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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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selbstgewählter Muße von diesen Interessen hinweggewandt. Er folgte seiner
eignen Individualität und er folgte zugleich dem Zuge des deutschen Geistes¬
lebens, wenn er dem Alterthum und der Dichtung die Studien dieser Muße
widmete."

Aber aus der schönen Traumwelt Roms wurde Humboldt geweckt durch
den Schmerzensruf seines Vaterlandes. Der Frieden von Tilsit hatte Preußen
zerbrochen, Deutschland stöhnte unter der eisernen Faust seines Tyrannen.
"Humboldts Anhänglichkeit an deutsches Wesen war von ganz eigner Art. Sie
war sehr verschieden von demjenigen, was man gewöhnlich Heimathsliebe,
und sehr verschieden von demjenigen, was man Patriotismus nennt. Seine
Gefühle hatten wenig gemein mit der Sehnsucht, die den Schweizer nach
seinen Bergen und nach den Klängen des Kuhreigens ergreift. Sie hatten
noch weniger mit den Gefühlen eifersüchtigen Stolzes und opfermuthiger Be¬
geisterung gemein, die einen Athenienser zur Zeit des Perikles in der Ekklesia
oder einen Römer im Senate bei der Nachricht von der Niederlage bei Cannä
erfüllten. Nicht der Gedanke an die deutschen Gauen lockte ihm Thränen ins
Auge; nicht die Erinnerung an die einstige Herrlichkeit des deutschen Reiches
trieb ihm das Blut zum Herzen: -- er liebte den deutschen Geist und die
"Deutschheit". Ueber den Klängen der deutschen Sprache ergriff ihn etwas
wie Heimweh und etwas wie' patriotischer Stolz; über den Dichtungen seines
Schiller und Goethe regte sich etwas in ihm wie Machtgefühl oder wie Sie¬
gesfreude. Seine Vaterlandsliebe war wie die Liebe zu etwas Vergangenem,
vielmehr wie die Liebe zu Dingen, die dem Irdischen entrückt sind, zu geisti¬
gen Gütern und zu Ideen. Er würde deutsches Wesen geliebt haben, und er
würde in dieser Liebe sich befriedigt gefunden haben, auch wenn die deutsche
Nation als solche aufgehört hätte zu eristiren, auch wenn Deutschland nur
noch als Provinz einer französischen Universalmonarchie genannt worden wäre.
Er liebte es wie er Rom und Hellas liebte; er liebte es, weil und indem er es wie
diese idealisüte. Deutsch, wie er ohne Zweifel durch und durch war, empfand
er doch das Deutsche überwiegend nach dem Maß, dem Geschmack und dem
Bedürfniß seiner individuellen Natur. Es war ja gewiß richtig, wenn er das
Unterscheidende der deutschen Dichtung und des deutschen Wesens in dem "still
aber tief" bewegten Gemüthe, in der größeren Geistigkeit und Innerlichkeit
fand. Es lag ja unbestreitbar eine gewisse Berechtigung in der so oft von
ihm ausgesprochenen Idee von der Wahlverwandtschaft der deutschen Sprache
und Nationalität mit der griechischen. Man muß ihm ja zustimmen, wenn er
den Vorzug des Deutschen vor dem Griechischen in Zweierlei erblickt, in der grö¬
ßeren Befähigung für den Ausdruck deö Gedankens und in der tieferen Innig¬
keit
Vorzüge wegen die deutsche Sprache und Nation als die "menschUchste" be-^^Herzlichkeit. Man mag es sich gefallen lassen, wenn er grade dieser


selbstgewählter Muße von diesen Interessen hinweggewandt. Er folgte seiner
eignen Individualität und er folgte zugleich dem Zuge des deutschen Geistes¬
lebens, wenn er dem Alterthum und der Dichtung die Studien dieser Muße
widmete."

Aber aus der schönen Traumwelt Roms wurde Humboldt geweckt durch
den Schmerzensruf seines Vaterlandes. Der Frieden von Tilsit hatte Preußen
zerbrochen, Deutschland stöhnte unter der eisernen Faust seines Tyrannen.
„Humboldts Anhänglichkeit an deutsches Wesen war von ganz eigner Art. Sie
war sehr verschieden von demjenigen, was man gewöhnlich Heimathsliebe,
und sehr verschieden von demjenigen, was man Patriotismus nennt. Seine
Gefühle hatten wenig gemein mit der Sehnsucht, die den Schweizer nach
seinen Bergen und nach den Klängen des Kuhreigens ergreift. Sie hatten
noch weniger mit den Gefühlen eifersüchtigen Stolzes und opfermuthiger Be¬
geisterung gemein, die einen Athenienser zur Zeit des Perikles in der Ekklesia
oder einen Römer im Senate bei der Nachricht von der Niederlage bei Cannä
erfüllten. Nicht der Gedanke an die deutschen Gauen lockte ihm Thränen ins
Auge; nicht die Erinnerung an die einstige Herrlichkeit des deutschen Reiches
trieb ihm das Blut zum Herzen: — er liebte den deutschen Geist und die
„Deutschheit". Ueber den Klängen der deutschen Sprache ergriff ihn etwas
wie Heimweh und etwas wie' patriotischer Stolz; über den Dichtungen seines
Schiller und Goethe regte sich etwas in ihm wie Machtgefühl oder wie Sie¬
gesfreude. Seine Vaterlandsliebe war wie die Liebe zu etwas Vergangenem,
vielmehr wie die Liebe zu Dingen, die dem Irdischen entrückt sind, zu geisti¬
gen Gütern und zu Ideen. Er würde deutsches Wesen geliebt haben, und er
würde in dieser Liebe sich befriedigt gefunden haben, auch wenn die deutsche
Nation als solche aufgehört hätte zu eristiren, auch wenn Deutschland nur
noch als Provinz einer französischen Universalmonarchie genannt worden wäre.
Er liebte es wie er Rom und Hellas liebte; er liebte es, weil und indem er es wie
diese idealisüte. Deutsch, wie er ohne Zweifel durch und durch war, empfand
er doch das Deutsche überwiegend nach dem Maß, dem Geschmack und dem
Bedürfniß seiner individuellen Natur. Es war ja gewiß richtig, wenn er das
Unterscheidende der deutschen Dichtung und des deutschen Wesens in dem „still
aber tief" bewegten Gemüthe, in der größeren Geistigkeit und Innerlichkeit
fand. Es lag ja unbestreitbar eine gewisse Berechtigung in der so oft von
ihm ausgesprochenen Idee von der Wahlverwandtschaft der deutschen Sprache
und Nationalität mit der griechischen. Man muß ihm ja zustimmen, wenn er
den Vorzug des Deutschen vor dem Griechischen in Zweierlei erblickt, in der grö¬
ßeren Befähigung für den Ausdruck deö Gedankens und in der tieferen Innig¬
keit
Vorzüge wegen die deutsche Sprache und Nation als die „menschUchste" be-^^Herzlichkeit. Man mag es sich gefallen lassen, wenn er grade dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/95>, abgerufen am 23.07.2024.