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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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berechtigt ist. Haym hat auch diese Aufgabe so hoch als möglich gefaßt. Er
gibt fast von allem, was Humboldt geschrieben, ein Referat, das so gescheidt,
sorgfältig und geistvoll ist, daß man wol sagen darf, alle Schwingungen dieses
subtilsten aller Geister haben auch in seiner Seele nachgezittert. Wenn ihm
das bei den philosophischen und ästhetischen Abhandlungen seines Helden so
gut gelang, so war daS erklärlich, weil sie seiner eignen Thätigkeit nicht fern
lagen. Daß er aber aus Humboldts großem Werk über die Kawisprache und
den übrigen sprachwissenschaftlichen Abhandlungen ein Bild gemacht hat, aus
welchem jeder gebildete Leser ein interessantes Verständniß von Humboldts
sprachwissenschaftlicher Methode, Wissen und geistigem Schaffen gewinnen kann,
das ist in der That bewunderungswürdig.

Doch noch höher stellen wir eine andere Seite seiner Bildung. Er ist
ein Sohn unserer Zeit, er hat eine höhere und reinere Auffassung von den
Pflichten des Einzelnen gegen seineu Staat und sein Volk, als dem Helden
selbst zu haben vergönnt war, er verurtheilt ihn bescheiden, aber sicher, wo
er muß, und er thut dies immer so, daß man vor seinem eignen Wahrheits¬
sinn und Pflichtgefühl die höchste Achtung bekommt. Ueberall erscheint er selbst
als ein Mann von reinem Gefühl und hoher sittlicher Kraft. Und das ist
nicht das höchste, aber das beste Lob, mit dem der Leser von dem Werke
eines Historikers scheiden kann.

Erzählung und Stil sind sorgfältig; die Sprache ist rein und gewählt,
und viele Stellen sind von einer hohen Schönheit. Doch darf ein pflicht¬
treuer Recensent nicht verschweigen, daß der Verfasser manchmal zu viel
Sorgfalt angewandt hat, denn man empfindet sie heraus. Auch ist ein Wieder¬
klang von Macaulay in seiner Sprache, die kurzen Sätze, die glänzenden.
Parallelen und Antithesen. Und noch eine Besonderheit des Verfassers hält
manchen Stellen, allerdings nur an einzelnen, zu sehr auf. Er liebt es,
und darin hat er einige Aehnlichkeit mit Humboldt selbst, einen Gedanken,
einen Satz herumzuwälzen, und in seiner analvsirenden Art denselben nach¬
einander von verschiedenen Seiten anzufassen. Das bringt einige Längen in
seine Erzählung; sie würden weniger bemerkbar sein, wenn das Buch nicht
un Ganzen so gut geschrieben wäre.

Das reiche Leben Wilhelms von Humboldt (1767--1835) so einig, con-
sequent und festgeschlossen wie wenige, entwickelt, sich in drei Perioden. Seine
Jugendzeit ist die Zeit einer Selbstbildung, ernsthaft, vielseitig, und höchst
aristokratisch. Das Schöne und Edle suchen und in dem eignen Leben zur
Darstellung bringen, gilt ihm für das höchste Lebensgesetz. Mit der größten
Fähigkeit, die verschiedensten Eindrücke aufzunehmen, verbindet er die heiterste
gleichmäßigste Ruhe,' welche keine leidenschaftliche Befangenheit aufkommen
laßt, mit dem schärfsten und klarsten Urtheil die wärmste Sinnlichkeit. So,


berechtigt ist. Haym hat auch diese Aufgabe so hoch als möglich gefaßt. Er
gibt fast von allem, was Humboldt geschrieben, ein Referat, das so gescheidt,
sorgfältig und geistvoll ist, daß man wol sagen darf, alle Schwingungen dieses
subtilsten aller Geister haben auch in seiner Seele nachgezittert. Wenn ihm
das bei den philosophischen und ästhetischen Abhandlungen seines Helden so
gut gelang, so war daS erklärlich, weil sie seiner eignen Thätigkeit nicht fern
lagen. Daß er aber aus Humboldts großem Werk über die Kawisprache und
den übrigen sprachwissenschaftlichen Abhandlungen ein Bild gemacht hat, aus
welchem jeder gebildete Leser ein interessantes Verständniß von Humboldts
sprachwissenschaftlicher Methode, Wissen und geistigem Schaffen gewinnen kann,
das ist in der That bewunderungswürdig.

Doch noch höher stellen wir eine andere Seite seiner Bildung. Er ist
ein Sohn unserer Zeit, er hat eine höhere und reinere Auffassung von den
Pflichten des Einzelnen gegen seineu Staat und sein Volk, als dem Helden
selbst zu haben vergönnt war, er verurtheilt ihn bescheiden, aber sicher, wo
er muß, und er thut dies immer so, daß man vor seinem eignen Wahrheits¬
sinn und Pflichtgefühl die höchste Achtung bekommt. Ueberall erscheint er selbst
als ein Mann von reinem Gefühl und hoher sittlicher Kraft. Und das ist
nicht das höchste, aber das beste Lob, mit dem der Leser von dem Werke
eines Historikers scheiden kann.

Erzählung und Stil sind sorgfältig; die Sprache ist rein und gewählt,
und viele Stellen sind von einer hohen Schönheit. Doch darf ein pflicht¬
treuer Recensent nicht verschweigen, daß der Verfasser manchmal zu viel
Sorgfalt angewandt hat, denn man empfindet sie heraus. Auch ist ein Wieder¬
klang von Macaulay in seiner Sprache, die kurzen Sätze, die glänzenden.
Parallelen und Antithesen. Und noch eine Besonderheit des Verfassers hält
manchen Stellen, allerdings nur an einzelnen, zu sehr auf. Er liebt es,
und darin hat er einige Aehnlichkeit mit Humboldt selbst, einen Gedanken,
einen Satz herumzuwälzen, und in seiner analvsirenden Art denselben nach¬
einander von verschiedenen Seiten anzufassen. Das bringt einige Längen in
seine Erzählung; sie würden weniger bemerkbar sein, wenn das Buch nicht
un Ganzen so gut geschrieben wäre.

Das reiche Leben Wilhelms von Humboldt (1767—1835) so einig, con-
sequent und festgeschlossen wie wenige, entwickelt, sich in drei Perioden. Seine
Jugendzeit ist die Zeit einer Selbstbildung, ernsthaft, vielseitig, und höchst
aristokratisch. Das Schöne und Edle suchen und in dem eignen Leben zur
Darstellung bringen, gilt ihm für das höchste Lebensgesetz. Mit der größten
Fähigkeit, die verschiedensten Eindrücke aufzunehmen, verbindet er die heiterste
gleichmäßigste Ruhe,' welche keine leidenschaftliche Befangenheit aufkommen
laßt, mit dem schärfsten und klarsten Urtheil die wärmste Sinnlichkeit. So,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/93>, abgerufen am 23.07.2024.