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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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war, die Dynastie zu stürzen, nicht um eine Republik einzurichten, sondern
mit bestimmtem Hinblick auf die Familie Orleans. Thiers war mittlerweile
durch seinen Antheil am Constitutionell ein reicher Mann geworden, es konnte
ihm nicht daran liegen, . den Jakobinern zur Herrschaft zu verhelfen. Jene
Absicht wurde mit einer unerhörten Consequenz verfolgt. Die Taktik bestand
einmal darin, alle Konsequenzen der Charte zu ziehen und die Regierung in
ein Netz beschränkender Bedingungen zu verstricken, aus denen sie, wie man
mit Bestimmtheit voraussah, sich durch einen Staatsstreich würde befreien
wollen, sodann in der beständigen Wiederholung des Grundsatzes, daß eine
Revolution sich niemals wiederholt, daß die scheinbare Wiederholung, wie die
von 1688, nur einen Wechsel der Personen, nicht der Ideen und Zustände
bedeute. Im Uebrigen war die Polemik so leidenschaftlich, persönlich und
Perfid als möglich. Jede Handlung des Ministeriums, auch die verständigste,
wurde als ein unfehlbarer Schritt zum Ruin des Vaterlandes bezeichnet*).
.So kamen die Ordonnanzen, Thiers stellte sich an die Spitze der protestirenden
Journalisten und redigirte den Protest,' das Signal zum Aufstand. Er war
eS auch, der die Verhandlungen mit dem Herzog von Orleans leitete. Wenn
die Intriguen ins Einzelne in Anschlag gebracht werden dürften, so ist es
vorzugsweise Thiers, an den sich das Lob und der Tadel dieses Ereignisses
knüpft.

Nach der Revolution verließ Thiers, wie die Mehrzahl der liberalen
Schriftsteller, das literarische Leben und wandte sich ausschließlich der prak¬
tischen Politik zu. Wir wenden uns daher für den Augenblick zu Mignet,
einem der Wenigen, die der Literatur treu blieben, denn sein Aufenthalt in
der zweiten Kammer 1832 bis 183ö beschäftigte ihn nicht sehr. Zuerst wurde
er Archivar im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, dann 1832 in
die Akademie der Moralischen und politischen Wissenschaften aufgenommen, als
deren beständiger Secretär er nach Comtes Tod die officiellen Lobreden redi¬
girte. 1837 öffneten sich ihm auch die Schranken der ^ekZemis frau^ist.
Seine Betheiligung an der Sammlung französischer Quellenschriststeller, die
durch Guizot angeregt wurde, war sehr bedeutend; er zeigte sich durchweg
als scharfsinniger, correcter Kritiker, wenn er auch das bedenkliche Talent ent¬
wickelte, Thatsachen, die ihm nicht passen wollten, zu ignoriren. Seine de
deutendste Arbeit in dieser Richtung ist die Einleitung in die Verhandlungen
bezüglich auf die spanische Erbfolge (183S). Später, 1847-1830, als von
Labanoff und Bargaud zwei neue Biographien der Maria Stuart erschienen,
nahm er die Gelegenheit wahr, eine Reihe bisher noch unbekannter Acten¬
stücke zu veröffentlichen, und^sie zu einer Geschichte dieser Königin zu ver-



*) Die Polemik des National gegen die Romantiker ging mehr von Armand Carrel ans.

war, die Dynastie zu stürzen, nicht um eine Republik einzurichten, sondern
mit bestimmtem Hinblick auf die Familie Orleans. Thiers war mittlerweile
durch seinen Antheil am Constitutionell ein reicher Mann geworden, es konnte
ihm nicht daran liegen, . den Jakobinern zur Herrschaft zu verhelfen. Jene
Absicht wurde mit einer unerhörten Consequenz verfolgt. Die Taktik bestand
einmal darin, alle Konsequenzen der Charte zu ziehen und die Regierung in
ein Netz beschränkender Bedingungen zu verstricken, aus denen sie, wie man
mit Bestimmtheit voraussah, sich durch einen Staatsstreich würde befreien
wollen, sodann in der beständigen Wiederholung des Grundsatzes, daß eine
Revolution sich niemals wiederholt, daß die scheinbare Wiederholung, wie die
von 1688, nur einen Wechsel der Personen, nicht der Ideen und Zustände
bedeute. Im Uebrigen war die Polemik so leidenschaftlich, persönlich und
Perfid als möglich. Jede Handlung des Ministeriums, auch die verständigste,
wurde als ein unfehlbarer Schritt zum Ruin des Vaterlandes bezeichnet*).
.So kamen die Ordonnanzen, Thiers stellte sich an die Spitze der protestirenden
Journalisten und redigirte den Protest,' das Signal zum Aufstand. Er war
eS auch, der die Verhandlungen mit dem Herzog von Orleans leitete. Wenn
die Intriguen ins Einzelne in Anschlag gebracht werden dürften, so ist es
vorzugsweise Thiers, an den sich das Lob und der Tadel dieses Ereignisses
knüpft.

