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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Die letzten fünfzehn Jahre von Humboldts Leben verliefen in der Stille
ländlicher Zurückgezogenheit. In dem Abendlicht des Alters entfaltete sich die
ganze Schönheit und Größe seines Wesens. -- "Es ist ejn oft wiederholtes
Wort der Rahel: Humboldt sei "von keinem Alter" gewesen. Früh und spät ver¬
sichert er selbst den Freunden und Freundinnen, daß er völlig und ganz der
Alte sei, und im Gedichte preist er sich glücklich, daß er seiner Jugend durchs
Leben treu geblieben, daß er unverbrüchlich einer Richtung gefolgt sei. Der
Zug der Nadel nach Norden und der Lauf der Sterne kann nicht zuverlässiger
sein, als die Treue seines Gemüths und die Dauerhaftigkeit seiner Empfin¬
dungen. Er trägt einen Schatz von Liebe durchs Leben; keinen, der ihm je.
nahe stand, ist er im Stande aufzugeben oder zu vergessen; seine Freundschaf¬
ten werden nur durch den Tod, -- auch durch den Tod nicht abgebrochen.
Was einmal Wurzel in seinem Herzen geschlagen hat, einem tiefen und fest¬
haltenden Herzen, das geht niemals ein, sondern wächst in immer frischen
Trieben. Wie gegen andre, so gegen sich selbst. Er hatte frühzeitig sein
Leben auf einen Plan und auf ein Princip gestellt: niemals, selbst unter
mannigfachen äußeren Ablenkungen, hatte er diesen Plan innerlich aufgegeben.
Es bestand ihm das Leben nicht aus dem Stückwerk aneinandergereihter Tage
und Stunden: eS galt ihm als ein Ganzes, als eine zu durchmcsse'nde Arbeit,
als ein "Act, der wohl geführt und wohl geschlossen sein wolle." Alles va-
her, was ehemals angeknüpft ist, wird bis ans Ende fortgesponnen, alles
was in der Anlage verheißen ist, kömmt im Verlaufe zur Ausführung. Der¬
selbe unbesiegbare, durch Ehren und Erfolge nicht zu bestechende Individualis¬
mus spricht aus den Bekenntnissen seines Alters wie ans denen seiner Jugend.
-- Und doppelt hat das Wort der Nadel Recht. Nicht alt geworden war dieser
Mann, weil er in vieler Hinsicht niemals jung gewesen war. Wie er sich
das eine Mal rühmt, an Lebendigkeit nicht verloren zu haben, so gesteht er
dann wieder und mehre Male, daß eine gewisse Art von Lebendigkeit ihm zu
keiner Zeit eigen gewesen sei. Schon in Pyrmont fand die Freundin dieselbe
"heitere Ruhe" in dem Wesen des Zwanzigjährigen, die aus den Briefen des
sechzigjährigen athmet. Heftige Begierden, sagt er von sich selbst, und leiden¬
schaftliche Aeußerungen seien ihm jederzeit fremd gewesen, und leicht, sügt er
hinzu, könne dies in einem "Mangel an Feuer" liegen, dessen der Mann zu
vielen der wichtigsten und ernsthaftesten Dinge bedürfe. Es ist so. Jene
Ästhetische Fassung, zu der unsre Literatur sich aus dem Sturm und Drang
der Leidenschaft hindurcharbeitete, -- ihm war sie, -- eine Mitgift mehr zum
Glück als zur Größe -- gleich bei der Geburt bescheert worden. Wenn er
"heitere Ruhe" jetzt als die Grundlage des glücklichen Lebens rühmt, so nennt
er dies zwar selbst die Abendansicht des Lebens, aber eine Ansicht doch, die
ihm immer nahe gelegen und die natürlich aus seinem Temperamente erwach-


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Die letzten fünfzehn Jahre von Humboldts Leben verliefen in der Stille
ländlicher Zurückgezogenheit. In dem Abendlicht des Alters entfaltete sich die
ganze Schönheit und Größe seines Wesens. — „Es ist ejn oft wiederholtes
Wort der Rahel: Humboldt sei „von keinem Alter" gewesen. Früh und spät ver¬
sichert er selbst den Freunden und Freundinnen, daß er völlig und ganz der
Alte sei, und im Gedichte preist er sich glücklich, daß er seiner Jugend durchs
Leben treu geblieben, daß er unverbrüchlich einer Richtung gefolgt sei. Der
Zug der Nadel nach Norden und der Lauf der Sterne kann nicht zuverlässiger
sein, als die Treue seines Gemüths und die Dauerhaftigkeit seiner Empfin¬
dungen. Er trägt einen Schatz von Liebe durchs Leben; keinen, der ihm je.
nahe stand, ist er im Stande aufzugeben oder zu vergessen; seine Freundschaf¬
ten werden nur durch den Tod, — auch durch den Tod nicht abgebrochen.
Was einmal Wurzel in seinem Herzen geschlagen hat, einem tiefen und fest¬
haltenden Herzen, das geht niemals ein, sondern wächst in immer frischen
Trieben. Wie gegen andre, so gegen sich selbst. Er hatte frühzeitig sein
Leben auf einen Plan und auf ein Princip gestellt: niemals, selbst unter
mannigfachen äußeren Ablenkungen, hatte er diesen Plan innerlich aufgegeben.
