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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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"An ehernen Gesetzen führt gekettet
Der irdischen Geschlechter Wendekreisen
DaS Schicksal unerbittlich seinen Pfad;
Zufrieden, wenn das hohe Ziel es rettet,
Bleibt kalt eS, ob sie leiden, ob sich freuen.
Auch uns hat es ans Rosen nicht gebettet;
Doch aus des Busens Tiefe strömt Gedeihen
Der festen Duldung und cntschloßner That.
Nicht Schmerz ist Unglück, Glück nicht immer Freude:
"
Wer sein Geschick erfüllt, dem lächeln beide.

Das ist nicht die Sprache eines Mannes, welcher ungeduldig ist, den Lauf
der Dinge zu ändern und auf alle Fälle seine Hand im Spiele der Geschichte
zu haben. Das Vergnügen, welches wahrhaft praktische Naturen an der
Thätigkeit als solcher, an deren Aufregung und an deren Erfolgen finden, war
ihm fremd. Das Handeln hatte nicht ein primitives, sondern ein secundäres
Interesse für ihn: es galt ihm als etwas Accidentelles gegenüber der sein-'
mung und Beschaffenheit des Innern. Er war ohne jene Leidenschaft des
Wirkens und Schaffens, ohne jenen Durst nach Ruhm, die in der Regel die
Triebfedern großer Unternehmungen sind. Er war eben, wie er sich selbst
nannte, ein Idealist. Allein sein Idealismus leistete ihm einen ähnlichen
Dienst wie anderen die unmittelbare praktische Begierde. Es war kein hohler,
sondern ein gediegner Idealismus; eS war der Idealismus Kants und Schil¬
lers. Auch in ihm lebte jener ausdauernde Muth, der früher oder später den
Widerstand der stumpfen Welt besiegt, -- ein Muth, welcher nicht mit der
romantischen Situation verfliegt, die ihn'herausgefordert hat, sondern Stand
hält gegen die Prosa, die ihn zu dämpfen und zu ersticken droht. Statt vor¬
dringlicher und spontaner Leidenschaft für das Große und Gute, wohnte ihm
der stille und unerschütterliche Glaube an das "immer siegende Gute" ein.
Ihm stand das Wort in der Seele geschrieben, daß denjenigen alle Dinge
zufallen, die am ersten nach dem Reiche Gottes trachten. Frömmigkeit, in
der That, war die Stimmung, mit der er dem thätigen Leben gegenüber¬
stand, -- jene heitere Frömmigkeit, wie sie dem Vertrauten der aeschyleischen
und dem Ausleger der edelsten deutschen Dichtung ziemte. "Wenn die Bande
der Welt sich lösen, so sind wir es, die sie wieder zu knüpfen vermögen,"
das war es, was er aus Hermann und Dorothea sich herausgelesen hatte;
"sich mit festem Muth gegen alle äußeren Stürme zu behaupten, jedem Geist
der Verwirrung und Unruhe mit Macht zu widerstehen/' das war die Moral,
die er dem Dichter abgelauscht, "das war der Geist, in welchem er jetzt die
tragischen Zustände des Vaterlandes und die Aufgabe ansah, so viel an ihm
sei, zu bessern, zu helfen und zu retten. -- So weit Haym.

Und jetzt kamen zehn Jahre (1809--1819), in denen Humboldt, so wenig
Mann der That, der feingebildete und durch den innigen Verkehr mit den


Grenzboten. III. 1836. 12
„An ehernen Gesetzen führt gekettet
Der irdischen Geschlechter Wendekreisen
DaS Schicksal unerbittlich seinen Pfad;
Zufrieden, wenn das hohe Ziel es rettet,
Bleibt kalt eS, ob sie leiden, ob sich freuen.
Auch uns hat es ans Rosen nicht gebettet;
Doch aus des Busens Tiefe strömt Gedeihen
Der festen Duldung und cntschloßner That.
Nicht Schmerz ist Unglück, Glück nicht immer Freude:
"
Wer sein Geschick erfüllt, dem lächeln beide.

