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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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zukommen sei, darüber werden die Meinungen unserer Historiker sehr auseinan¬
dergehen. Der große Geschichtschreiber Wilhelms von Oranien verfährt so
kühn, daß ihm ein anderer nicht ohne große Gefahr nachahmen dürste. Die
Ermordung z. B. der Brüder de Witt durch die empörte Masse ist -- wie gering
auch Wilhelms Antheil daran sein möge -- doch eine dunkle Stelle in dem
glorreichen Leben dieses mächtigen Geistes. Macaulay gleitet sehr kurz darüber
weg. In der That würde eine stärkere Betonung das ganze sonst so wahre,
glänzende und einheitliche Bild seines Helden verdorben haben, denn diese
Action fällt grade in den Aufgang seines Helden, in dessen erste Schilderung,
wo ihm ein reiner Eindruck beim Leser vom höchsten Werth sein mußte. Er '
hat dem eignen moralischen Gefühl und dem des Lesers dadurch eine Sühne
zu geben versucht, daß er bei dem Gemetzel von Glencoiz eine ähnliche
sträfliche Nachsicht seines Helden mit eifriger Strenge verurtheilt. Bei diesem
Fall konnte sein Wilhelm schon etwas vertragen, das Bild desselben war in
die Seele der Leser bereits fest eingedrückt. Ja Macaulay spricht am Schluß
seines Macchiavell sogar aus', daß es zuweilen gut sei, die Genauigkeit dem
verständigen Effect zu opfern, weil sich dadurch zwar die kleinern Linien
verwischten, aber die großen charaktergebenden Züge dem Leser desto tiefer
einprägten. Es ist die ganze Größe, Sicherheit und Gewandtheit seines Ta¬
lentes nöthig, um bei solcher Theorie nicht die innere Wahrheit dem glän¬
zenden Schein zu opfern.

In Wahrheit läßt sich diese Schwierigkeit der historischen Porträtirung
nicht durch eine allgemein gültige Regel überwinden. Der Takt deS Biogra¬
phen wird vielmehr für jeden Helden eine besondere Methode der Auffassung,
der Darstellung und Erzählung finden müssen. Während der eine Charakter
eine detaillirte realistische Schilderung seiner Erscheinung, seiner Handlung und
seiner äußern Umgebung nöthig hat, wird bei einem andern die entgegengesetzte
Auffassung, welche mehr den Geist in seiner Entwicklung, als die bunten Far¬
ben des Lebens hervorhebt, zweckmäßig sein. Der Zufall hat gewollt, daß
grade jetzt von zwei Gelehrten, welche in verschiedener Weise d. Bl. nahestehen,
werthvolle Biographien erschienen sind, Mozart von Jahr und die vorliegende.
Die Behandlung der beiden Helden ist so verschieden als möglich, und jede
hat die höchste Berechtigung.

Die Behandlung Wilhelms von Humboldt durch Haym ist beim ersten
Anblick sehr ungewöhnlich. Mit einem Scharfsinn, und einer Kunst der
Analyse, welche Bewunderung erzwingen, erklärt er den Geist des großen
Staatsmannes und Gelehrten unserem Urtheil. Er schildert und kritisirt mei¬
sterhaft seine Bildung, seine Arbeiten, seine Gelehrsamkeit und legt die feinsten
Fäden in dem künstlichen und merkwürdig verschlungenen Gewebe einer Seele
vor unsere Augen. Die Ereignisse des äußern Lebens dagegen werden mit


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zukommen sei, darüber werden die Meinungen unserer Historiker sehr auseinan¬
dergehen. Der große Geschichtschreiber Wilhelms von Oranien verfährt so
kühn, daß ihm ein anderer nicht ohne große Gefahr nachahmen dürste. Die
Ermordung z. B. der Brüder de Witt durch die empörte Masse ist — wie gering
auch Wilhelms Antheil daran sein möge — doch eine dunkle Stelle in dem
glorreichen Leben dieses mächtigen Geistes. Macaulay gleitet sehr kurz darüber
weg. In der That würde eine stärkere Betonung das ganze sonst so wahre,
glänzende und einheitliche Bild seines Helden verdorben haben, denn diese
Action fällt grade in den Aufgang seines Helden, in dessen erste Schilderung,
wo ihm ein reiner Eindruck beim Leser vom höchsten Werth sein mußte. Er '
hat dem eignen moralischen Gefühl und dem des Lesers dadurch eine Sühne
zu geben versucht, daß er bei dem Gemetzel von Glencoiz eine ähnliche
sträfliche Nachsicht seines Helden mit eifriger Strenge verurtheilt. Bei diesem
Fall konnte sein Wilhelm schon etwas vertragen, das Bild desselben war in
die Seele der Leser bereits fest eingedrückt. Ja Macaulay spricht am Schluß
seines Macchiavell sogar aus', daß es zuweilen gut sei, die Genauigkeit dem
verständigen Effect zu opfern, weil sich dadurch zwar die kleinern Linien
verwischten, aber die großen charaktergebenden Züge dem Leser desto tiefer
einprägten. Es ist die ganze Größe, Sicherheit und Gewandtheit seines Ta¬
lentes nöthig, um bei solcher Theorie nicht die innere Wahrheit dem glän¬
zenden Schein zu opfern.

