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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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fertigung galt eigentlich auch nicht dem Berge, sondern dem Publicum, das
den Berg gewähren ließ. Er unternahm es, die ganze Revolution bis zum
Jahr 181i als einen Naturproceß darzustellen, in dem jeder einzelne Act ein
nothwendiger war, die Hinrichtung der Girondisten, wie die Hinrichtung
Robespierres. Die Methode dieses sogenannten Fatalismus bestand darin,
daß er für jede Wirkung die Ursache aufsuchte, was in der That keine Kunst
war, denn jede Wirkung muß eine Ursache haben; daß er aber diese ver¬
mittelnde Ursache ausschließlich inS Auge faßte und so die sämmtlichen Ereig¬
nisse der Revolution durch einen rothen Faden verwebte, der dem Anschein
nach in ihnen lag, den man in der That aber erst hineingetragen hatte. Die
Methode erinnert auffallend an die Betrachtung unsers Georg Forster über
die französische Revolution: eine Schrift, über deren geistvoller Deduction man
eS ganz übersehen hat, daß sie ein Ausfluß der Verzweiflung ist. Bei Mignet
ist von dieser Verzweiflung keine Rede; er findet sich im Gegentheil vollkommen
befriedigt, weil es ihm gelungen ist, die Revolution, das heißt das französische
Volk während der verschiedenen Epochen der Revolution, gegen die gewöhn¬
lichen Vorwürfe ^u rechtfertigen und alle Schuld einem geheimnißvollen Natur-
Proceß aufzubürden. Aber hinter dieser Rechtfertigung steckte noch ein Neben¬
gedanke. Zuerst ging bis zum 9. Thermidor alles vom Guten zum Schlimmen,
aber dies war der Höhepunkt, dann wurde es immer besser, und der Schrift¬
steller ließ durchblicken, daß der Naturproceß in seinem, weitern Verlauf eine
ähnliche Richtung nehmen werde, man könne also wegen der Zukunft un¬
besorgt sein.

Die zweite Ausgabe war, das Programm von Si'spes zu vertheidigen.
Das gelang dem Geschichtschreiber dadurch, daß er anstatt eines ausgeführten
Gemäldes bloße Conturen gab. Er schilderte im Grunde, abgesehen von
einigen Katastrophen auf der Straße, die sich nicht umgehen ließen, nur die
Parlamentarischen Vorgänge, nur die Thätigkeit der Bourgeoisie; die andern
Kräfte, der Pöbel, die Kirche, der Adel, das Militär, wurden zwar erwähnt,
aber in so matten Farben gehalten, daß die Phantasie von ihnen keinen Ein¬
druck empfing; sie wurden entweder ignorirt, oder als vorübergehende Irr¬
thümer flüchtig beseitigt. Wenn Mignets Methode paradox war, der Stoss hatte
nichts Paradoxes, und der liberale Philister konnte sich einreden, im Grunde
seien in jener furchtbaren Zeit nur seine eignen Gedanken thätig gewesen.

Die schwerste Ausgabe war, nachzuweisen, daß die Revolution wirklich
ihr Ziel erreicht habe; um so schwieriger, da es nicht in Mignets Absicht
liegen konnte, die Restauration als die letzte Errungenschaft der revolutionären
Bestrebungen zu rechtfertigen. Mignet begnügte sich damit, die Idee des con-
stitutionellen Staatslebens als fertig darzustellen; was aber die wirkliche Ent¬
wicklung desselben betraf, bei dem Sturz Napoleons abzubrechen.


fertigung galt eigentlich auch nicht dem Berge, sondern dem Publicum, das
den Berg gewähren ließ. Er unternahm es, die ganze Revolution bis zum
Jahr 181i als einen Naturproceß darzustellen, in dem jeder einzelne Act ein
nothwendiger war, die Hinrichtung der Girondisten, wie die Hinrichtung
Robespierres. Die Methode dieses sogenannten Fatalismus bestand darin,
daß er für jede Wirkung die Ursache aufsuchte, was in der That keine Kunst
war, denn jede Wirkung muß eine Ursache haben; daß er aber diese ver¬
mittelnde Ursache ausschließlich inS Auge faßte und so die sämmtlichen Ereig¬
nisse der Revolution durch einen rothen Faden verwebte, der dem Anschein
nach in ihnen lag, den man in der That aber erst hineingetragen hatte. Die
Methode erinnert auffallend an die Betrachtung unsers Georg Forster über
die französische Revolution: eine Schrift, über deren geistvoller Deduction man
eS ganz übersehen hat, daß sie ein Ausfluß der Verzweiflung ist. Bei Mignet
ist von dieser Verzweiflung keine Rede; er findet sich im Gegentheil vollkommen
befriedigt, weil es ihm gelungen ist, die Revolution, das heißt das französische
Volk während der verschiedenen Epochen der Revolution, gegen die gewöhn¬
lichen Vorwürfe ^u rechtfertigen und alle Schuld einem geheimnißvollen Natur-
Proceß aufzubürden. Aber hinter dieser Rechtfertigung steckte noch ein Neben¬
gedanke. Zuerst ging bis zum 9. Thermidor alles vom Guten zum Schlimmen,
aber dies war der Höhepunkt, dann wurde es immer besser, und der Schrift¬
steller ließ durchblicken, daß der Naturproceß in seinem, weitern Verlauf eine
ähnliche Richtung nehmen werde, man könne also wegen der Zukunft un¬
besorgt sein.

