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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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stehen bleiben; Pferde und Menschen ließen die Köpfe hängen; niemand sprach ein
Wort; um so lauter aber hallte der Donner von dem Berge nieder, Blitz auf
Blitz zuckte durch die plötzlich eingebrochene Finsterniß. Das Naturschcmspiel
war einzig schön, aber wenn man bis an die Knöchel im Wasser steht, und
von oben ein Meer herunterströmt, da macht man sich wenig aus dem Erhabenen
eines majestätischen Donnerwetters. Das Schlimmste aber waren die Folgen;
die Pferde werden uns den schlüpfrig gewordenen Berg nicht weiter hinauf¬
ziehen können! Und so kam es. Als nach einer halben Stunde das Unge-
witter nachließ, machten wir einen schüchternen Versuch, unsere Reise fortzu¬
setzen -- aber trotz der unsäglichsten Anstrengungen konnten wir nicht von
der Stelle; die Sattelpferde stürzten in die Knie, der Wagen ging ruck- statt
vorwärts, und bei den Abgründen zu unserer Rechten, in deren Tiefe sich der
Blick schwindelnd verlor, war an vieles Erpenmentircn nicht zu denken.

In einer solchen Lage durste man sich nicht damit begnügen, übler Laune
zu sein und einen Bannfluch auf alle Badereisen zu schleudern. Ich bemerkte
in einiger Enfernung über uns mehre Ochsenführer, wie man sie, mit Salz
beladen, auf diesem Wege von den Salzgrubeu von Okna kommend, zu Hun¬
derten antrifft. Ich erreichte sie (zu Fuß!) und suchte die Leute zu bewegen,
mir mit ihren Thieren zu Hilfe zu kommen. Endlich war ich froh, für ein
bedeutendes Stück Geld acht Ochsen vor meinem Wagen zu sehn -- wir ka¬
men vorwärts! des Himmels Barmherzigkeit enthob uns der drohenden Aus¬
sicht, die Nacht auf ven Höhen deS Ketritschika zubringen zu müssen! Bergab
entschlossen sich die Pferde ihren Dienst wieder anzutreten, und es ging von
nun an leidlich.

Aber Stunden, nicht Minute" hatten wir verloren, und ich berechnete,
daß wir das gastfreie Asyl, das wir für die Nacht in Anspruch nehmen woll¬
ten, nicht würden erreichen können. Zum Ueberfluß überfiel uns ein neues
Gewitter, als wir das Städtchen, oder vielmehr die mit den Bedürfnissen der
Gebirgsbauern angefüllte Budenreihe Oroscha erreichten; die Nacht brach ein,
wir mußten unsere Zuflucht zu einer Judeuschenke nehmen. Aber auch bis
ins Haus, ja bis in unsere elenden Betten verfolgte uns der Regen; Schüsseln,
die nach Sauerkraut dufteten, Kannen und Teller mußten auf unser Lager
und überall, wo sich sonst Tropfbäder bildeten, gestellt werden, und eS regnete
im Zimmer noch, als es draußen schon lange sternklar war.

Doch das Aergste sollte noch kommen. Die Stadt Okna, deren Salz-
gruben die ganze Moldau versorgen und ihren Reichthum auch in die Fremde
versenden, erreichten wir freilich am nächsten Tage -- nun aber galt es, nach
Starik, dem Ziel unserer Reise, zu kommen, das noch etwa zwei Meilen wei¬
ter lag. Schon Okna ist ganz von Bergen eingeschlossen, und nur der reißende
Trotusch öffnet der Stadt einen Ausgang in die Ebene. In den Trolusch


stehen bleiben; Pferde und Menschen ließen die Köpfe hängen; niemand sprach ein
Wort; um so lauter aber hallte der Donner von dem Berge nieder, Blitz auf
Blitz zuckte durch die plötzlich eingebrochene Finsterniß. Das Naturschcmspiel
war einzig schön, aber wenn man bis an die Knöchel im Wasser steht, und
von oben ein Meer herunterströmt, da macht man sich wenig aus dem Erhabenen
eines majestätischen Donnerwetters. Das Schlimmste aber waren die Folgen;
die Pferde werden uns den schlüpfrig gewordenen Berg nicht weiter hinauf¬
ziehen können! Und so kam es. Als nach einer halben Stunde das Unge-
witter nachließ, machten wir einen schüchternen Versuch, unsere Reise fortzu¬
setzen — aber trotz der unsäglichsten Anstrengungen konnten wir nicht von
der Stelle; die Sattelpferde stürzten in die Knie, der Wagen ging ruck- statt
vorwärts, und bei den Abgründen zu unserer Rechten, in deren Tiefe sich der
Blick schwindelnd verlor, war an vieles Erpenmentircn nicht zu denken.

In einer solchen Lage durste man sich nicht damit begnügen, übler Laune
zu sein und einen Bannfluch auf alle Badereisen zu schleudern. Ich bemerkte
in einiger Enfernung über uns mehre Ochsenführer, wie man sie, mit Salz
beladen, auf diesem Wege von den Salzgrubeu von Okna kommend, zu Hun¬
derten antrifft. Ich erreichte sie (zu Fuß!) und suchte die Leute zu bewegen,
mir mit ihren Thieren zu Hilfe zu kommen. Endlich war ich froh, für ein
bedeutendes Stück Geld acht Ochsen vor meinem Wagen zu sehn — wir ka¬
men vorwärts! des Himmels Barmherzigkeit enthob uns der drohenden Aus¬
sicht, die Nacht auf ven Höhen deS Ketritschika zubringen zu müssen! Bergab
entschlossen sich die Pferde ihren Dienst wieder anzutreten, und es ging von
nun an leidlich.

Aber Stunden, nicht Minute» hatten wir verloren, und ich berechnete,
daß wir das gastfreie Asyl, das wir für die Nacht in Anspruch nehmen woll¬
ten, nicht würden erreichen können. Zum Ueberfluß überfiel uns ein neues
Gewitter, als wir das Städtchen, oder vielmehr die mit den Bedürfnissen der
Gebirgsbauern angefüllte Budenreihe Oroscha erreichten; die Nacht brach ein,
wir mußten unsere Zuflucht zu einer Judeuschenke nehmen. Aber auch bis
ins Haus, ja bis in unsere elenden Betten verfolgte uns der Regen; Schüsseln,
die nach Sauerkraut dufteten, Kannen und Teller mußten auf unser Lager
und überall, wo sich sonst Tropfbäder bildeten, gestellt werden, und eS regnete
im Zimmer noch, als es draußen schon lange sternklar war.

Doch das Aergste sollte noch kommen. Die Stadt Okna, deren Salz-
gruben die ganze Moldau versorgen und ihren Reichthum auch in die Fremde
versenden, erreichten wir freilich am nächsten Tage — nun aber galt es, nach
Starik, dem Ziel unserer Reise, zu kommen, das noch etwa zwei Meilen wei¬
ter lag. Schon Okna ist ganz von Bergen eingeschlossen, und nur der reißende
Trotusch öffnet der Stadt einen Ausgang in die Ebene. In den Trolusch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/149>, abgerufen am 23.07.2024.