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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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frei, von denen der berühmte Venetianer nicht selten seine Schöpfungen be¬
einträchtigt sah.

Tadolini ist den Siebenziger nahe, kurz, dick, ein echter Bologneser,
mit einem Vorrath von Kraft und Rüstigkeit sür weitere dreißig Jahre.

Einen tüchtigen Künstler lernten wir noch in dem Mailänder Giovanni
Strazza, etwa 33 Jahre alt, kennen. Er hat einen der 12 Monate des
Bolivardenkmals ausgeführt, den Januar nämlich und zwar als Indianer,
in der Beschäftigung Zuckerrohr zu sammeln. Eine halb sich entschleiernde Tamar
war von der bezauberndsten Wirkung. Ebenso tüchtig behandelt erschien ein
Knabe, der aus einer Bombe den Zünder ziehen will. Die provisorische Ne¬
gierung Roms zahlte während des Anfangs der Belagerung sür jede solcher
Art unschädlich gemachte französische Bombe vier Paoli. Da indessen viele solch
waghalsiger Bombensucher um dieses Preises willen den Tod fanden, so wurde
später die Belohnung in ein Verbot umgewandelt. -- Ein verschmachtender
Ismael von demselben Künstler war zu realistisch aufgefaßt. Als niedlicher
Spielerei sei noch eines verschleierten Frauenkopfes gedacht, bei dem die Fein¬
heit der Arbeit und die seltene Zartheit deS Marmors eine solche Täuschung
hervorbrachte, daß wir nahe davor stehend noch des Augenblicks warteten, wo
der Künstler den Schleier von der Büste abnehmen werde. Die Alten kannten
solch durchsichtige Stoffe, unsern Schleiern ähnlich, und nannten sie Nebel.
Im Vatican sowol wie in der Privatsammlung des Ritters Campana ist eine
so gewandete Venus Genetrir zu sehen. Sie haben indessen nirgend so täuschend
die Wirklichkeit in dieser Art nachgeahmt.

Ziehen wir eine Summe dieser Atelierwanderung, so gelangen wir zu dem
Resultat, daß Roms Skulpturthätigkeit sich im Allgemeinen auf gutem Weg
findet.

Es ist mißlich, dem Beispiel eines Einzigen, wie Thorwaldsen eS ist, dieses
Maßhalten nach so manchen Ausschreitungen zuzuschreiben. Das gediegenere
Studium der Kunstgeschichte kommt vielleicht mehr noch in Betracht. Das
letztere hat erst seit wenigen Jahren allgemeinere Verbreitung gewonnen, ist
noch im steten Zunehmen begriffen und muß von der günstigsten Rückwirkung
auf den Künstler sein. Welcher Nation die Besteller angehören mögen, auf
deren Ansprüche der Künstler Rücksicht zu nehmen hat, völlige Barbarei in
Geschmackssachen bringen sie doch nicht mehr nach Rom, sie mögen es nun
auf der Hin- oder Herreise berühren.




frei, von denen der berühmte Venetianer nicht selten seine Schöpfungen be¬
einträchtigt sah.

Tadolini ist den Siebenziger nahe, kurz, dick, ein echter Bologneser,
mit einem Vorrath von Kraft und Rüstigkeit sür weitere dreißig Jahre.

Einen tüchtigen Künstler lernten wir noch in dem Mailänder Giovanni
Strazza, etwa 33 Jahre alt, kennen. Er hat einen der 12 Monate des
Bolivardenkmals ausgeführt, den Januar nämlich und zwar als Indianer,
in der Beschäftigung Zuckerrohr zu sammeln. Eine halb sich entschleiernde Tamar
war von der bezauberndsten Wirkung. Ebenso tüchtig behandelt erschien ein
Knabe, der aus einer Bombe den Zünder ziehen will. Die provisorische Ne¬
gierung Roms zahlte während des Anfangs der Belagerung sür jede solcher
Art unschädlich gemachte französische Bombe vier Paoli. Da indessen viele solch
waghalsiger Bombensucher um dieses Preises willen den Tod fanden, so wurde
später die Belohnung in ein Verbot umgewandelt. — Ein verschmachtender
Ismael von demselben Künstler war zu realistisch aufgefaßt. Als niedlicher
Spielerei sei noch eines verschleierten Frauenkopfes gedacht, bei dem die Fein¬
heit der Arbeit und die seltene Zartheit deS Marmors eine solche Täuschung
hervorbrachte, daß wir nahe davor stehend noch des Augenblicks warteten, wo
der Künstler den Schleier von der Büste abnehmen werde. Die Alten kannten
solch durchsichtige Stoffe, unsern Schleiern ähnlich, und nannten sie Nebel.
Im Vatican sowol wie in der Privatsammlung des Ritters Campana ist eine
so gewandete Venus Genetrir zu sehen. Sie haben indessen nirgend so täuschend
die Wirklichkeit in dieser Art nachgeahmt.

