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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Korrespondenzen.
Die. Domnfmstenthi'ttNNV

Zwei Fragen von entscheidender Bedeutung für die
ganze Zukunft der unteren Donauländer müssen in nächster Zeit ihre definitive Er¬
ledigung finden. Die eure betrifft die Macht und den Umfang, die zweite die Be-
herrschungssorm derselben. Sollen die beiden Donaufürstenthümer getrennt bleiben
oder vereinigt werden?

Sollen sie von lebenslänglichen Wahlsürsten oder von einer erblichen Dynastie
regiert werden?

Durch den pariser Frieden sind diese beiden fundamentalen Fragen nicht erle¬
digt; derselbe hat nur eine Commission angeordnet, welche die Meinung der Lan¬
desvertretung der Fürstenthümer über die künftige Organisation derselben erforschen
und dann den Mächten definitive Vorschläge über dieselben machen soll. Die letzte
Entscheidung werden die Großmächte und die Pforte haben.

Es versteht sich von selbst, daß die jetzt zusammentretende Commission eben¬
sowenig als die Landesvertretung der Donaufürstenthümer aus die Lösung jener
beiden Fragen einen entscheidenden Einfluß haben werden. Man wird ihren
Vorschlägen in Betreff der Organisation der Verwaltung, in Betreff ber constitutio-
nellen Garantien und ähnlichen Fragen im Wesentlichen natürlich die Bestätigung
nicht versagen, aber in jenen beiden Punkten werden von Anfang an die Kom¬
missäre nur diejenige Meinung aussprechen, die sie in ihren Jnstructionen von Hause
mitgenommen haben. Es sind nicht Fragen der Detailkunde, sondern der allge¬
meinen Politik und was die Nationalvertretung der Fürstenthümer anbetrifft, es
sind Fragen, die schwerlich aus dem Interesse der beiden Länder, sondern aus dem
Interesse der hohen Schntzmächte entschieden werden dürsten.

Da indessen doch die Donaufürstenthümer selbst zunächst an dieser Entscheidung
betheiligt sind, so darf dieselbe immerhin auch von dem Standpunkt ihrer eignen
Interessen betrachtet werden und von diesem Standpunkt aus kann kaum eine zwei¬
fache Meinung stattfinden. Die Vereinigung -- die beiden Fürstenthümer, ob-
wol seit Jahrhunderten regelmäßig getrennt, sind durch alles vereinigt, was die
Grundlage für eine staatliche Vereinigung bildet: dieselbe Nationalität der Bevöl¬
kerung, dieselbe Sitte und Sprache, dieselbe Religion, dieselben Bodenverhältnisse
und materiellen Interessen, endlich von mächtigen Nachbarn umgeben, dasselbe Be-
, dürfniß in sich selbst die Möglichst der Selbstständigkeit und nöthigenfalls die Kraft
des Widerstandes zu suchen. Die Walachei hat über 2,300.000, die Moldau über
4,500,000 Einwohner. Getrennt vermögen sie sast so gut wie nichts, vereinigt
bilden sie immer einen Staat von der militärischen Stärke Belgiens oder Londons.

Die Erblichkeit des Fürstenthu ins -- das politische Leiden dieser Lar-
'der ist seit Jahrhunderten ein Adel gewesen, der dem polnischen sast in allem ähn¬
lich ist, vor allem in der Tyrannei gegen seine Unterfassen und der Unbotmäßig-
wt gegen seine Fürsten, in Gleichgiltigkeit für das öffentliche Wohl, in Unwissen¬
heit und Sittenlosigkeit. und in der Unfähigkeit zu regieren und zu gehorchen. Die
türkische Herrschaft ist in diesen Ländern wie die russische in Polen nur durch die
Parteiungen und die Anarchie der Bojaren möglich geworden, und dieselben haben


Korrespondenzen.
Die. Domnfmstenthi'ttNNV

Zwei Fragen von entscheidender Bedeutung für die
ganze Zukunft der unteren Donauländer müssen in nächster Zeit ihre definitive Er¬
ledigung finden. Die eure betrifft die Macht und den Umfang, die zweite die Be-
herrschungssorm derselben. Sollen die beiden Donaufürstenthümer getrennt bleiben
oder vereinigt werden?

Sollen sie von lebenslänglichen Wahlsürsten oder von einer erblichen Dynastie
regiert werden?

Durch den pariser Frieden sind diese beiden fundamentalen Fragen nicht erle¬
digt; derselbe hat nur eine Commission angeordnet, welche die Meinung der Lan¬
desvertretung der Fürstenthümer über die künftige Organisation derselben erforschen
und dann den Mächten definitive Vorschläge über dieselben machen soll. Die letzte
Entscheidung werden die Großmächte und die Pforte haben.

Es versteht sich von selbst, daß die jetzt zusammentretende Commission eben¬
sowenig als die Landesvertretung der Donaufürstenthümer aus die Lösung jener
beiden Fragen einen entscheidenden Einfluß haben werden. Man wird ihren
Vorschlägen in Betreff der Organisation der Verwaltung, in Betreff ber constitutio-
nellen Garantien und ähnlichen Fragen im Wesentlichen natürlich die Bestätigung
nicht versagen, aber in jenen beiden Punkten werden von Anfang an die Kom¬
missäre nur diejenige Meinung aussprechen, die sie in ihren Jnstructionen von Hause
mitgenommen haben. Es sind nicht Fragen der Detailkunde, sondern der allge¬
meinen Politik und was die Nationalvertretung der Fürstenthümer anbetrifft, es
sind Fragen, die schwerlich aus dem Interesse der beiden Länder, sondern aus dem
Interesse der hohen Schntzmächte entschieden werden dürsten.

Da indessen doch die Donaufürstenthümer selbst zunächst an dieser Entscheidung
betheiligt sind, so darf dieselbe immerhin auch von dem Standpunkt ihrer eignen
Interessen betrachtet werden und von diesem Standpunkt aus kann kaum eine zwei¬
fache Meinung stattfinden. Die Vereinigung — die beiden Fürstenthümer, ob-
wol seit Jahrhunderten regelmäßig getrennt, sind durch alles vereinigt, was die
Grundlage für eine staatliche Vereinigung bildet: dieselbe Nationalität der Bevöl¬
kerung, dieselbe Sitte und Sprache, dieselbe Religion, dieselben Bodenverhältnisse
und materiellen Interessen, endlich von mächtigen Nachbarn umgeben, dasselbe Be-
, dürfniß in sich selbst die Möglichst der Selbstständigkeit und nöthigenfalls die Kraft
des Widerstandes zu suchen. Die Walachei hat über 2,300.000, die Moldau über
4,500,000 Einwohner. Getrennt vermögen sie sast so gut wie nichts, vereinigt
bilden sie immer einen Staat von der militärischen Stärke Belgiens oder Londons.

Die Erblichkeit des Fürstenthu ins — das politische Leiden dieser Lar-
'der ist seit Jahrhunderten ein Adel gewesen, der dem polnischen sast in allem ähn¬
lich ist, vor allem in der Tyrannei gegen seine Unterfassen und der Unbotmäßig-
wt gegen seine Fürsten, in Gleichgiltigkeit für das öffentliche Wohl, in Unwissen¬
heit und Sittenlosigkeit. und in der Unfähigkeit zu regieren und zu gehorchen. Die
türkische Herrschaft ist in diesen Ländern wie die russische in Polen nur durch die
Parteiungen und die Anarchie der Bojaren möglich geworden, und dieselben haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/79>, abgerufen am 23.07.2024.