Die zweite Ausgabe war, das Programm von Si'spes zu vertheidigen.
Das gelang dem Geschichtschreiber dadurch, daß er anstatt eines ausgeführten
Gemäldes bloße Conturen gab. Er schilderte im Grunde, abgesehen von
einigen Katastrophen auf der Straße, die sich nicht umgehen ließen, nur die
Parlamentarischen Vorgänge, nur die Thätigkeit der Bourgeoisie; die andern
Kräfte, der Pöbel, die Kirche, der Adel, das Militär, wurden zwar erwähnt,
aber in so matten Farben gehalten, daß die Phantasie von ihnen keinen Ein¬
druck empfing; sie wurden entweder ignorirt, oder als vorübergehende Irr¬
thümer flüchtig beseitigt. Wenn Mignets Methode paradox war, der Stoss hatte
nichts Paradoxes, und der liberale Philister konnte sich einreden, im Grunde
seien in jener furchtbaren Zeit nur seine eignen Gedanken thätig gewesen.

Die schwerste Ausgabe war, nachzuweisen, daß die Revolution wirklich
ihr Ziel erreicht habe; um so schwieriger, da es nicht in Mignets Absicht
liegen konnte, die Restauration als die letzte Errungenschaft der revolutionären
Bestrebungen zu rechtfertigen. Mignet begnügte sich damit, die Idee des con-
stitutionellen Staatslebens als fertig darzustellen; was aber die wirkliche Ent¬
wicklung desselben betraf, bei dem Sturz Napoleons abzubrechen.


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[0213] fertigung galt eigentlich auch nicht dem Berge, sondern dem Publicum, das den Berg gewähren ließ. Er unternahm es, die ganze Revolution bis zum Jahr 181i als einen Naturproceß darzustellen, in dem jeder einzelne Act ein nothwendiger war, die Hinrichtung der Girondisten, wie die Hinrichtung Robespierres. Die Methode dieses sogenannten Fatalismus bestand darin, daß er für jede Wirkung die Ursache aufsuchte, was in der That keine Kunst war, denn jede Wirkung muß eine Ursache haben; daß er aber diese ver¬ mittelnde Ursache ausschließlich inS Auge faßte und so die sämmtlichen Ereig¬ nisse der Revolution durch einen rothen Faden verwebte, der dem Anschein nach in ihnen lag, den man in der That aber erst hineingetragen hatte. Die Methode erinnert auffallend an die Betrachtung unsers Georg Forster über die französische Revolution: eine Schrift, über deren geistvoller Deduction man eS ganz übersehen hat, daß sie ein Ausfluß der Verzweiflung ist. Bei Mignet ist von dieser Verzweiflung keine Rede; er findet sich im Gegentheil vollkommen befriedigt, weil es ihm gelungen ist, die Revolution, das heißt das französische Volk während der verschiedenen Epochen der Revolution, gegen die gewöhn¬ lichen Vorwürfe ^u rechtfertigen und alle Schuld einem geheimnißvollen Natur- Proceß aufzubürden. Aber hinter dieser Rechtfertigung steckte noch ein Neben¬ gedanke. Zuerst ging bis zum 9. Thermidor alles vom Guten zum Schlimmen, aber dies war der Höhepunkt, dann wurde es immer besser, und der Schrift¬ steller ließ durchblicken, daß der Naturproceß in seinem, weitern Verlauf eine ähnliche Richtung nehmen werde, man könne also wegen der Zukunft un¬ besorgt sein. Die zweite Ausgabe war, das Programm von Si'spes zu vertheidigen. Das gelang dem Geschichtschreiber dadurch, daß er anstatt eines ausgeführten Gemäldes bloße Conturen gab. Er schilderte im Grunde, abgesehen von einigen Katastrophen auf der Straße, die sich nicht umgehen ließen, nur die Parlamentarischen Vorgänge, nur die Thätigkeit der Bourgeoisie; die andern Kräfte, der Pöbel, die Kirche, der Adel, das Militär, wurden zwar erwähnt, aber in so matten Farben gehalten, daß die Phantasie von ihnen keinen Ein¬ druck empfing; sie wurden entweder ignorirt, oder als vorübergehende Irr¬ thümer flüchtig beseitigt. Wenn Mignets Methode paradox war, der Stoss hatte nichts Paradoxes, und der liberale Philister konnte sich einreden, im Grunde seien in jener furchtbaren Zeit nur seine eignen Gedanken thätig gewesen. Die schwerste Ausgabe war, nachzuweisen, daß die Revolution wirklich ihr Ziel erreicht habe; um so schwieriger, da es nicht in Mignets Absicht liegen konnte, die Restauration als die letzte Errungenschaft der revolutionären Bestrebungen zu rechtfertigen. Mignet begnügte sich damit, die Idee des con- stitutionellen Staatslebens als fertig darzustellen; was aber die wirkliche Ent¬ wicklung desselben betraf, bei dem Sturz Napoleons abzubrechen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/213>, abgerufen am 25.08.2024.