Das ist nicht die Sprache eines Mannes, welcher ungeduldig ist, den Lauf
der Dinge zu ändern und auf alle Fälle seine Hand im Spiele der Geschichte
zu haben. Das Vergnügen, welches wahrhaft praktische Naturen an der
Thätigkeit als solcher, an deren Aufregung und an deren Erfolgen finden, war
ihm fremd. Das Handeln hatte nicht ein primitives, sondern ein secundäres
Interesse für ihn: es galt ihm als etwas Accidentelles gegenüber der sein-'
mung und Beschaffenheit des Innern. Er war ohne jene Leidenschaft des
Wirkens und Schaffens, ohne jenen Durst nach Ruhm, die in der Regel die
Triebfedern großer Unternehmungen sind. Er war eben, wie er sich selbst
nannte, ein Idealist. Allein sein Idealismus leistete ihm einen ähnlichen
Dienst wie anderen die unmittelbare praktische Begierde. Es war kein hohler,
sondern ein gediegner Idealismus; eS war der Idealismus Kants und Schil¬
lers. Auch in ihm lebte jener ausdauernde Muth, der früher oder später den
Widerstand der stumpfen Welt besiegt, — ein Muth, welcher nicht mit der
romantischen Situation verfliegt, die ihn'herausgefordert hat, sondern Stand
hält gegen die Prosa, die ihn zu dämpfen und zu ersticken droht. Statt vor¬
dringlicher und spontaner Leidenschaft für das Große und Gute, wohnte ihm
der stille und unerschütterliche Glaube an das „immer siegende Gute" ein.
Ihm stand das Wort in der Seele geschrieben, daß denjenigen alle Dinge
zufallen, die am ersten nach dem Reiche Gottes trachten. Frömmigkeit, in
der That, war die Stimmung, mit der er dem thätigen Leben gegenüber¬
stand, — jene heitere Frömmigkeit, wie sie dem Vertrauten der aeschyleischen
und dem Ausleger der edelsten deutschen Dichtung ziemte. „Wenn die Bande
der Welt sich lösen, so sind wir es, die sie wieder zu knüpfen vermögen,"
das war es, was er aus Hermann und Dorothea sich herausgelesen hatte;
„sich mit festem Muth gegen alle äußeren Stürme zu behaupten, jedem Geist
der Verwirrung und Unruhe mit Macht zu widerstehen/' das war die Moral,
die er dem Dichter abgelauscht, «das war der Geist, in welchem er jetzt die
tragischen Zustände des Vaterlandes und die Aufgabe ansah, so viel an ihm
sei, zu bessern, zu helfen und zu retten. -- So weit Haym.

Und jetzt kamen zehn Jahre (1809—1819), in denen Humboldt, so wenig
Mann der That, der feingebildete und durch den innigen Verkehr mit den


Grenzboten. III. 1836. 12
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[0097] „An ehernen Gesetzen führt gekettet Der irdischen Geschlechter Wendekreisen DaS Schicksal unerbittlich seinen Pfad; Zufrieden, wenn das hohe Ziel es rettet, Bleibt kalt eS, ob sie leiden, ob sich freuen. Auch uns hat es ans Rosen nicht gebettet; Doch aus des Busens Tiefe strömt Gedeihen Der festen Duldung und cntschloßner That. Nicht Schmerz ist Unglück, Glück nicht immer Freude: " Wer sein Geschick erfüllt, dem lächeln beide. Das ist nicht die Sprache eines Mannes, welcher ungeduldig ist, den Lauf der Dinge zu ändern und auf alle Fälle seine Hand im Spiele der Geschichte zu haben. Das Vergnügen, welches wahrhaft praktische Naturen an der Thätigkeit als solcher, an deren Aufregung und an deren Erfolgen finden, war ihm fremd. Das Handeln hatte nicht ein primitives, sondern ein secundäres Interesse für ihn: es galt ihm als etwas Accidentelles gegenüber der sein-' mung und Beschaffenheit des Innern. Er war ohne jene Leidenschaft des Wirkens und Schaffens, ohne jenen Durst nach Ruhm, die in der Regel die Triebfedern großer Unternehmungen sind. Er war eben, wie er sich selbst nannte, ein Idealist. Allein sein Idealismus leistete ihm einen ähnlichen Dienst wie anderen die unmittelbare praktische Begierde. Es war kein hohler, sondern ein gediegner Idealismus; eS war der Idealismus Kants und Schil¬ lers. Auch in ihm lebte jener ausdauernde Muth, der früher oder später den Widerstand der stumpfen Welt besiegt, — ein Muth, welcher nicht mit der romantischen Situation verfliegt, die ihn'herausgefordert hat, sondern Stand hält gegen die Prosa, die ihn zu dämpfen und zu ersticken droht. Statt vor¬ dringlicher und spontaner Leidenschaft für das Große und Gute, wohnte ihm der stille und unerschütterliche Glaube an das „immer siegende Gute" ein. Ihm stand das Wort in der Seele geschrieben, daß denjenigen alle Dinge zufallen, die am ersten nach dem Reiche Gottes trachten. Frömmigkeit, in der That, war die Stimmung, mit der er dem thätigen Leben gegenüber¬ stand, — jene heitere Frömmigkeit, wie sie dem Vertrauten der aeschyleischen und dem Ausleger der edelsten deutschen Dichtung ziemte. „Wenn die Bande der Welt sich lösen, so sind wir es, die sie wieder zu knüpfen vermögen," das war es, was er aus Hermann und Dorothea sich herausgelesen hatte; „sich mit festem Muth gegen alle äußeren Stürme zu behaupten, jedem Geist der Verwirrung und Unruhe mit Macht zu widerstehen/' das war die Moral, die er dem Dichter abgelauscht, «das war der Geist, in welchem er jetzt die tragischen Zustände des Vaterlandes und die Aufgabe ansah, so viel an ihm sei, zu bessern, zu helfen und zu retten. -- So weit Haym. Und jetzt kamen zehn Jahre (1809—1819), in denen Humboldt, so wenig Mann der That, der feingebildete und durch den innigen Verkehr mit den Grenzboten. III. 1836. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/97>, abgerufen am 23.07.2024.