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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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hatte es schon einige Male versucht, mit dem Bruder an der Hand die Treppe
schnell hinunterzulaufen und dem Offizier zu entkommen. Endlich gelang es
Ihr; der Offizier schien nicht Acht gegeben zu haben, und die auf jedem Absatz
der Treppe stehende Schildwache ließ die beiden Flüchtlinge ebenfalls vorbei.
So kamen Sie in einen kleinen Hof, aus dem ein Thor in ein Wäldchen
führte, wo Sich Beide hinter einem Baum versteckten, und hörten, wie ängstlich
der Offizier nach dem Prinzen und die Gouvernante nach der Prinzeß rief.
Sie wurden bald entdeckt und zurückgeführt. Die Folgen dieses Versuches
waren eine geschärftere Aufsicht über den armen Kronprinzen und ein Verweis
von den Eltern. Es war eine traurige, schwere Zeit für die unglücklichen
Majestäten. Jeder Verbindung mit der Außenwelt beraubt, blieben Sie in
völliger Unkennrniß mit den Folgen der Revolution des 13. März.

Der Sommer war dahin. Das Wetter erlaubte die Spaziergänge in
dem Blumengarten nicht mehr. Die Familie war auf Gripsholms düstere
Gemächer beschränkt; die Königin suchte die Tagesstunden, wo Ihr Gemahl
allein in Seinem Zimmer blieb, Ihren Kindern zu widmen, indem Sie Theil
an der Ausbildung derselben nahm. Sie las viel und mustcirte. Ihr Talent
für Clavier war ausgezeichnet. Sie componirte mehre Märsche in Gripsholm,
die Sie aber leider nicht aufgeschrieben. So gingen die denkwürdigen Melo¬
dien verloren, mit Ausnahme eines Marsches, den die Prinzessinnen Töchter
von der geliebten Mutter lernten und den Ihre Königliche Hoheit die Prin¬
zessin Amalie von Schweden nachzuspielen wußte.

Wenn die Familie vereinigt war, machte die Königin auch Handarbeiten.
So hatte Sie Ihrem Gemahl eine Weste gestickt, sie sogar Selbst genäht,
wobei die Knopflöcher und das Annähen der Knöpfe Ihr viel Mühe machten.

Von Stockholm traf der Beschluß ein, daß die Königliche Familie Ihrer
Haft entlassen werden solle, unter der Bedingung, Schweden zu verlassen und
Sich nach Deutschland zu wenden. -- Vor der Abreise sollte eine Commission
nach Gripsholm kommen, mit allen vorhandenen Diamanten und Perlen,
damit die Majestäten Selbst die Ihnen eigen gehörenden von dem Kronschmuck
ausscheiden könnten. -- Die beiden Majestäten mußten Sich in einen großen
Saal begeben, wo aus einer langen grünen Tafel der Schmuck ausgelegt war.
Die Commissäre standen in scheinbar demüthiger Haltung um dieselbe. Zwei
Fauteuils erwarteten das Königspaar. Nachdem Höchstdieselben Sich gesetzt,
bezeichnete der König diejenigen Gegenstände, die Sein Eigenthum waren und
die größtentheils aus der Erbschaft Seines Herrn Vaters stammten. Es waren
sehr Pracht- und werthvolle Diamanten dabei, die verschiedenen schwedischen
Ordensinsignien darstellend, auch ungefaßte Steine. Einer derselben, von so
bedeutender Größe, daß Karl XIII. ihn Seinem Königlichen Neffen gewiß
contestirt haben würde, wenn es möglich gewesen wäre, ihn als zum Erbe


hatte es schon einige Male versucht, mit dem Bruder an der Hand die Treppe
schnell hinunterzulaufen und dem Offizier zu entkommen. Endlich gelang es
Ihr; der Offizier schien nicht Acht gegeben zu haben, und die auf jedem Absatz
der Treppe stehende Schildwache ließ die beiden Flüchtlinge ebenfalls vorbei.
So kamen Sie in einen kleinen Hof, aus dem ein Thor in ein Wäldchen
führte, wo Sich Beide hinter einem Baum versteckten, und hörten, wie ängstlich
der Offizier nach dem Prinzen und die Gouvernante nach der Prinzeß rief.
Sie wurden bald entdeckt und zurückgeführt. Die Folgen dieses Versuches
waren eine geschärftere Aufsicht über den armen Kronprinzen und ein Verweis
von den Eltern. Es war eine traurige, schwere Zeit für die unglücklichen
Majestäten. Jeder Verbindung mit der Außenwelt beraubt, blieben Sie in
völliger Unkennrniß mit den Folgen der Revolution des 13. März.

Der Sommer war dahin. Das Wetter erlaubte die Spaziergänge in
dem Blumengarten nicht mehr. Die Familie war auf Gripsholms düstere
Gemächer beschränkt; die Königin suchte die Tagesstunden, wo Ihr Gemahl
allein in Seinem Zimmer blieb, Ihren Kindern zu widmen, indem Sie Theil
an der Ausbildung derselben nahm. Sie las viel und mustcirte. Ihr Talent
für Clavier war ausgezeichnet. Sie componirte mehre Märsche in Gripsholm,
die Sie aber leider nicht aufgeschrieben. So gingen die denkwürdigen Melo¬
dien verloren, mit Ausnahme eines Marsches, den die Prinzessinnen Töchter
von der geliebten Mutter lernten und den Ihre Königliche Hoheit die Prin¬
zessin Amalie von Schweden nachzuspielen wußte.

Wenn die Familie vereinigt war, machte die Königin auch Handarbeiten.
So hatte Sie Ihrem Gemahl eine Weste gestickt, sie sogar Selbst genäht,
wobei die Knopflöcher und das Annähen der Knöpfe Ihr viel Mühe machten.

Von Stockholm traf der Beschluß ein, daß die Königliche Familie Ihrer
Haft entlassen werden solle, unter der Bedingung, Schweden zu verlassen und
Sich nach Deutschland zu wenden. — Vor der Abreise sollte eine Commission
nach Gripsholm kommen, mit allen vorhandenen Diamanten und Perlen,
damit die Majestäten Selbst die Ihnen eigen gehörenden von dem Kronschmuck
ausscheiden könnten. — Die beiden Majestäten mußten Sich in einen großen
Saal begeben, wo aus einer langen grünen Tafel der Schmuck ausgelegt war.
Die Commissäre standen in scheinbar demüthiger Haltung um dieselbe. Zwei
Fauteuils erwarteten das Königspaar. Nachdem Höchstdieselben Sich gesetzt,
bezeichnete der König diejenigen Gegenstände, die Sein Eigenthum waren und
die größtentheils aus der Erbschaft Seines Herrn Vaters stammten. Es waren
sehr Pracht- und werthvolle Diamanten dabei, die verschiedenen schwedischen
Ordensinsignien darstellend, auch ungefaßte Steine. Einer derselben, von so
bedeutender Größe, daß Karl XIII. ihn Seinem Königlichen Neffen gewiß
contestirt haben würde, wenn es möglich gewesen wäre, ihn als zum Erbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/118>, abgerufen am 23.07.2024.