In Wahrheit läßt sich diese Schwierigkeit der historischen Porträtirung
nicht durch eine allgemein gültige Regel überwinden. Der Takt deS Biogra¬
phen wird vielmehr für jeden Helden eine besondere Methode der Auffassung,
der Darstellung und Erzählung finden müssen. Während der eine Charakter
eine detaillirte realistische Schilderung seiner Erscheinung, seiner Handlung und
seiner äußern Umgebung nöthig hat, wird bei einem andern die entgegengesetzte
Auffassung, welche mehr den Geist in seiner Entwicklung, als die bunten Far¬
ben des Lebens hervorhebt, zweckmäßig sein. Der Zufall hat gewollt, daß
grade jetzt von zwei Gelehrten, welche in verschiedener Weise d. Bl. nahestehen,
werthvolle Biographien erschienen sind, Mozart von Jahr und die vorliegende.
Die Behandlung der beiden Helden ist so verschieden als möglich, und jede
hat die höchste Berechtigung.

Die Behandlung Wilhelms von Humboldt durch Haym ist beim ersten
Anblick sehr ungewöhnlich. Mit einem Scharfsinn, und einer Kunst der
Analyse, welche Bewunderung erzwingen, erklärt er den Geist des großen
Staatsmannes und Gelehrten unserem Urtheil. Er schildert und kritisirt mei¬
sterhaft seine Bildung, seine Arbeiten, seine Gelehrsamkeit und legt die feinsten
Fäden in dem künstlichen und merkwürdig verschlungenen Gewebe einer Seele
vor unsere Augen. Die Ereignisse des äußern Lebens dagegen werden mit


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[0091] zukommen sei, darüber werden die Meinungen unserer Historiker sehr auseinan¬ dergehen. Der große Geschichtschreiber Wilhelms von Oranien verfährt so kühn, daß ihm ein anderer nicht ohne große Gefahr nachahmen dürste. Die Ermordung z. B. der Brüder de Witt durch die empörte Masse ist — wie gering auch Wilhelms Antheil daran sein möge — doch eine dunkle Stelle in dem glorreichen Leben dieses mächtigen Geistes. Macaulay gleitet sehr kurz darüber weg. In der That würde eine stärkere Betonung das ganze sonst so wahre, glänzende und einheitliche Bild seines Helden verdorben haben, denn diese Action fällt grade in den Aufgang seines Helden, in dessen erste Schilderung, wo ihm ein reiner Eindruck beim Leser vom höchsten Werth sein mußte. Er ' hat dem eignen moralischen Gefühl und dem des Lesers dadurch eine Sühne zu geben versucht, daß er bei dem Gemetzel von Glencoiz eine ähnliche sträfliche Nachsicht seines Helden mit eifriger Strenge verurtheilt. Bei diesem Fall konnte sein Wilhelm schon etwas vertragen, das Bild desselben war in die Seele der Leser bereits fest eingedrückt. Ja Macaulay spricht am Schluß seines Macchiavell sogar aus', daß es zuweilen gut sei, die Genauigkeit dem verständigen Effect zu opfern, weil sich dadurch zwar die kleinern Linien verwischten, aber die großen charaktergebenden Züge dem Leser desto tiefer einprägten. Es ist die ganze Größe, Sicherheit und Gewandtheit seines Ta¬ lentes nöthig, um bei solcher Theorie nicht die innere Wahrheit dem glän¬ zenden Schein zu opfern. In Wahrheit läßt sich diese Schwierigkeit der historischen Porträtirung nicht durch eine allgemein gültige Regel überwinden. Der Takt deS Biogra¬ phen wird vielmehr für jeden Helden eine besondere Methode der Auffassung, der Darstellung und Erzählung finden müssen. Während der eine Charakter eine detaillirte realistische Schilderung seiner Erscheinung, seiner Handlung und seiner äußern Umgebung nöthig hat, wird bei einem andern die entgegengesetzte Auffassung, welche mehr den Geist in seiner Entwicklung, als die bunten Far¬ ben des Lebens hervorhebt, zweckmäßig sein. Der Zufall hat gewollt, daß grade jetzt von zwei Gelehrten, welche in verschiedener Weise d. Bl. nahestehen, werthvolle Biographien erschienen sind, Mozart von Jahr und die vorliegende. Die Behandlung der beiden Helden ist so verschieden als möglich, und jede hat die höchste Berechtigung. Die Behandlung Wilhelms von Humboldt durch Haym ist beim ersten Anblick sehr ungewöhnlich. Mit einem Scharfsinn, und einer Kunst der Analyse, welche Bewunderung erzwingen, erklärt er den Geist des großen Staatsmannes und Gelehrten unserem Urtheil. Er schildert und kritisirt mei¬ sterhaft seine Bildung, seine Arbeiten, seine Gelehrsamkeit und legt die feinsten Fäden in dem künstlichen und merkwürdig verschlungenen Gewebe einer Seele vor unsere Augen. Die Ereignisse des äußern Lebens dagegen werden mit 11 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/91>, abgerufen am 23.07.2024.