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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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I" stummer Verzweiflung schauten wir den Himmel an -- Hutschachtel, wie
geht es dir? 'schien ein jeder Blick meiner Frau zu fragen, und der Wurm
nagender Sorge um Mehl, Zucker, und alles was die Ochsenführer bargen,
zog ein in meine Brust.

In meiner guten Vaterstadt Neval gebraucht man einen Provinzialismus :
wenn es regnet, daß die Blasen auf den Pfützen aufspringen, und die Dach¬
rinnen überfließen, sagt man: es plattere. Es pladderte also, als wir am
andern Morgen erwachten -- eS pladderte mit fürchterlicher Beharrlichkeit.
Warten oder nicht warten: Wozu warten? sagte ich mit der Kälte des In¬
grimms; -- wenn es so fortregnet, so schwillt der Sereth über, und alle
Brücken sind zum Teufel -- also angespannt und fort!

Die Kinder hatten den Muth zu singen und in die Hände zu klatschen,
"is ich den Befehl dazu gab. Der Wagen fuhr vor, mit sieben gemietheten
Pferden bespannt; zwei abenteuerlich gekleidete Männer, denen der Regen
von den schlaff herabhängenden Hutkrcimpen floß, kutschirten ihre Mähren
vom Sattel. Ich selbst setzte mich unter dem Schutz eines mächtigen Regen¬
schirmes auf den Bock; seit ich einmal mit Weib und Kindern, Erzieherin,
Wagen, Pferden und Bedienung von einer etwa zehn Fuß hohen Brücke ins
Wasser gestürzt bin und die Glieder meiner Familie einzeln, jedoch durch ein
Wunder Gottes unversehrt aus dem Schlamme auflesen mußte, -- nur eins
meiner Pferde bezahlte den Unfall mit dem Leben -- leidet es mich nicht
mehr im Wagen, wenn die Meinigen mit drin sitzen. Ich nahm also den Ob-
servationSpostcn ein, und kam mir vor wie ein alter Truthahn, der recht gräm¬
lich drein schaut, wenn ihm die Federn naß werden.

Die Expedition über den Sereth übergehe ich. Die Schwierigkeit deS
Uebersetzers wird noch größer, wenn man eine ganze Reihe paarweise vor¬
einander gespannter Pferde am Wagen hat, während auf dem Prahu kaum
für zwei Deichselpferde Platz ist. Die übrigen müssen dann allein voraus,
und werden am jenseitigen Ufer so in Reih und Glied aufgestellt, daß man
sie gleich wieder einhaken kann, ehe der Wagen sein schwimmendes Breter-
gcrüst verläßt, wobei der höchst einfache Mechanismus des Geschirrs sehr zu
Statten kommt. Wenn man noch Aussichten auf eine glückliche Zukunft hat,
so steigt man bei solcher Gelegenheit aus, und wenn es dabei regnet, so wird
man grade so naß und schmuzig, als die Glieder meiner Familie waren, da
sie wieder einstiegen.

Bei schönem Wetter bewundert man gern den fruchtbaren, aus schwarzer
mit Lehm untermischter Gartenerde bestehenden Boden der Moldau -- in auf¬
geweichtem Zustande aber kann er zur Verzweiflung bringen! Der Koth geht bis
an die Achse und füllt die Zwischenräume der Radspeichen so, daß sie am
Ende aussehen wie uudurchbrocheue Scheiben und man von Zeit zu Zeit stehen


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I» stummer Verzweiflung schauten wir den Himmel an -- Hutschachtel, wie
geht es dir? 'schien ein jeder Blick meiner Frau zu fragen, und der Wurm
nagender Sorge um Mehl, Zucker, und alles was die Ochsenführer bargen,
zog ein in meine Brust.

In meiner guten Vaterstadt Neval gebraucht man einen Provinzialismus :
wenn es regnet, daß die Blasen auf den Pfützen aufspringen, und die Dach¬
rinnen überfließen, sagt man: es plattere. Es pladderte also, als wir am
andern Morgen erwachten — eS pladderte mit fürchterlicher Beharrlichkeit.
Warten oder nicht warten: Wozu warten? sagte ich mit der Kälte des In¬
grimms; — wenn es so fortregnet, so schwillt der Sereth über, und alle
Brücken sind zum Teufel — also angespannt und fort!

Die Kinder hatten den Muth zu singen und in die Hände zu klatschen,
"is ich den Befehl dazu gab. Der Wagen fuhr vor, mit sieben gemietheten
Pferden bespannt; zwei abenteuerlich gekleidete Männer, denen der Regen
von den schlaff herabhängenden Hutkrcimpen floß, kutschirten ihre Mähren
vom Sattel. Ich selbst setzte mich unter dem Schutz eines mächtigen Regen¬
schirmes auf den Bock; seit ich einmal mit Weib und Kindern, Erzieherin,
Wagen, Pferden und Bedienung von einer etwa zehn Fuß hohen Brücke ins
Wasser gestürzt bin und die Glieder meiner Familie einzeln, jedoch durch ein
Wunder Gottes unversehrt aus dem Schlamme auflesen mußte, — nur eins
meiner Pferde bezahlte den Unfall mit dem Leben — leidet es mich nicht
mehr im Wagen, wenn die Meinigen mit drin sitzen. Ich nahm also den Ob-
servationSpostcn ein, und kam mir vor wie ein alter Truthahn, der recht gräm¬
lich drein schaut, wenn ihm die Federn naß werden.

Die Expedition über den Sereth übergehe ich. Die Schwierigkeit deS
Uebersetzers wird noch größer, wenn man eine ganze Reihe paarweise vor¬
einander gespannter Pferde am Wagen hat, während auf dem Prahu kaum
für zwei Deichselpferde Platz ist. Die übrigen müssen dann allein voraus,
und werden am jenseitigen Ufer so in Reih und Glied aufgestellt, daß man
sie gleich wieder einhaken kann, ehe der Wagen sein schwimmendes Breter-
gcrüst verläßt, wobei der höchst einfache Mechanismus des Geschirrs sehr zu
Statten kommt. Wenn man noch Aussichten auf eine glückliche Zukunft hat,
so steigt man bei solcher Gelegenheit aus, und wenn es dabei regnet, so wird
man grade so naß und schmuzig, als die Glieder meiner Familie waren, da
sie wieder einstiegen.

Bei schönem Wetter bewundert man gern den fruchtbaren, aus schwarzer
mit Lehm untermischter Gartenerde bestehenden Boden der Moldau — in auf¬
geweichtem Zustande aber kann er zur Verzweiflung bringen! Der Koth geht bis
an die Achse und füllt die Zwischenräume der Radspeichen so, daß sie am
Ende aussehen wie uudurchbrocheue Scheiben und man von Zeit zu Zeit stehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/147>, abgerufen am 23.07.2024.