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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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ihre Essays in den verschiedenen Reviews die Schätze ihres Wissens der Menge
mittheilten, so hielten das unsere Puritaner für eine Entweihung der wahren
Wissenschaft und für eine höchst bedenkliche Hinneigung zum Dilettantismus.
Wie dem auch sei, die historische Kunst ist durch unsere Enthaltsamkeit gewiß
nicht gefördert, und auch nach dieser Seite hin haben wir alle sür die Sünden
unserer Väter zu büßen.

Herr Giesebrecht hält bei der Bedeutung seiner Sache eine gewisse Würde
M der Sprache sür nothwendig; sein Stil ist fast durchweg schwungvoll zu
nennen. Wir sind mit dem Princip einverstanden, können aber nicht leugnen,
daß er sich dadurch seine Sache noch erschwert hat. Männer wie Schlosser,
die einen populären Ton anschlagen, sind darin viel glücklicher. Was ihrer
Form an Würde und Glanz fehlt, gewinnt sie an Eindringlichkeit, an Leben.
Giesebrechts Sprache fehlt es vornehmlich an Leben, und wir glauben, daß
su sehr gewinnen wird, wenn er mehr nach Einfachheit strebt. Vereinfachung
des Satzbaues, sorgfältige Ausmerzung aller unnützen Adjective und Uebergangs¬
wörter, und namentlich Vermeidung der durch Schiller eingeführten schwung¬
vollen Terminologie, die bei einem, größern Werk ermüdet, würden wir als
äußere Hilfsmittel empfehlen. Freilich müßte auch noch eine sorgfältigere
Gruppirung der Erzählungen dazu kommen. Der Geschichtschreiber muß es
vermeiden, irgend etwas nebenbei zu erzählen; jede einzelne Geschichte verlangt
ein abgerundetes Bild. Die Wärme, mit der sich Giesebrecht z. B. des Kaiser
Heinrich U. annimmt, der von den meisten frühern Geschichtschreibern eine
üble Behandlung erfuhr, ist an sich sehr achtungswerth, aber sie verführt den
Verfasser, in der ganzen Behandlung dieses Kaisers einen erhöhten Ton bei¬
zubehalten. Wenn man nun erwägt, daß die spätern Kaiser mit größerm
Recht wieder eine ähnliche Wärme der Empfindung und infolge besten eine
neue Erhöhung der Form mit sich führen, so erweckt das sür die Stimmung
des Ganzen ein ungünstiges Vorurtheil. Man erlaube uns, die Sache mit
so nackten Worten als möglich auszusprechen. Der Geschichtschreiber als
solcher', abgesehen von den Functionen der Geschichtsforschung und der päda¬
gogischen Wirksamkeit, hat die Aufgabe, das Interesse seines Publicums an¬
zuregen, oder um einen noch stärkern Ausdruck anzuwenden, das Publicum
Zu amüsiren, wenn auch freilich durch wahre Geschichten. Je streng wissen¬
schaftlicher er früher geforscht hat, desto leichter wird es ihm werden, diesen
Zweck zu erreichen, denn desto reicher ist sein Material, aus dem er das Inter¬
essante auswählen kann, desto lebhafter gehn ihm die leitenden Gesichtspunkte
auf. Die patriotische Empfindung soll er hervorrufen, und das geschieht am
besten dadurch, daß er durch lebendige anschauliche Schilderung der Phantasie
die Vergangenheit wiederherstellt; aber er soll sie nicht zur Schau tragen;
denn einmal ist nicht jede Periode im Stande, zum Ausdruck patriotischer


Grenzboten. I. -I8ö7. 23

ihre Essays in den verschiedenen Reviews die Schätze ihres Wissens der Menge
mittheilten, so hielten das unsere Puritaner für eine Entweihung der wahren
Wissenschaft und für eine höchst bedenkliche Hinneigung zum Dilettantismus.
Wie dem auch sei, die historische Kunst ist durch unsere Enthaltsamkeit gewiß
nicht gefördert, und auch nach dieser Seite hin haben wir alle sür die Sünden
unserer Väter zu büßen.

