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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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den Saal anstoßend und zuweilen nur durch schmale Gucklöcher (perlas) er¬
leuchtet. Ueber der Kammer befand sich häusig der Söller (soller), blos durch
eine Außentreppe zugänglich, der Ehrenplatz im Hause und gleichzeitig der
sicherste Raum, wo der Hausherr seine Habe barg und im Falle der Gefahr
die Familie flüchtete.

Nach modernen Begriffen mag freilich einem so bunt gegliederten Hause
eine Grundbedingung der Schönheit, die Symmetrie fehlen; das kleine Thür¬
chen z. B. zum nächtlichen Gebrauche und für die Fußgänger neben dem
großen Einfahrtsthore, die Gucklöcher neben den Hallensenstern beleidigen den
Sinn sür Regelmäßigkeit, und geht man vollends von dem Satze aus, der
heutzutage die bürgerliche Architektur regiert: das Haus sei der Facade wegen
da, so wird man an dem mittelalterlichen Baue keine guten Eigenschaften er¬
kennen. Anders wird freilich das Urtheil lauten, wenn man die innere Ein¬
richtung des Hauses mit den Lebensgewohnheiten des Mittelalters vergleicht.
Man vermißt dann weder die Sorgfalt sür die Bequemlichkeit der Einwohner,
noch den lebendigen Sinn für die zierliche Ausschmückung der Räume. Be¬
treten wir für einen Augenblick die Bettkammer oder elmwbrö. DaS mit
Federbett und Kissen versehene Lager ist so aufgestellt, daß zwischen ihm und
der Wand noch ein Gäßchen, der gewöhnliche Zufluchtsort überraschter Lieb¬
haber, übrig bleibt; in seiner Nähe steht die Kleiderlade oder als Ersatz dafür
die "pLNiea", eine an der Wand befestigte Stange, über welche die Kleider
geworfen wurden; dem Bette gegenüber ist der breite Kamin angelegt, unter
dessen Mantel ein Fensterchen angebracht war, so daß man sich gleichzeitig
wärmen und die außen Vorübergehenden betrachten konnte. Die Wände
waren mit bunten Teppichen verhängt, oder 'mit Holzgetäfel verkleidet, die
Deckbalken zierlich geschnitzt, in die Fenstervertiefung der reich gearbeitete Vogel¬
bauer gestellt, falls nicht, wie es in den meisten Palästen üblich war, eine
eigne Stube, die craindre ewx oisvaux, für diesen Zweck eingerichtet wurde,
und der Boden mit Tüchern bedeckt, deren Stelle in ärmern Häusern die
Binsenstreue vertrat. Manches Auffallende und der reisen Cultur Entgegen¬
gesetzte finden wir freilich auch vor. Der Gebrauch der Stühle ist im drei¬
zehnten Jahrhundert seltener als in frühern Zeitaltern. Infolge der Kreuzzüge
reißt die Sitte ein, auf Kissen und Teppichen zu ruhn, in deren Ermangelung
wol auch das Bett als Sitz diente. Gabeln bilden ebensowenig einen noth¬
wendigen Theil des Hausrathes, sie kommen im Besitze von Fürsten nur in
einzelne Exemplaren vor, während die silbernen Löffel schon nach Dutzenden
gezählt werden.

Auch die Einförmigkeit der Möbel erregt unsere Aufmerksamkeit. Wir
können mit dem Reichthum und der Kunstschönheit der überaus mannigfachen


den Saal anstoßend und zuweilen nur durch schmale Gucklöcher (perlas) er¬
leuchtet. Ueber der Kammer befand sich häusig der Söller (soller), blos durch
eine Außentreppe zugänglich, der Ehrenplatz im Hause und gleichzeitig der
sicherste Raum, wo der Hausherr seine Habe barg und im Falle der Gefahr
die Familie flüchtete.

