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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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bleiben muß, um die unnütze Last zu entfernen. Die Pferde haben Mühe, die
Hufe aus dem zähen Brei herauszuziehen, und es geht bei allem betäu¬
benden Klatschen der Peitschen und der fortwährenden sehr energischen Kon¬
versation der Reiter mit ihren Thieren, nur langsam vorwärts. Nach drei
bis vier Stunden eines solchen mühseligen Fvrtschleppens ergriff mich auf meinem
luftigen Sitz eine gelinde Verzweiflung; zum Ueberfluß hatte der Regen einen
Weg bis zu meinem Rockkragen und von dort bis auf die Haut gefunden; --
aus diese Art konnten wir nicht weiter; wir mußten ein Obdach suchen.

Nun ist aber in dem verhältnißmäßig dicht bevölkerten Romanerkreise der
Moldau, in welchem wir uns befanden, ein solches Obdach glücklicherweise
nicht schwer zu finden; man stößt häufig auf freundliche Bvjarensitze, und
kaum war der Entschluß gefaßt, stehn zu bleiben, so wußten wir auch schon,
wohin wir uns zu wenden hatten. Es dauerte keine Stunde und wir erfreu¬
ten uns eines herzlichen Empfanges im Kreise einer liebenswürdigen Familie.

Von allen Dingen, die den vor Nässe Fröstelnden erwärmen, ist ein war¬
mer Händedruck das wärmste. Wie der Moldauer die Gastfreundschaft übt,
so kann es nicht leicht ein anderer. Wir wurden gepflegt und mit/Aufmerk¬
samkeiten überhäuft, und fühlten uns wie zu Hause in dem kleinen Kreise.
Dort begrüßten wir mit Freuden den ersten Sonnenstrahl, der gegen Abend
des zweiten Tages zum Vorschein kam, und machten uns am dritten Tage
wieder an unsere Badereise, für welche unsere Wirthe uns mit Glückwünschen
und gebratenen Hühnern überhäuften.

Früh brachen wir auf: das Wetter war herrlich -- aber die Karpathen
dampften verdächtig! Wir passirten die uninteressante Stadt Bären, und be¬
gannen, eine halbe Stunde dahinter, die Erklimmung des Kctritschika, eines
unangenehmen Berges, wo die seit' acht Jahren begonnene und noch nicht voll¬
endete Chaussee sehr unvollständig zu Hilfe kommt; man erblickt ihre Win¬
dungen nur von Zeit zu Zeit in der Ferne, während der Reisende ans einzel¬
nen Stellen eine fast senkrechte Wand vor sich hat, wo die unglücklichen Pferde
mit dem Wagen hinan müssen. Bei alledem ging es nicht schlecht; -- die
Klepper thaten ihre Schuldigkeit unter den väterlichen Ermahnungen der Peit¬
sche; auf dem steinigen Boden war das Wasser abgeflossen, ohne Schmuz
zurückzulassen. Aber der Himmel .wurde drohender, und als wir eben
unter wildem Geschrei einen der steilsten Abhänge erklommen, wo die Wohnungen
der Menschen weit unter dem Reisenden liegen und nur ein Gotteshaus in
schauerlicher Einsamkeit seinen Thurm erhebt, da überfiel uns ein Gewitter
nebst Platzregen, wie seit Noahs Zeiten nur wenige über die Erde gegangen
sind! An ein Obdach war nicht zu denken, in wenigen Augenblicken über¬
strömten wildschäumende Bäche den Weg, in dem über die Steine geschwemm¬
ten Lehm war kein sicherer Schritt weiter zu unternehmen. Wir mußten still


bleiben muß, um die unnütze Last zu entfernen. Die Pferde haben Mühe, die
Hufe aus dem zähen Brei herauszuziehen, und es geht bei allem betäu¬
benden Klatschen der Peitschen und der fortwährenden sehr energischen Kon¬
versation der Reiter mit ihren Thieren, nur langsam vorwärts. Nach drei
bis vier Stunden eines solchen mühseligen Fvrtschleppens ergriff mich auf meinem
luftigen Sitz eine gelinde Verzweiflung; zum Ueberfluß hatte der Regen einen
Weg bis zu meinem Rockkragen und von dort bis auf die Haut gefunden; —
aus diese Art konnten wir nicht weiter; wir mußten ein Obdach suchen.

Nun ist aber in dem verhältnißmäßig dicht bevölkerten Romanerkreise der
Moldau, in welchem wir uns befanden, ein solches Obdach glücklicherweise
nicht schwer zu finden; man stößt häufig auf freundliche Bvjarensitze, und
kaum war der Entschluß gefaßt, stehn zu bleiben, so wußten wir auch schon,
wohin wir uns zu wenden hatten. Es dauerte keine Stunde und wir erfreu¬
ten uns eines herzlichen Empfanges im Kreise einer liebenswürdigen Familie.

Von allen Dingen, die den vor Nässe Fröstelnden erwärmen, ist ein war¬
mer Händedruck das wärmste. Wie der Moldauer die Gastfreundschaft übt,
so kann es nicht leicht ein anderer. Wir wurden gepflegt und mit/Aufmerk¬
samkeiten überhäuft, und fühlten uns wie zu Hause in dem kleinen Kreise.
Dort begrüßten wir mit Freuden den ersten Sonnenstrahl, der gegen Abend
des zweiten Tages zum Vorschein kam, und machten uns am dritten Tage
wieder an unsere Badereise, für welche unsere Wirthe uns mit Glückwünschen
und gebratenen Hühnern überhäuften.

Früh brachen wir auf: das Wetter war herrlich — aber die Karpathen
dampften verdächtig! Wir passirten die uninteressante Stadt Bären, und be¬
gannen, eine halbe Stunde dahinter, die Erklimmung des Kctritschika, eines
unangenehmen Berges, wo die seit' acht Jahren begonnene und noch nicht voll¬
endete Chaussee sehr unvollständig zu Hilfe kommt; man erblickt ihre Win¬
dungen nur von Zeit zu Zeit in der Ferne, während der Reisende ans einzel¬
nen Stellen eine fast senkrechte Wand vor sich hat, wo die unglücklichen Pferde
mit dem Wagen hinan müssen. Bei alledem ging es nicht schlecht; — die
Klepper thaten ihre Schuldigkeit unter den väterlichen Ermahnungen der Peit¬
sche; auf dem steinigen Boden war das Wasser abgeflossen, ohne Schmuz
zurückzulassen. Aber der Himmel .wurde drohender, und als wir eben
unter wildem Geschrei einen der steilsten Abhänge erklommen, wo die Wohnungen
der Menschen weit unter dem Reisenden liegen und nur ein Gotteshaus in
schauerlicher Einsamkeit seinen Thurm erhebt, da überfiel uns ein Gewitter
nebst Platzregen, wie seit Noahs Zeiten nur wenige über die Erde gegangen
sind! An ein Obdach war nicht zu denken, in wenigen Augenblicken über¬
strömten wildschäumende Bäche den Weg, in dem über die Steine geschwemm¬
ten Lehm war kein sicherer Schritt weiter zu unternehmen. Wir mußten still


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/148>, abgerufen am 23.07.2024.