenlandes,
von Alters her vielfach gepriesen als die "Königsstadt von Khorassan", der
"Segensort" und die "Perle der Welt". Sie liegt unter 3L°32' nördlicher
Breite und 62" 9' östlicher Länge, .in dem von hohen Bergen eingeschlossenen
fruchtbaren Thale des Heri oder Herirud, der, wie bereits erwähnt, ein Step¬
penfluß ohne Mündung ist. Die Stadt, eine der größten auf dem Plateau
von Iran, bildet ein längliches Viereck von 1600 Ellen Länge und 1i00
Ellen Breite. Dieses Viereck wird von einem Erdwall eingeschlossen, auf dem
sich eine Mauer von ungebrannten, an der Sonne getrockneten Backsteinen
erhebt, und der eine Höhe von i0--60 Fuß hat, während die darauf erbaute
Mauer 23--30 Fuß hoch ist. Das Ganze wird von einem breiten und tiefen
Graben umschlossen, der stets mit Wasser gefüllt ist. Herat bildet demnach
für eine mittelasiatische Stadt eine sehr achtbare, nur mit schwerem Geschütz
zu bewältigende Befestigung, und seine Stärke wird überdies durch eine
Citadelle erhöht, die sich am nördlichen Ende der Stadt aufbaut und ebenfalls
durch einen mit Wasser gefüllten Graben geschützt ist. Jede der vier Seiten
des Stadtvierecks hat ein Thor, die nördliche Seite aber noch ein zweites.
Von jedem Thore führen Reihen steinerner Läden oder Buden, vier große
oben in Bogen auslaufende Bazare bildend, nach dem Mittelpunkte der Stadt,
wo sie in einem freien Platze ausmünden. In den Hallen dieser bedeckten
Bazare, welche nicht weniger als 1200 Läden enthalten, flutet alles Volks¬
leben von Herat als in seinen Mittelpunkten auf und ab. Außerdem besitzt
die Stadt 17 Karawanserais oder Gasthöfe, 20 öffentliche Bäder, viele zum
öffentlichen Gebrauche bestimmte gemauerte Wasserbehälter, eine große Anzahl
von Moscheen, darunter mehre merkwürdige und prachtvolle, ferner zahlreiche
Schulen (Medresses) und Klöster, so wie eine Anzahl von Palästen. Die
meisten übrigen Häuser aber sind klein und niedrig, höchstens zwei Stockwerke
hoch, die Gassen eng und finster und zum Theil nach morgenländischer Sitte


Obgleich niemand den Umfang des Landes gemessen oder die Zahl seiner
Bewohner ermittelt hat, so ist es doch gebräuchlich, den Flächenraum des
Fürstenthums Herat zu 3200 Quadratmeilen und die Bevölkerungszahl zu
1,300,000 Seelen anzugeben.

Herat stand bis auf die neueste Zeit, wo es von den Persern erobert
wurde, unter der Herrschaft eines Afghanenfürsten von der Duranidynastie,
welcher ganz in der despotischen Weise regierte, die den Regierungen der west-
asiatischcn Länder eigenthümlich ist. Die bürgerliche Verfassung ist derjenigen
gleich, welche in andern Theilen Afghanistans üblich ist. Bei den angesesse¬
nen Völkerstämmen ist die Gemeinde, bei den nomadisirenden die Familie und
die Versammlung der Aeltesten die Grundlage der Verfassung und der einzige
Schutz vor den Erpressungen der Regierung.

Die Hauptstadt Herat ist eine der berühmtesten Städte des Morgenlandes,
von Alters her vielfach gepriesen als die „Königsstadt von Khorassan", der
„Segensort" und die „Perle der Welt". Sie liegt unter 3L°32' nördlicher
Breite und 62" 9' östlicher Länge, .in dem von hohen Bergen eingeschlossenen
fruchtbaren Thale des Heri oder Herirud, der, wie bereits erwähnt, ein Step¬
penfluß ohne Mündung ist. Die Stadt, eine der größten auf dem Plateau
von Iran, bildet ein längliches Viereck von 1600 Ellen Länge und 1i00
Ellen Breite. Dieses Viereck wird von einem Erdwall eingeschlossen, auf dem
sich eine Mauer von ungebrannten, an der Sonne getrockneten Backsteinen
erhebt, und der eine Höhe von i0—60 Fuß hat, während die darauf erbaute
Mauer 23—30 Fuß hoch ist. Das Ganze wird von einem breiten und tiefen
Graben umschlossen, der stets mit Wasser gefüllt ist. Herat bildet demnach
für eine mittelasiatische Stadt eine sehr achtbare, nur mit schwerem Geschütz
zu bewältigende Befestigung, und seine Stärke wird überdies durch eine
Citadelle erhöht, die sich am nördlichen Ende der Stadt aufbaut und ebenfalls
durch einen mit Wasser gefüllten Graben geschützt ist. Jede der vier Seiten
des Stadtvierecks hat ein Thor, die nördliche Seite aber noch ein zweites.
Von jedem Thore führen Reihen steinerner Läden oder Buden, vier große
oben in Bogen auslaufende Bazare bildend, nach dem Mittelpunkte der Stadt,
wo sie in einem freien Platze ausmünden. In den Hallen dieser bedeckten
Bazare, welche nicht weniger als 1200 Läden enthalten, flutet alles Volks¬
leben von Herat als in seinen Mittelpunkten auf und ab. Außerdem besitzt
die Stadt 17 Karawanserais oder Gasthöfe, 20 öffentliche Bäder, viele zum
öffentlichen Gebrauche bestimmte gemauerte Wasserbehälter, eine große Anzahl
von Moscheen, darunter mehre merkwürdige und prachtvolle, ferner zahlreiche
Schulen (Medresses) und Klöster, so wie eine Anzahl von Palästen. Die
meisten übrigen Häuser aber sind klein und niedrig, höchstens zwei Stockwerke
hoch, die Gassen eng und finster und zum Theil nach morgenländischer Sitte


