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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Schwiegervater hatte mir nichts geschenkt, wie er mir nachher anzeigte, weil
er für mich fünf Gulden beim Doctoratmahle bezahlt hatte, damit sollte ich
mich begnügen. Meine Frau brachte etwas schlechten Hausrath, eine alte
Pfanne, worin man ihre Pappe gekocht hatte, und eine breite hölzerne Schüssel,
worin man ihrer Mutter, wenn sie Kindbetterin gewesen, das Essen gebracht
hatte, und sonst einiges schlechte Geschirr, das sie in unserer Kammer hinter
einen Rahmen steckte. Darnach fing man sogleich an, die Hausordnung zu bestellen,
dazu sollte meine Frau Rath und Anordnung geben. Da gab es allerlei
Bedenken. So hatte mein Vater noch Tischgänger und allerlei Unruh im
Hause, so daß wir beide jungen Eheleute sehr geplagt wurden; wir wären
lieber allein in einer Haushaltung gewesen, aber wir könntens nicht durchsetzen,
mußten fast drei Jahre so bei meinem Vater am Tisch bleiben und ich mich
so mit meiner Kammer behelfen, und um die Kranken zu verhören mit dem
untern Saal, der im Winter kalt war. Da gab es zu Zeiten allerlei Anstoß,
weil ich nichts für die Küche zuschießen konnte, denn ich hatte genug zu
thun um uns zu kleiden, und manchmal, wenn ich etwas verdiente, un meinen
Kleidern zu bezahlen, die ich noch in den Läden schuldig war, was mir vor¬
geworfen wurde, wenn ich es nicht that. Es gab also zu Zeiten Händel, wie
sich gemeiniglich zuträgt, wenn Alt und Jung beieinander wohnen. Da hätte
wol meine Frau gern gehabt, daß wir allein wohnten, wollte sich mit Ge¬
ringen behelfen, mein Vater sollte die versprochene Ehesteuer geben und die
mir zugebrachten hundert Gulden, damit wollten wir auskommen; dies aber
konnte mein Vater, da er kein baar Geld hatte, nicht thun. Ich aber wollte
meinen Vater nicht erzürnen und redete also gut zu; wir wollten uns, bis
ich in bessere Praxis käme, gedulden. Das bekümmerte mich, weil ich sie lieb
hatte und gern gut gehalten hätte, wie einer Doctors Frau gebührt; weshalb
ich sie auch lange Zeit nicht gedutzt, sondern ge-ert habe; das sah mein Va¬
ter nicht gern und meinte, es sollte nicht sein. Ich - hatte vor dem neuen
Jahre, wie auch nachher im Frühling noch nicht viel zu thun, doch that ich
mich redlich hervor, wenn etwa bei Mahlzeiten oder auch sonst Gelegenheit
war, von Krankheiten zu reden, und wie ihnen abzuhelfen, so daß ich manch¬
mal, wenn ichs daheim that im Beisein meines Schwiegervaters, wenn dieser
bei uns aß, der ein guter Chirurg und auch viel erfahren war, von ihm
etwas angegriffen und angetastet würde: Ich werde noch viel erfahren müssen,
eS habe bei uns eine andere Praxis. Das hörte ich als ein Junger nicht
recht gern und widersprach manchmal, mußte mich jedoch demüthigen, weil ich
noch keine Praxis hatte. Doch fing die Praxis an, an mich zu kommen und
zuzunehmen.

ES waren der Aerzte viel, da ich gen Basel kam -- graduirte und Em-
pirici, um die Zeit anno 1657/58 bei siebzehn. Da mußte ich Künste anwen-


Schwiegervater hatte mir nichts geschenkt, wie er mir nachher anzeigte, weil
er für mich fünf Gulden beim Doctoratmahle bezahlt hatte, damit sollte ich
mich begnügen. Meine Frau brachte etwas schlechten Hausrath, eine alte
Pfanne, worin man ihre Pappe gekocht hatte, und eine breite hölzerne Schüssel,
worin man ihrer Mutter, wenn sie Kindbetterin gewesen, das Essen gebracht
hatte, und sonst einiges schlechte Geschirr, das sie in unserer Kammer hinter
einen Rahmen steckte. Darnach fing man sogleich an, die Hausordnung zu bestellen,
dazu sollte meine Frau Rath und Anordnung geben. Da gab es allerlei
Bedenken. So hatte mein Vater noch Tischgänger und allerlei Unruh im
Hause, so daß wir beide jungen Eheleute sehr geplagt wurden; wir wären
lieber allein in einer Haushaltung gewesen, aber wir könntens nicht durchsetzen,
mußten fast drei Jahre so bei meinem Vater am Tisch bleiben und ich mich
so mit meiner Kammer behelfen, und um die Kranken zu verhören mit dem
untern Saal, der im Winter kalt war. Da gab es zu Zeiten allerlei Anstoß,
weil ich nichts für die Küche zuschießen konnte, denn ich hatte genug zu
thun um uns zu kleiden, und manchmal, wenn ich etwas verdiente, un meinen
Kleidern zu bezahlen, die ich noch in den Läden schuldig war, was mir vor¬
geworfen wurde, wenn ich es nicht that. Es gab also zu Zeiten Händel, wie
sich gemeiniglich zuträgt, wenn Alt und Jung beieinander wohnen. Da hätte
wol meine Frau gern gehabt, daß wir allein wohnten, wollte sich mit Ge¬
ringen behelfen, mein Vater sollte die versprochene Ehesteuer geben und die
mir zugebrachten hundert Gulden, damit wollten wir auskommen; dies aber
konnte mein Vater, da er kein baar Geld hatte, nicht thun. Ich aber wollte
meinen Vater nicht erzürnen und redete also gut zu; wir wollten uns, bis
ich in bessere Praxis käme, gedulden. Das bekümmerte mich, weil ich sie lieb
hatte und gern gut gehalten hätte, wie einer Doctors Frau gebührt; weshalb
ich sie auch lange Zeit nicht gedutzt, sondern ge-ert habe; das sah mein Va¬
ter nicht gern und meinte, es sollte nicht sein. Ich - hatte vor dem neuen
Jahre, wie auch nachher im Frühling noch nicht viel zu thun, doch that ich
mich redlich hervor, wenn etwa bei Mahlzeiten oder auch sonst Gelegenheit
war, von Krankheiten zu reden, und wie ihnen abzuhelfen, so daß ich manch¬
mal, wenn ichs daheim that im Beisein meines Schwiegervaters, wenn dieser
bei uns aß, der ein guter Chirurg und auch viel erfahren war, von ihm
etwas angegriffen und angetastet würde: Ich werde noch viel erfahren müssen,
eS habe bei uns eine andere Praxis. Das hörte ich als ein Junger nicht
recht gern und widersprach manchmal, mußte mich jedoch demüthigen, weil ich
noch keine Praxis hatte. Doch fing die Praxis an, an mich zu kommen und
zuzunehmen.

