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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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wurf, wenn ihn England, Frankreich, Oestreich, Preußen und Rußland Präsentiren,
durchgeht und damit ist jedenfalls viel erreicht.


-- Während uns die Zeitungen melden, daß
Ihre ganze Aufmerksamkeit ans die neuenburger Frage hingewendet ist, richten
sich unsere Blicke gegen Osten und finden, in dem eben anhebenden Kriege Englands
wider Persien einen kaum minder anziehenden Gegenstand für unser Interesse. Täuscht
nicht alles, so sind die Geschicke Großbritanniens mit dieser Frage, welche mehr
als eine seit langer Zeit aufgeworfene über sein Ansehen in der Welt entscheiden
soll, zu einem bedeutungsvollen Punkt gerückt. Worum es sich im persischen Meer¬
busen und in Schiras und Farststan handelt, ist nämlich, ob es durch seine Waffen
in Mittelasien denselben Einfluß erlangen wird, wie im Serail von Konstantinopel,
und ob es eine Verbindung zwischen dem Mittelmeer und Indien herstellen kann,
deren es Herr bleibt.

Die Bcschlcunigungsmittel des Verkehrs, Dampfschiff, Eisenbahn und Telegraph
sind deshalb vorzugsweise englische Erfindungen, weil sie England helfen müssen
Raum und Zeit zu überwinden, die weit auseinander gelegenen Theater seiner Thä¬
tigkeit zu vereinen, und dadurch die militärische Schwäche auszugleichen, welche
durch Englands System bedingt ist.

Freilich, obgleich die Kriegserklärung an Persien aus dem Palast des General-
gonvernenrs von Indien ergangen ist, erscheint es dennoch noch zweifelhaft, ob es
sosort zu einem ernsten und über die schwebenden Fragen militärisch entscheidenden
Kampfe kommen wird. Lord Stratford, der britische Gesandte in der hiesigen
Hauptstadt, hat allerdings rund und entschieden mit dem Schah gebrochen; aber
was hier nicht vereinigt werden konnte, vermag man vielleicht in Paris. Man
weiß hier, daß nicht nur der Schah auf Feruk Khans Geschicklichkeit ein bedeutendes
Vertrauen setzt, sondern daß auch von russischer Seite Gewicht auf seine Mission
gelegt wird. Dagegen ist man durchaus im Unklaren darüber, wie Nußland sich
zur Kricgssrage gestellt hat. Anfangs war aller Grund anzunehmen, daß es einen
Kampf zwischen Persien und England nicht ungern sähe, und durch seinen Ge¬
sandten in, Teheran,, Herrn von Auitschkoff, selbst provociren lasse. Es hatte
wenig aus sich, wenn russische Organe, wie der Nord, das Gegentheil behaupteten,
aber neuerdings haben sich dennoch Symptome bemerkbar gemacht, welche auf eine
Meinuugsänderung über diese Frage schließen lassen. Herr von Anitschkoff ist neuer¬
dings aus Teheran nach Se. Petersburg berufen worden.

Die jüngst aus Persien hier eingegangenen Nachrichten lassen keinen Zweifel
über die traurige Lage des Reiches, über eine allgemeine und tiefgreifende Zer¬
rüttung, und zwar nicht allein der Staatsmaschine. Das Land ist in Gefahr,
aus einem Ganzen, als welches es seither mindestens dem Scheine nach noch be¬
standen, in mannigfache Theile zu zerfallen.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
AIs verantwortl, Redacteur legitimut: F. W. Grunow, -- Verlag von F. L. Hevbtg
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

wurf, wenn ihn England, Frankreich, Oestreich, Preußen und Rußland Präsentiren,
durchgeht und damit ist jedenfalls viel erreicht.


— Während uns die Zeitungen melden, daß
Ihre ganze Aufmerksamkeit ans die neuenburger Frage hingewendet ist, richten
sich unsere Blicke gegen Osten und finden, in dem eben anhebenden Kriege Englands
wider Persien einen kaum minder anziehenden Gegenstand für unser Interesse. Täuscht
nicht alles, so sind die Geschicke Großbritanniens mit dieser Frage, welche mehr
als eine seit langer Zeit aufgeworfene über sein Ansehen in der Welt entscheiden
soll, zu einem bedeutungsvollen Punkt gerückt. Worum es sich im persischen Meer¬
busen und in Schiras und Farststan handelt, ist nämlich, ob es durch seine Waffen
in Mittelasien denselben Einfluß erlangen wird, wie im Serail von Konstantinopel,
und ob es eine Verbindung zwischen dem Mittelmeer und Indien herstellen kann,
deren es Herr bleibt.

Die Bcschlcunigungsmittel des Verkehrs, Dampfschiff, Eisenbahn und Telegraph
sind deshalb vorzugsweise englische Erfindungen, weil sie England helfen müssen
Raum und Zeit zu überwinden, die weit auseinander gelegenen Theater seiner Thä¬
tigkeit zu vereinen, und dadurch die militärische Schwäche auszugleichen, welche
durch Englands System bedingt ist.

Freilich, obgleich die Kriegserklärung an Persien aus dem Palast des General-
gonvernenrs von Indien ergangen ist, erscheint es dennoch noch zweifelhaft, ob es
sosort zu einem ernsten und über die schwebenden Fragen militärisch entscheidenden
Kampfe kommen wird. Lord Stratford, der britische Gesandte in der hiesigen
Hauptstadt, hat allerdings rund und entschieden mit dem Schah gebrochen; aber
was hier nicht vereinigt werden konnte, vermag man vielleicht in Paris. Man
weiß hier, daß nicht nur der Schah auf Feruk Khans Geschicklichkeit ein bedeutendes
Vertrauen setzt, sondern daß auch von russischer Seite Gewicht auf seine Mission
gelegt wird. Dagegen ist man durchaus im Unklaren darüber, wie Nußland sich
zur Kricgssrage gestellt hat. Anfangs war aller Grund anzunehmen, daß es einen
Kampf zwischen Persien und England nicht ungern sähe, und durch seinen Ge¬
sandten in, Teheran,, Herrn von Auitschkoff, selbst provociren lasse. Es hatte
wenig aus sich, wenn russische Organe, wie der Nord, das Gegentheil behaupteten,
aber neuerdings haben sich dennoch Symptome bemerkbar gemacht, welche auf eine
Meinuugsänderung über diese Frage schließen lassen. Herr von Anitschkoff ist neuer¬
dings aus Teheran nach Se. Petersburg berufen worden.

Die jüngst aus Persien hier eingegangenen Nachrichten lassen keinen Zweifel
über die traurige Lage des Reiches, über eine allgemeine und tiefgreifende Zer¬
rüttung, und zwar nicht allein der Staatsmaschine. Das Land ist in Gefahr,
aus einem Ganzen, als welches es seither mindestens dem Scheine nach noch be¬
standen, in mannigfache Theile zu zerfallen.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
AIs verantwortl, Redacteur legitimut: F. W. Grunow, — Verlag von F. L. Hevbtg
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/168>, abgerufen am 22.12.2024.