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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Einfluß beurtheilt, den sie auf die Entfaltung der kriegerischen Macht Frank¬
reichs ausübt. Welche Vorliebe er zuerst auch für die Girondisten empfindet,
sobald er den Verdacht faßt, daß sie der kriegerischen Machtentwicklung Frank¬
reichs schädlich sind, läßt er sie im Stich und geht zur Bergpartei über. Die
Organisationen Camoes und die Finanzverwaltung Cambons waren für den mili¬
tärischen Erfolg nothwendig, und ihnen zu Liebe vertheidigt er die ganze Politik
des Wohlfahrtsausschusses, dessen Mitglieder sie waren. Ja er läßt sich einmal
zu einer warmen Lobrede auf Robespierre verleiten, was nicht blos in Be¬
ziehung auf die politischen Gesinnungen der Zeit, in der es geschah (1826),
sehr ausfallend war, sondern auch seinen natürlichen Neigungen widersprach.
Für Mirabeau, für Danton und ähnliche Charaktere, deren ganzes Leben in
die Action aufging, hatte er eine angeborne Vorliebe; Robespierre dagegen,
der frostige, pedantische Systematiker, war ihm zuwider. Trotzdem lobt er ihn,
so lange das Schreckensregiment im Sinn der patriotischen Jugend war.
Sobald dieser Nimbus aufhört, wirft er ihn mit kalter Verachtung bei Seite.
Diesen Gesichtspunkt muß man festhalten, um den beständigen Wechsel in
seinen Urtheilen zu verstehen, der ihm harte Vorwürfe zugezogen hat: er hasse
niemand, aber er liebe der Reihe nach alle Welt, und in seinen Auge" sei
die Macht eine Rechtfertigung für diejenigen, die sie in Händen hätten. Etwas
davon ist richtig, aber Thiers war doch nicht ganz der Geschichtschreiber des
Glücks und des Erfolgs, als ven man ihn bezeichnete. Er war der Geschicht¬
schreiber der Action; das ist bei ihm das Erste und das Letzte. Wenn nur die
geschlagene Partei anständig zu fallen weiß, so findet er auch für sie schone Worte
der Begeisteru.ng, venu auch das Sterben ist eine Action. Und nun denke man
was diese Darstellung, veren Feuer auch Deutsche und Engländer hingerissen
hat, auf das elastische Volk Der Franzosen, deren Helventhate" verherrlicht
wurden, ausüben mußte. Mit Be-mngers Liedern zusammengestellt, ist dieses
Buch nicht blos die Darstellung der vergangenen, sondern das Programm
der neuen, aus allen Kräften vorbereiteten Revolution.

In der Geschichte der Revolution spricht er sich trotz einzelner Reser¬
vationen ganz entschieden als Jakobiner aus, wenn er auch die Absicht ge¬
schickt genug versteckt. Auffallenderweise tritt das nicht so stark in der auf¬
steigenden Periode der Revolution hervor, wo man annehmen könnte, er sei
vom Erfolg berauscht, sonvern in der absteigenden, in der Zeit des Direk¬
toriums. Hier tritt er, wenn die reactionäre Partei die allerbilligsten An¬
forderungen stellt, mit einer Härte gegen sie aus und spricht sich über den
Aberglauben der christlichen Religion mit einer kalten Verachtung aus, die
keinen Zweifel übrig läßt. Noch mehr: er ist mitunter nicht blos der Vol-
tairianer, nicht blos der Demokrat, sondern der Plebejer, der sich über den
Sturz des Alten freut. Man höre den Schluß seines Buches, in dem er die


Einfluß beurtheilt, den sie auf die Entfaltung der kriegerischen Macht Frank¬
reichs ausübt. Welche Vorliebe er zuerst auch für die Girondisten empfindet,
sobald er den Verdacht faßt, daß sie der kriegerischen Machtentwicklung Frank¬
reichs schädlich sind, läßt er sie im Stich und geht zur Bergpartei über. Die
Organisationen Camoes und die Finanzverwaltung Cambons waren für den mili¬
tärischen Erfolg nothwendig, und ihnen zu Liebe vertheidigt er die ganze Politik
des Wohlfahrtsausschusses, dessen Mitglieder sie waren. Ja er läßt sich einmal
zu einer warmen Lobrede auf Robespierre verleiten, was nicht blos in Be¬
ziehung auf die politischen Gesinnungen der Zeit, in der es geschah (1826),
sehr ausfallend war, sondern auch seinen natürlichen Neigungen widersprach.
Für Mirabeau, für Danton und ähnliche Charaktere, deren ganzes Leben in
die Action aufging, hatte er eine angeborne Vorliebe; Robespierre dagegen,
der frostige, pedantische Systematiker, war ihm zuwider. Trotzdem lobt er ihn,
so lange das Schreckensregiment im Sinn der patriotischen Jugend war.
Sobald dieser Nimbus aufhört, wirft er ihn mit kalter Verachtung bei Seite.
Diesen Gesichtspunkt muß man festhalten, um den beständigen Wechsel in
seinen Urtheilen zu verstehen, der ihm harte Vorwürfe zugezogen hat: er hasse
niemand, aber er liebe der Reihe nach alle Welt, und in seinen Auge» sei
die Macht eine Rechtfertigung für diejenigen, die sie in Händen hätten. Etwas
davon ist richtig, aber Thiers war doch nicht ganz der Geschichtschreiber des
Glücks und des Erfolgs, als ven man ihn bezeichnete. Er war der Geschicht¬
schreiber der Action; das ist bei ihm das Erste und das Letzte. Wenn nur die
geschlagene Partei anständig zu fallen weiß, so findet er auch für sie schone Worte
der Begeisteru.ng, venu auch das Sterben ist eine Action. Und nun denke man
was diese Darstellung, veren Feuer auch Deutsche und Engländer hingerissen
hat, auf das elastische Volk Der Franzosen, deren Helventhate» verherrlicht
wurden, ausüben mußte. Mit Be-mngers Liedern zusammengestellt, ist dieses
Buch nicht blos die Darstellung der vergangenen, sondern das Programm
der neuen, aus allen Kräften vorbereiteten Revolution.

In der Geschichte der Revolution spricht er sich trotz einzelner Reser¬
vationen ganz entschieden als Jakobiner aus, wenn er auch die Absicht ge¬
schickt genug versteckt. Auffallenderweise tritt das nicht so stark in der auf¬
steigenden Periode der Revolution hervor, wo man annehmen könnte, er sei
vom Erfolg berauscht, sonvern in der absteigenden, in der Zeit des Direk¬
toriums. Hier tritt er, wenn die reactionäre Partei die allerbilligsten An¬
forderungen stellt, mit einer Härte gegen sie aus und spricht sich über den
Aberglauben der christlichen Religion mit einer kalten Verachtung aus, die
keinen Zweifel übrig läßt. Noch mehr: er ist mitunter nicht blos der Vol-
tairianer, nicht blos der Demokrat, sondern der Plebejer, der sich über den
Sturz des Alten freut. Man höre den Schluß seines Buches, in dem er die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/216>, abgerufen am 22.12.2024.