Ziehen wir eine Summe dieser Atelierwanderung, so gelangen wir zu dem
Resultat, daß Roms Skulpturthätigkeit sich im Allgemeinen auf gutem Weg
findet.

Es ist mißlich, dem Beispiel eines Einzigen, wie Thorwaldsen eS ist, dieses
Maßhalten nach so manchen Ausschreitungen zuzuschreiben. Das gediegenere
Studium der Kunstgeschichte kommt vielleicht mehr noch in Betracht. Das
letztere hat erst seit wenigen Jahren allgemeinere Verbreitung gewonnen, ist
noch im steten Zunehmen begriffen und muß von der günstigsten Rückwirkung
auf den Künstler sein. Welcher Nation die Besteller angehören mögen, auf
deren Ansprüche der Künstler Rücksicht zu nehmen hat, völlige Barbarei in
Geschmackssachen bringen sie doch nicht mehr nach Rom, sie mögen es nun
auf der Hin- oder Herreise berühren.




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[0078] frei, von denen der berühmte Venetianer nicht selten seine Schöpfungen be¬ einträchtigt sah. Tadolini ist den Siebenziger nahe, kurz, dick, ein echter Bologneser, mit einem Vorrath von Kraft und Rüstigkeit sür weitere dreißig Jahre. Einen tüchtigen Künstler lernten wir noch in dem Mailänder Giovanni Strazza, etwa 33 Jahre alt, kennen. Er hat einen der 12 Monate des Bolivardenkmals ausgeführt, den Januar nämlich und zwar als Indianer, in der Beschäftigung Zuckerrohr zu sammeln. Eine halb sich entschleiernde Tamar war von der bezauberndsten Wirkung. Ebenso tüchtig behandelt erschien ein Knabe, der aus einer Bombe den Zünder ziehen will. Die provisorische Ne¬ gierung Roms zahlte während des Anfangs der Belagerung sür jede solcher Art unschädlich gemachte französische Bombe vier Paoli. Da indessen viele solch waghalsiger Bombensucher um dieses Preises willen den Tod fanden, so wurde später die Belohnung in ein Verbot umgewandelt. — Ein verschmachtender Ismael von demselben Künstler war zu realistisch aufgefaßt. Als niedlicher Spielerei sei noch eines verschleierten Frauenkopfes gedacht, bei dem die Fein¬ heit der Arbeit und die seltene Zartheit deS Marmors eine solche Täuschung hervorbrachte, daß wir nahe davor stehend noch des Augenblicks warteten, wo der Künstler den Schleier von der Büste abnehmen werde. Die Alten kannten solch durchsichtige Stoffe, unsern Schleiern ähnlich, und nannten sie Nebel. Im Vatican sowol wie in der Privatsammlung des Ritters Campana ist eine so gewandete Venus Genetrir zu sehen. Sie haben indessen nirgend so täuschend die Wirklichkeit in dieser Art nachgeahmt. Ziehen wir eine Summe dieser Atelierwanderung, so gelangen wir zu dem Resultat, daß Roms Skulpturthätigkeit sich im Allgemeinen auf gutem Weg findet. Es ist mißlich, dem Beispiel eines Einzigen, wie Thorwaldsen eS ist, dieses Maßhalten nach so manchen Ausschreitungen zuzuschreiben. Das gediegenere Studium der Kunstgeschichte kommt vielleicht mehr noch in Betracht. Das letztere hat erst seit wenigen Jahren allgemeinere Verbreitung gewonnen, ist noch im steten Zunehmen begriffen und muß von der günstigsten Rückwirkung auf den Künstler sein. Welcher Nation die Besteller angehören mögen, auf deren Ansprüche der Künstler Rücksicht zu nehmen hat, völlige Barbarei in Geschmackssachen bringen sie doch nicht mehr nach Rom, sie mögen es nun auf der Hin- oder Herreise berühren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/78>, abgerufen am 23.07.2024.