Nach der Revolution verließ Thiers, wie die Mehrzahl der liberalen
Schriftsteller, das literarische Leben und wandte sich ausschließlich der prak¬
tischen Politik zu. Wir wenden uns daher für den Augenblick zu Mignet,
einem der Wenigen, die der Literatur treu blieben, denn sein Aufenthalt in
der zweiten Kammer 1832 bis 183ö beschäftigte ihn nicht sehr. Zuerst wurde
er Archivar im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, dann 1832 in
die Akademie der Moralischen und politischen Wissenschaften aufgenommen, als
deren beständiger Secretär er nach Comtes Tod die officiellen Lobreden redi¬
girte. 1837 öffneten sich ihm auch die Schranken der ^ekZemis frau^ist.
Seine Betheiligung an der Sammlung französischer Quellenschriststeller, die
durch Guizot angeregt wurde, war sehr bedeutend; er zeigte sich durchweg
als scharfsinniger, correcter Kritiker, wenn er auch das bedenkliche Talent ent¬
wickelte, Thatsachen, die ihm nicht passen wollten, zu ignoriren. Seine de
deutendste Arbeit in dieser Richtung ist die Einleitung in die Verhandlungen
bezüglich auf die spanische Erbfolge (183S). Später, 1847-1830, als von
Labanoff und Bargaud zwei neue Biographien der Maria Stuart erschienen,
nahm er die Gelegenheit wahr, eine Reihe bisher noch unbekannter Acten¬
stücke zu veröffentlichen, und^sie zu einer Geschichte dieser Königin zu ver-



*) Die Polemik des National gegen die Romantiker ging mehr von Armand Carrel ans.
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[0221] war, die Dynastie zu stürzen, nicht um eine Republik einzurichten, sondern mit bestimmtem Hinblick auf die Familie Orleans. Thiers war mittlerweile durch seinen Antheil am Constitutionell ein reicher Mann geworden, es konnte ihm nicht daran liegen, . den Jakobinern zur Herrschaft zu verhelfen. Jene Absicht wurde mit einer unerhörten Consequenz verfolgt. Die Taktik bestand einmal darin, alle Konsequenzen der Charte zu ziehen und die Regierung in ein Netz beschränkender Bedingungen zu verstricken, aus denen sie, wie man mit Bestimmtheit voraussah, sich durch einen Staatsstreich würde befreien wollen, sodann in der beständigen Wiederholung des Grundsatzes, daß eine Revolution sich niemals wiederholt, daß die scheinbare Wiederholung, wie die von 1688, nur einen Wechsel der Personen, nicht der Ideen und Zustände bedeute. Im Uebrigen war die Polemik so leidenschaftlich, persönlich und Perfid als möglich. Jede Handlung des Ministeriums, auch die verständigste, wurde als ein unfehlbarer Schritt zum Ruin des Vaterlandes bezeichnet*). .So kamen die Ordonnanzen, Thiers stellte sich an die Spitze der protestirenden Journalisten und redigirte den Protest,' das Signal zum Aufstand. Er war eS auch, der die Verhandlungen mit dem Herzog von Orleans leitete. Wenn die Intriguen ins Einzelne in Anschlag gebracht werden dürften, so ist es vorzugsweise Thiers, an den sich das Lob und der Tadel dieses Ereignisses knüpft. Nach der Revolution verließ Thiers, wie die Mehrzahl der liberalen Schriftsteller, das literarische Leben und wandte sich ausschließlich der prak¬ tischen Politik zu. Wir wenden uns daher für den Augenblick zu Mignet, einem der Wenigen, die der Literatur treu blieben, denn sein Aufenthalt in der zweiten Kammer 1832 bis 183ö beschäftigte ihn nicht sehr. Zuerst wurde er Archivar im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, dann 1832 in die Akademie der Moralischen und politischen Wissenschaften aufgenommen, als deren beständiger Secretär er nach Comtes Tod die officiellen Lobreden redi¬ girte. 1837 öffneten sich ihm auch die Schranken der ^ekZemis frau^ist. Seine Betheiligung an der Sammlung französischer Quellenschriststeller, die durch Guizot angeregt wurde, war sehr bedeutend; er zeigte sich durchweg als scharfsinniger, correcter Kritiker, wenn er auch das bedenkliche Talent ent¬ wickelte, Thatsachen, die ihm nicht passen wollten, zu ignoriren. Seine de deutendste Arbeit in dieser Richtung ist die Einleitung in die Verhandlungen bezüglich auf die spanische Erbfolge (183S). Später, 1847-1830, als von Labanoff und Bargaud zwei neue Biographien der Maria Stuart erschienen, nahm er die Gelegenheit wahr, eine Reihe bisher noch unbekannter Acten¬ stücke zu veröffentlichen, und^sie zu einer Geschichte dieser Königin zu ver- *) Die Polemik des National gegen die Romantiker ging mehr von Armand Carrel ans.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/221>, abgerufen am 25.08.2024.