Es bestand ihm das Leben nicht aus dem Stückwerk aneinandergereihter Tage
und Stunden: eS galt ihm als ein Ganzes, als eine zu durchmcsse'nde Arbeit,
als ein „Act, der wohl geführt und wohl geschlossen sein wolle." Alles va-
her, was ehemals angeknüpft ist, wird bis ans Ende fortgesponnen, alles
was in der Anlage verheißen ist, kömmt im Verlaufe zur Ausführung. Der¬
selbe unbesiegbare, durch Ehren und Erfolge nicht zu bestechende Individualis¬
mus spricht aus den Bekenntnissen seines Alters wie ans denen seiner Jugend.
— Und doppelt hat das Wort der Nadel Recht. Nicht alt geworden war dieser
Mann, weil er in vieler Hinsicht niemals jung gewesen war. Wie er sich
das eine Mal rühmt, an Lebendigkeit nicht verloren zu haben, so gesteht er
dann wieder und mehre Male, daß eine gewisse Art von Lebendigkeit ihm zu
keiner Zeit eigen gewesen sei. Schon in Pyrmont fand die Freundin dieselbe
„heitere Ruhe" in dem Wesen des Zwanzigjährigen, die aus den Briefen des
sechzigjährigen athmet. Heftige Begierden, sagt er von sich selbst, und leiden¬
schaftliche Aeußerungen seien ihm jederzeit fremd gewesen, und leicht, sügt er
hinzu, könne dies in einem „Mangel an Feuer" liegen, dessen der Mann zu
vielen der wichtigsten und ernsthaftesten Dinge bedürfe. Es ist so. Jene
Ästhetische Fassung, zu der unsre Literatur sich aus dem Sturm und Drang
der Leidenschaft hindurcharbeitete, — ihm war sie, — eine Mitgift mehr zum
Glück als zur Größe — gleich bei der Geburt bescheert worden. Wenn er
„heitere Ruhe" jetzt als die Grundlage des glücklichen Lebens rühmt, so nennt
er dies zwar selbst die Abendansicht des Lebens, aber eine Ansicht doch, die
ihm immer nahe gelegen und die natürlich aus seinem Temperamente erwach-


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[0099] Die letzten fünfzehn Jahre von Humboldts Leben verliefen in der Stille ländlicher Zurückgezogenheit. In dem Abendlicht des Alters entfaltete sich die ganze Schönheit und Größe seines Wesens. — „Es ist ejn oft wiederholtes Wort der Rahel: Humboldt sei „von keinem Alter" gewesen. Früh und spät ver¬ sichert er selbst den Freunden und Freundinnen, daß er völlig und ganz der Alte sei, und im Gedichte preist er sich glücklich, daß er seiner Jugend durchs Leben treu geblieben, daß er unverbrüchlich einer Richtung gefolgt sei. Der Zug der Nadel nach Norden und der Lauf der Sterne kann nicht zuverlässiger sein, als die Treue seines Gemüths und die Dauerhaftigkeit seiner Empfin¬ dungen. Er trägt einen Schatz von Liebe durchs Leben; keinen, der ihm je. nahe stand, ist er im Stande aufzugeben oder zu vergessen; seine Freundschaf¬ ten werden nur durch den Tod, — auch durch den Tod nicht abgebrochen. Was einmal Wurzel in seinem Herzen geschlagen hat, einem tiefen und fest¬ haltenden Herzen, das geht niemals ein, sondern wächst in immer frischen Trieben. Wie gegen andre, so gegen sich selbst. Er hatte frühzeitig sein Leben auf einen Plan und auf ein Princip gestellt: niemals, selbst unter mannigfachen äußeren Ablenkungen, hatte er diesen Plan innerlich aufgegeben. Es bestand ihm das Leben nicht aus dem Stückwerk aneinandergereihter Tage und Stunden: eS galt ihm als ein Ganzes, als eine zu durchmcsse'nde Arbeit, als ein „Act, der wohl geführt und wohl geschlossen sein wolle." Alles va- her, was ehemals angeknüpft ist, wird bis ans Ende fortgesponnen, alles was in der Anlage verheißen ist, kömmt im Verlaufe zur Ausführung. Der¬ selbe unbesiegbare, durch Ehren und Erfolge nicht zu bestechende Individualis¬ mus spricht aus den Bekenntnissen seines Alters wie ans denen seiner Jugend. — Und doppelt hat das Wort der Nadel Recht. Nicht alt geworden war dieser Mann, weil er in vieler Hinsicht niemals jung gewesen war. Wie er sich das eine Mal rühmt, an Lebendigkeit nicht verloren zu haben, so gesteht er dann wieder und mehre Male, daß eine gewisse Art von Lebendigkeit ihm zu keiner Zeit eigen gewesen sei. Schon in Pyrmont fand die Freundin dieselbe „heitere Ruhe" in dem Wesen des Zwanzigjährigen, die aus den Briefen des sechzigjährigen athmet. Heftige Begierden, sagt er von sich selbst, und leiden¬ schaftliche Aeußerungen seien ihm jederzeit fremd gewesen, und leicht, sügt er hinzu, könne dies in einem „Mangel an Feuer" liegen, dessen der Mann zu vielen der wichtigsten und ernsthaftesten Dinge bedürfe. Es ist so. Jene Ästhetische Fassung, zu der unsre Literatur sich aus dem Sturm und Drang der Leidenschaft hindurcharbeitete, — ihm war sie, — eine Mitgift mehr zum Glück als zur Größe — gleich bei der Geburt bescheert worden. Wenn er „heitere Ruhe" jetzt als die Grundlage des glücklichen Lebens rühmt, so nennt er dies zwar selbst die Abendansicht des Lebens, aber eine Ansicht doch, die ihm immer nahe gelegen und die natürlich aus seinem Temperamente erwach- 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/99>, abgerufen am 23.07.2024.