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[0261] Obgleich niemand den Umfang des Landes gemessen oder die Zahl seiner Bewohner ermittelt hat, so ist es doch gebräuchlich, den Flächenraum des Fürstenthums Herat zu 3200 Quadratmeilen und die Bevölkerungszahl zu 1,300,000 Seelen anzugeben. Herat stand bis auf die neueste Zeit, wo es von den Persern erobert wurde, unter der Herrschaft eines Afghanenfürsten von der Duranidynastie, welcher ganz in der despotischen Weise regierte, die den Regierungen der west- asiatischcn Länder eigenthümlich ist. Die bürgerliche Verfassung ist derjenigen gleich, welche in andern Theilen Afghanistans üblich ist. Bei den angesesse¬ nen Völkerstämmen ist die Gemeinde, bei den nomadisirenden die Familie und die Versammlung der Aeltesten die Grundlage der Verfassung und der einzige Schutz vor den Erpressungen der Regierung. Die Hauptstadt Herat ist eine der berühmtesten Städte des Morgenlandes, von Alters her vielfach gepriesen als die „Königsstadt von Khorassan", der „Segensort" und die „Perle der Welt". Sie liegt unter 3L°32' nördlicher Breite und 62" 9' östlicher Länge, .in dem von hohen Bergen eingeschlossenen fruchtbaren Thale des Heri oder Herirud, der, wie bereits erwähnt, ein Step¬ penfluß ohne Mündung ist. Die Stadt, eine der größten auf dem Plateau von Iran, bildet ein längliches Viereck von 1600 Ellen Länge und 1i00 Ellen Breite. Dieses Viereck wird von einem Erdwall eingeschlossen, auf dem sich eine Mauer von ungebrannten, an der Sonne getrockneten Backsteinen erhebt, und der eine Höhe von i0—60 Fuß hat, während die darauf erbaute Mauer 23—30 Fuß hoch ist. Das Ganze wird von einem breiten und tiefen Graben umschlossen, der stets mit Wasser gefüllt ist. Herat bildet demnach für eine mittelasiatische Stadt eine sehr achtbare, nur mit schwerem Geschütz zu bewältigende Befestigung, und seine Stärke wird überdies durch eine Citadelle erhöht, die sich am nördlichen Ende der Stadt aufbaut und ebenfalls durch einen mit Wasser gefüllten Graben geschützt ist. Jede der vier Seiten des Stadtvierecks hat ein Thor, die nördliche Seite aber noch ein zweites. Von jedem Thore führen Reihen steinerner Läden oder Buden, vier große oben in Bogen auslaufende Bazare bildend, nach dem Mittelpunkte der Stadt, wo sie in einem freien Platze ausmünden. In den Hallen dieser bedeckten Bazare, welche nicht weniger als 1200 Läden enthalten, flutet alles Volks¬ leben von Herat als in seinen Mittelpunkten auf und ab. Außerdem besitzt die Stadt 17 Karawanserais oder Gasthöfe, 20 öffentliche Bäder, viele zum öffentlichen Gebrauche bestimmte gemauerte Wasserbehälter, eine große Anzahl von Moscheen, darunter mehre merkwürdige und prachtvolle, ferner zahlreiche Schulen (Medresses) und Klöster, so wie eine Anzahl von Palästen. Die meisten übrigen Häuser aber sind klein und niedrig, höchstens zwei Stockwerke hoch, die Gassen eng und finster und zum Theil nach morgenländischer Sitte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/261>, abgerufen am 25.08.2024.