ES waren der Aerzte viel, da ich gen Basel kam — graduirte und Em-
pirici, um die Zeit anno 1657/58 bei siebzehn. Da mußte ich Künste anwen-


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[0246] Schwiegervater hatte mir nichts geschenkt, wie er mir nachher anzeigte, weil er für mich fünf Gulden beim Doctoratmahle bezahlt hatte, damit sollte ich mich begnügen. Meine Frau brachte etwas schlechten Hausrath, eine alte Pfanne, worin man ihre Pappe gekocht hatte, und eine breite hölzerne Schüssel, worin man ihrer Mutter, wenn sie Kindbetterin gewesen, das Essen gebracht hatte, und sonst einiges schlechte Geschirr, das sie in unserer Kammer hinter einen Rahmen steckte. Darnach fing man sogleich an, die Hausordnung zu bestellen, dazu sollte meine Frau Rath und Anordnung geben. Da gab es allerlei Bedenken. So hatte mein Vater noch Tischgänger und allerlei Unruh im Hause, so daß wir beide jungen Eheleute sehr geplagt wurden; wir wären lieber allein in einer Haushaltung gewesen, aber wir könntens nicht durchsetzen, mußten fast drei Jahre so bei meinem Vater am Tisch bleiben und ich mich so mit meiner Kammer behelfen, und um die Kranken zu verhören mit dem untern Saal, der im Winter kalt war. Da gab es zu Zeiten allerlei Anstoß, weil ich nichts für die Küche zuschießen konnte, denn ich hatte genug zu thun um uns zu kleiden, und manchmal, wenn ich etwas verdiente, un meinen Kleidern zu bezahlen, die ich noch in den Läden schuldig war, was mir vor¬ geworfen wurde, wenn ich es nicht that. Es gab also zu Zeiten Händel, wie sich gemeiniglich zuträgt, wenn Alt und Jung beieinander wohnen. Da hätte wol meine Frau gern gehabt, daß wir allein wohnten, wollte sich mit Ge¬ ringen behelfen, mein Vater sollte die versprochene Ehesteuer geben und die mir zugebrachten hundert Gulden, damit wollten wir auskommen; dies aber konnte mein Vater, da er kein baar Geld hatte, nicht thun. Ich aber wollte meinen Vater nicht erzürnen und redete also gut zu; wir wollten uns, bis ich in bessere Praxis käme, gedulden. Das bekümmerte mich, weil ich sie lieb hatte und gern gut gehalten hätte, wie einer Doctors Frau gebührt; weshalb ich sie auch lange Zeit nicht gedutzt, sondern ge-ert habe; das sah mein Va¬ ter nicht gern und meinte, es sollte nicht sein. Ich - hatte vor dem neuen Jahre, wie auch nachher im Frühling noch nicht viel zu thun, doch that ich mich redlich hervor, wenn etwa bei Mahlzeiten oder auch sonst Gelegenheit war, von Krankheiten zu reden, und wie ihnen abzuhelfen, so daß ich manch¬ mal, wenn ichs daheim that im Beisein meines Schwiegervaters, wenn dieser bei uns aß, der ein guter Chirurg und auch viel erfahren war, von ihm etwas angegriffen und angetastet würde: Ich werde noch viel erfahren müssen, eS habe bei uns eine andere Praxis. Das hörte ich als ein Junger nicht recht gern und widersprach manchmal, mußte mich jedoch demüthigen, weil ich noch keine Praxis hatte. Doch fing die Praxis an, an mich zu kommen und zuzunehmen. ES waren der Aerzte viel, da ich gen Basel kam — graduirte und Em- pirici, um die Zeit anno 1657/58 bei siebzehn. Da mußte ich Künste anwen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/246>, abgerufen am 22.12.2024.