Herr Giesebrecht hält bei der Bedeutung seiner Sache eine gewisse Würde
M der Sprache sür nothwendig; sein Stil ist fast durchweg schwungvoll zu
nennen. Wir sind mit dem Princip einverstanden, können aber nicht leugnen,
daß er sich dadurch seine Sache noch erschwert hat. Männer wie Schlosser,
die einen populären Ton anschlagen, sind darin viel glücklicher. Was ihrer
Form an Würde und Glanz fehlt, gewinnt sie an Eindringlichkeit, an Leben.
Giesebrechts Sprache fehlt es vornehmlich an Leben, und wir glauben, daß
su sehr gewinnen wird, wenn er mehr nach Einfachheit strebt. Vereinfachung
des Satzbaues, sorgfältige Ausmerzung aller unnützen Adjective und Uebergangs¬
wörter, und namentlich Vermeidung der durch Schiller eingeführten schwung¬
vollen Terminologie, die bei einem, größern Werk ermüdet, würden wir als
äußere Hilfsmittel empfehlen. Freilich müßte auch noch eine sorgfältigere
Gruppirung der Erzählungen dazu kommen. Der Geschichtschreiber muß es
vermeiden, irgend etwas nebenbei zu erzählen; jede einzelne Geschichte verlangt
ein abgerundetes Bild. Die Wärme, mit der sich Giesebrecht z. B. des Kaiser
Heinrich U. annimmt, der von den meisten frühern Geschichtschreibern eine
üble Behandlung erfuhr, ist an sich sehr achtungswerth, aber sie verführt den
Verfasser, in der ganzen Behandlung dieses Kaisers einen erhöhten Ton bei¬
zubehalten. Wenn man nun erwägt, daß die spätern Kaiser mit größerm
Recht wieder eine ähnliche Wärme der Empfindung und infolge besten eine
neue Erhöhung der Form mit sich führen, so erweckt das sür die Stimmung
des Ganzen ein ungünstiges Vorurtheil. Man erlaube uns, die Sache mit
so nackten Worten als möglich auszusprechen. Der Geschichtschreiber als
solcher', abgesehen von den Functionen der Geschichtsforschung und der päda¬
gogischen Wirksamkeit, hat die Aufgabe, das Interesse seines Publicums an¬
zuregen, oder um einen noch stärkern Ausdruck anzuwenden, das Publicum
Zu amüsiren, wenn auch freilich durch wahre Geschichten. Je streng wissen¬
schaftlicher er früher geforscht hat, desto leichter wird es ihm werden, diesen
Zweck zu erreichen, denn desto reicher ist sein Material, aus dem er das Inter¬
essante auswählen kann, desto lebhafter gehn ihm die leitenden Gesichtspunkte
auf. Die patriotische Empfindung soll er hervorrufen, und das geschieht am
besten dadurch, daß er durch lebendige anschauliche Schilderung der Phantasie
die Vergangenheit wiederherstellt; aber er soll sie nicht zur Schau tragen;
denn einmal ist nicht jede Periode im Stande, zum Ausdruck patriotischer


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[0185] ihre Essays in den verschiedenen Reviews die Schätze ihres Wissens der Menge mittheilten, so hielten das unsere Puritaner für eine Entweihung der wahren Wissenschaft und für eine höchst bedenkliche Hinneigung zum Dilettantismus. Wie dem auch sei, die historische Kunst ist durch unsere Enthaltsamkeit gewiß nicht gefördert, und auch nach dieser Seite hin haben wir alle sür die Sünden unserer Väter zu büßen. Herr Giesebrecht hält bei der Bedeutung seiner Sache eine gewisse Würde M der Sprache sür nothwendig; sein Stil ist fast durchweg schwungvoll zu nennen. Wir sind mit dem Princip einverstanden, können aber nicht leugnen, daß er sich dadurch seine Sache noch erschwert hat. Männer wie Schlosser, die einen populären Ton anschlagen, sind darin viel glücklicher. Was ihrer Form an Würde und Glanz fehlt, gewinnt sie an Eindringlichkeit, an Leben. Giesebrechts Sprache fehlt es vornehmlich an Leben, und wir glauben, daß su sehr gewinnen wird, wenn er mehr nach Einfachheit strebt. Vereinfachung des Satzbaues, sorgfältige Ausmerzung aller unnützen Adjective und Uebergangs¬ wörter, und namentlich Vermeidung der durch Schiller eingeführten schwung¬ vollen Terminologie, die bei einem, größern Werk ermüdet, würden wir als äußere Hilfsmittel empfehlen. Freilich müßte auch noch eine sorgfältigere Gruppirung der Erzählungen dazu kommen. Der Geschichtschreiber muß es vermeiden, irgend etwas nebenbei zu erzählen; jede einzelne Geschichte verlangt ein abgerundetes Bild. Die Wärme, mit der sich Giesebrecht z. B. des Kaiser Heinrich U. annimmt, der von den meisten frühern Geschichtschreibern eine üble Behandlung erfuhr, ist an sich sehr achtungswerth, aber sie verführt den Verfasser, in der ganzen Behandlung dieses Kaisers einen erhöhten Ton bei¬ zubehalten. Wenn man nun erwägt, daß die spätern Kaiser mit größerm Recht wieder eine ähnliche Wärme der Empfindung und infolge besten eine neue Erhöhung der Form mit sich führen, so erweckt das sür die Stimmung des Ganzen ein ungünstiges Vorurtheil. Man erlaube uns, die Sache mit so nackten Worten als möglich auszusprechen. Der Geschichtschreiber als solcher', abgesehen von den Functionen der Geschichtsforschung und der päda¬ gogischen Wirksamkeit, hat die Aufgabe, das Interesse seines Publicums an¬ zuregen, oder um einen noch stärkern Ausdruck anzuwenden, das Publicum Zu amüsiren, wenn auch freilich durch wahre Geschichten. Je streng wissen¬ schaftlicher er früher geforscht hat, desto leichter wird es ihm werden, diesen Zweck zu erreichen, denn desto reicher ist sein Material, aus dem er das Inter¬ essante auswählen kann, desto lebhafter gehn ihm die leitenden Gesichtspunkte auf. Die patriotische Empfindung soll er hervorrufen, und das geschieht am besten dadurch, daß er durch lebendige anschauliche Schilderung der Phantasie die Vergangenheit wiederherstellt; aber er soll sie nicht zur Schau tragen; denn einmal ist nicht jede Periode im Stande, zum Ausdruck patriotischer Grenzboten. I. -I8ö7. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/185>, abgerufen am 22.12.2024.