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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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kamen in dem französischen dritten Stande zwei auseinandergehende, immer im
Kampfe begriffene, aber stets einem und demselben Endzweck entsprechende
Richtungen, welche bei gegenseitiger Mäßigung und Verbindung.unter dem Ein¬
flüsse neuer höherer und edlerer Ideen unsern Revolutionen seit dem 13. Jahr¬
hundert ihren, der bürgerlichen Gleichheit, nationalen und administrativen
Einheit langsam, aber stets sicher entgegenschreitenden Charakter gegeben haben.

Eine neue gewaltsame Erhebung der Bürgerschaft 1383 veranlaßte eine
um so schlimmere Reaction, da dies Mal die reichsten Familien deS Bürger¬
standes davon getroffen wurden. Infolge dessen siel die" Führerschaft der Be¬
wegung von nun an in die Hand der niedern Classen, die in der Erhebung
von 1412 mit dem leidenschaftlichsten Ungestüm gegen die königliche Gewalt
auftraten; doch nehmen dies Mal die Gelehrten, und zwar in Form einer
Corporation, die Partei deS Volks, und die vom König bestätigten Artikel
von 1413 enthalten ein vollständiges Administrationsgesetzbuch, das eine Hierar¬
chie von Wahlbeamten errichtet, Regeln der Verwaltung und Rechnungsführung
aufstellt, die Dienststellen sowol in Bezug ihrer Zahl als auch ihrer Befugnisse
genau bezeichnet und überhaupt den Unterthanen aller Classen Garantien
gegen die Ungerechtigkeit, Unterdrückung, den Mißbrauch der Gewalt oder des
Gesetzes zusichert. Die Ausführung dieser Gesetzgebung scheiterte daran, daß
man nicht die nöthige Zahl der Beamten fand, und daß aus dem Uebergewicht
der leidenschaftlichen Menge eine neue Reaction hervorging. Dagegen war
die Negierung Ludwigs Xi. indirect für das Gedeihen des Bürgerstandes von
der größten Wichtigkeit, indem durch ihn die kleinen adligen Souveränetäten
für immer gebrochen wurden. Als nach seinem Tode die vlals ^LnörÄux von
1484 zusammenkamen, fanden sie im Princip nichts Wesentliches zu ändern,
sie forderten nur eine zweckmäßigere administrative und Finanzverwaltung.
Schon damals wurden, und zwar grade von Seiten adliger Deputaten, sehr
weitgreifende Doctrinen aufgestellt, z. B. das Königthum ist ein Amt, eine
Dienstbehörde, keine Erbschaft -- das souveräne Volk ists, welches ursprüng¬
lich die Könige gewählt der Staat ist mit dem Volke identisch, ist das
Volk; die Souveränetät gehört nicht den Fürsten, sie eristirt nur durch das
Volk. -- Das Volk ist der Inbegriff, die Gesammtmasse der Bewohner des
Reichs; die Generalstaaten sind die Bewahrer und Vertreter des allgemeinen
Vvlkswillens." -- Praktische Erfolge hatten diese Anträge nicht, und die vlals
ALnöraux..blieben nach wie vor in Beziehung aus ihre Einberufung der Willkür
oder den augenblicklichen Bedürfnissen der Negierung anheimgestellt. Dagegen
beginnt von jetzt an die politische Rolle des pariser Parlaments. Aus der
Mitte der bürgerlichen Rechtskundigen, welche mit der richterlichen Gewalt
bekleidet, für den König die absolute Gewalt und für die Nation daS gemeine
Recht gegründet hatte, ging im 16. Jahrhundert eine genaue, aufgeklärte,


kamen in dem französischen dritten Stande zwei auseinandergehende, immer im
Kampfe begriffene, aber stets einem und demselben Endzweck entsprechende
Richtungen, welche bei gegenseitiger Mäßigung und Verbindung.unter dem Ein¬
flüsse neuer höherer und edlerer Ideen unsern Revolutionen seit dem 13. Jahr¬
hundert ihren, der bürgerlichen Gleichheit, nationalen und administrativen
Einheit langsam, aber stets sicher entgegenschreitenden Charakter gegeben haben.

Eine neue gewaltsame Erhebung der Bürgerschaft 1383 veranlaßte eine
um so schlimmere Reaction, da dies Mal die reichsten Familien deS Bürger¬
standes davon getroffen wurden. Infolge dessen siel die" Führerschaft der Be¬
wegung von nun an in die Hand der niedern Classen, die in der Erhebung
von 1412 mit dem leidenschaftlichsten Ungestüm gegen die königliche Gewalt
auftraten; doch nehmen dies Mal die Gelehrten, und zwar in Form einer
Corporation, die Partei deS Volks, und die vom König bestätigten Artikel
von 1413 enthalten ein vollständiges Administrationsgesetzbuch, das eine Hierar¬
chie von Wahlbeamten errichtet, Regeln der Verwaltung und Rechnungsführung
aufstellt, die Dienststellen sowol in Bezug ihrer Zahl als auch ihrer Befugnisse
genau bezeichnet und überhaupt den Unterthanen aller Classen Garantien
gegen die Ungerechtigkeit, Unterdrückung, den Mißbrauch der Gewalt oder des
Gesetzes zusichert. Die Ausführung dieser Gesetzgebung scheiterte daran, daß
man nicht die nöthige Zahl der Beamten fand, und daß aus dem Uebergewicht
der leidenschaftlichen Menge eine neue Reaction hervorging. Dagegen war
die Negierung Ludwigs Xi. indirect für das Gedeihen des Bürgerstandes von
der größten Wichtigkeit, indem durch ihn die kleinen adligen Souveränetäten
für immer gebrochen wurden. Als nach seinem Tode die vlals ^LnörÄux von
1484 zusammenkamen, fanden sie im Princip nichts Wesentliches zu ändern,
sie forderten nur eine zweckmäßigere administrative und Finanzverwaltung.
Schon damals wurden, und zwar grade von Seiten adliger Deputaten, sehr
weitgreifende Doctrinen aufgestellt, z. B. das Königthum ist ein Amt, eine
Dienstbehörde, keine Erbschaft — das souveräne Volk ists, welches ursprüng¬
lich die Könige gewählt der Staat ist mit dem Volke identisch, ist das
Volk; die Souveränetät gehört nicht den Fürsten, sie eristirt nur durch das
Volk. — Das Volk ist der Inbegriff, die Gesammtmasse der Bewohner des
Reichs; die Generalstaaten sind die Bewahrer und Vertreter des allgemeinen
Vvlkswillens." — Praktische Erfolge hatten diese Anträge nicht, und die vlals
ALnöraux..blieben nach wie vor in Beziehung aus ihre Einberufung der Willkür
oder den augenblicklichen Bedürfnissen der Negierung anheimgestellt. Dagegen
beginnt von jetzt an die politische Rolle des pariser Parlaments. Aus der
Mitte der bürgerlichen Rechtskundigen, welche mit der richterlichen Gewalt
bekleidet, für den König die absolute Gewalt und für die Nation daS gemeine
Recht gegründet hatte, ging im 16. Jahrhundert eine genaue, aufgeklärte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/104>, abgerufen am 23.07.2024.