Nach modernen Begriffen mag freilich einem so bunt gegliederten Hause
eine Grundbedingung der Schönheit, die Symmetrie fehlen; das kleine Thür¬
chen z. B. zum nächtlichen Gebrauche und für die Fußgänger neben dem
großen Einfahrtsthore, die Gucklöcher neben den Hallensenstern beleidigen den
Sinn sür Regelmäßigkeit, und geht man vollends von dem Satze aus, der
heutzutage die bürgerliche Architektur regiert: das Haus sei der Facade wegen
da, so wird man an dem mittelalterlichen Baue keine guten Eigenschaften er¬
kennen. Anders wird freilich das Urtheil lauten, wenn man die innere Ein¬
richtung des Hauses mit den Lebensgewohnheiten des Mittelalters vergleicht.
Man vermißt dann weder die Sorgfalt sür die Bequemlichkeit der Einwohner,
noch den lebendigen Sinn für die zierliche Ausschmückung der Räume. Be¬
treten wir für einen Augenblick die Bettkammer oder elmwbrö. DaS mit
Federbett und Kissen versehene Lager ist so aufgestellt, daß zwischen ihm und
der Wand noch ein Gäßchen, der gewöhnliche Zufluchtsort überraschter Lieb¬
haber, übrig bleibt; in seiner Nähe steht die Kleiderlade oder als Ersatz dafür
die „pLNiea", eine an der Wand befestigte Stange, über welche die Kleider
geworfen wurden; dem Bette gegenüber ist der breite Kamin angelegt, unter
dessen Mantel ein Fensterchen angebracht war, so daß man sich gleichzeitig
wärmen und die außen Vorübergehenden betrachten konnte. Die Wände
waren mit bunten Teppichen verhängt, oder 'mit Holzgetäfel verkleidet, die
Deckbalken zierlich geschnitzt, in die Fenstervertiefung der reich gearbeitete Vogel¬
bauer gestellt, falls nicht, wie es in den meisten Palästen üblich war, eine
eigne Stube, die craindre ewx oisvaux, für diesen Zweck eingerichtet wurde,
und der Boden mit Tüchern bedeckt, deren Stelle in ärmern Häusern die
Binsenstreue vertrat. Manches Auffallende und der reisen Cultur Entgegen¬
gesetzte finden wir freilich auch vor. Der Gebrauch der Stühle ist im drei¬
zehnten Jahrhundert seltener als in frühern Zeitaltern. Infolge der Kreuzzüge
reißt die Sitte ein, auf Kissen und Teppichen zu ruhn, in deren Ermangelung
wol auch das Bett als Sitz diente. Gabeln bilden ebensowenig einen noth¬
wendigen Theil des Hausrathes, sie kommen im Besitze von Fürsten nur in
einzelne Exemplaren vor, während die silbernen Löffel schon nach Dutzenden
gezählt werden.

Auch die Einförmigkeit der Möbel erregt unsere Aufmerksamkeit. Wir
können mit dem Reichthum und der Kunstschönheit der überaus mannigfachen


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[0202] den Saal anstoßend und zuweilen nur durch schmale Gucklöcher (perlas) er¬ leuchtet. Ueber der Kammer befand sich häusig der Söller (soller), blos durch eine Außentreppe zugänglich, der Ehrenplatz im Hause und gleichzeitig der sicherste Raum, wo der Hausherr seine Habe barg und im Falle der Gefahr die Familie flüchtete. Nach modernen Begriffen mag freilich einem so bunt gegliederten Hause eine Grundbedingung der Schönheit, die Symmetrie fehlen; das kleine Thür¬ chen z. B. zum nächtlichen Gebrauche und für die Fußgänger neben dem großen Einfahrtsthore, die Gucklöcher neben den Hallensenstern beleidigen den Sinn sür Regelmäßigkeit, und geht man vollends von dem Satze aus, der heutzutage die bürgerliche Architektur regiert: das Haus sei der Facade wegen da, so wird man an dem mittelalterlichen Baue keine guten Eigenschaften er¬ kennen. Anders wird freilich das Urtheil lauten, wenn man die innere Ein¬ richtung des Hauses mit den Lebensgewohnheiten des Mittelalters vergleicht. Man vermißt dann weder die Sorgfalt sür die Bequemlichkeit der Einwohner, noch den lebendigen Sinn für die zierliche Ausschmückung der Räume. Be¬ treten wir für einen Augenblick die Bettkammer oder elmwbrö. DaS mit Federbett und Kissen versehene Lager ist so aufgestellt, daß zwischen ihm und der Wand noch ein Gäßchen, der gewöhnliche Zufluchtsort überraschter Lieb¬ haber, übrig bleibt; in seiner Nähe steht die Kleiderlade oder als Ersatz dafür die „pLNiea", eine an der Wand befestigte Stange, über welche die Kleider geworfen wurden; dem Bette gegenüber ist der breite Kamin angelegt, unter dessen Mantel ein Fensterchen angebracht war, so daß man sich gleichzeitig wärmen und die außen Vorübergehenden betrachten konnte. Die Wände waren mit bunten Teppichen verhängt, oder 'mit Holzgetäfel verkleidet, die Deckbalken zierlich geschnitzt, in die Fenstervertiefung der reich gearbeitete Vogel¬ bauer gestellt, falls nicht, wie es in den meisten Palästen üblich war, eine eigne Stube, die craindre ewx oisvaux, für diesen Zweck eingerichtet wurde, und der Boden mit Tüchern bedeckt, deren Stelle in ärmern Häusern die Binsenstreue vertrat. Manches Auffallende und der reisen Cultur Entgegen¬ gesetzte finden wir freilich auch vor. Der Gebrauch der Stühle ist im drei¬ zehnten Jahrhundert seltener als in frühern Zeitaltern. Infolge der Kreuzzüge reißt die Sitte ein, auf Kissen und Teppichen zu ruhn, in deren Ermangelung wol auch das Bett als Sitz diente. Gabeln bilden ebensowenig einen noth¬ wendigen Theil des Hausrathes, sie kommen im Besitze von Fürsten nur in einzelne Exemplaren vor, während die silbernen Löffel schon nach Dutzenden gezählt werden. Auch die Einförmigkeit der Möbel erregt unsere Aufmerksamkeit. Wir können mit dem Reichthum und der Kunstschönheit der überaus mannigfachen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/202>, abgerufen am 23.07.2024.