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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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schlesische Naturell auf dem einzigen Gebiet, wo noch freie Thätigkeit möglich
war, als Vertreter Deutschlands für die übrigen Stämme ein, die Schlester
allein waren die Leute, die sich die schlechte Zeit nicht ganz über den Kopf
wachsen ließen. Noch während sie mit den kaiserlichen Soldaten Hiebe wech¬
selten und als Ueberwundene den kaiserlichen Commissarien heimlich die Faust
ballten, hatten sie immer noch Lust an Wein und Gesang, sie fanden die
Schäferinnen Daphne und Chloe anbetungswürdig, und unter den Scherben
der Becher, welche ihnen die Lichtensteiner zerschlagen, und in den ge¬
schwärzten Mauern ihrer Häuser, welche die Wallensteiner ausgesengt hatten,
riefen sie noch kräftig nach Hebe und Ganvmed und ersuchten sie, Falerner in
goldnen Bechern herbeizuschaffen. Schon die feine, gewählte und saubere
Sprache des charakterlosen Opitz erfreut unter dem unbehilflichen Geschrei der
Gewaltigen, aber wahrhaft herzerquickend ist das kurze launige Lächeln
Logaus in den Jahren, welche sonst nichts zeigen, als wüthende oder gram-
gesurchte Gesichter. Mit Opitz, Logan, Gryphius und Günther beeiferte sich
das ganze gebildete Schlesien, zierlich zu empfinden und heroische Verse zu
machen. Was sie sangen, hat sür unsern Geschmack nur wenig Reiz; aber
daß sie überhaupt die Kraft hatten, in dieser Zeit den idealen Empfindungen
der Deutschen Ausdruck zu geben, das wird man ihnen immer danken müssen.
Denn es war damals wol etwas Großes, der plumpen und fürchterlichen
Gemeinheit gegenüber, welche auf dem deutschen Leben lag, zu zeigen, daß es
noch Schönes auf der Erde gab, geistige und edlere Genüsse, als das wüste
Zechen und der Verkehr mit entwürdigten Weibern, u"d daß hinter dem
grauen und farblosen Himmel, welcher das Land bedeckte, noch eine andere
Welt zu finden war voll glänzender Farben, großer und schöner Empfin¬
dungen.

Während aber allen andern deutschen Stämmen der Gesang der schlesischen
Schwäne und Nachtigallen höchlich imponirte und der Ruhm schlesischer Poe¬
ten hoch stieg, war doch die irdische Lage dieses deutschen Stammes in der
That eine sehr traurige. In einer unausgesetzten hundertjährigen Verfolgung
und Bedrückung feit dem Ende des dreißigjährigen Krieges zog sich die Lebenskraft
der schlesischen Kolonisten in immer kleinere Kreise zusammen, und zuletzt schien
das deutsche Leben des Oberlandes demselben Schicksal verfallen, welches da¬
mals, bevor die Deutschen in das Land kamen, das slawische gebrochen hatte:
tödtlicher Abspannung, einer Zukunft ohne Hoffnung. Die Schlesier wurden
keine Kopfhänger, im Gegentheil sie suchten eifrig jede Gelegenheit lustig zu
sein, was sie immer gewesen, aber es war eine kümmerliche Lustigkeit bei Essen
und Trinken. Da, als die Noth sehr hoch gestiegen war, schlugen von der
alten Landesgrenze, von Müncheverg her, preußische Trommeln Allarm, und
die Trompete der ziethenschen Husaren schmetterte auf denselben Straßen, auf


schlesische Naturell auf dem einzigen Gebiet, wo noch freie Thätigkeit möglich
war, als Vertreter Deutschlands für die übrigen Stämme ein, die Schlester
allein waren die Leute, die sich die schlechte Zeit nicht ganz über den Kopf
wachsen ließen. Noch während sie mit den kaiserlichen Soldaten Hiebe wech¬
selten und als Ueberwundene den kaiserlichen Commissarien heimlich die Faust
ballten, hatten sie immer noch Lust an Wein und Gesang, sie fanden die
Schäferinnen Daphne und Chloe anbetungswürdig, und unter den Scherben
der Becher, welche ihnen die Lichtensteiner zerschlagen, und in den ge¬
schwärzten Mauern ihrer Häuser, welche die Wallensteiner ausgesengt hatten,
riefen sie noch kräftig nach Hebe und Ganvmed und ersuchten sie, Falerner in
goldnen Bechern herbeizuschaffen. Schon die feine, gewählte und saubere
Sprache des charakterlosen Opitz erfreut unter dem unbehilflichen Geschrei der
Gewaltigen, aber wahrhaft herzerquickend ist das kurze launige Lächeln
Logaus in den Jahren, welche sonst nichts zeigen, als wüthende oder gram-
gesurchte Gesichter. Mit Opitz, Logan, Gryphius und Günther beeiferte sich
das ganze gebildete Schlesien, zierlich zu empfinden und heroische Verse zu
machen. Was sie sangen, hat sür unsern Geschmack nur wenig Reiz; aber
daß sie überhaupt die Kraft hatten, in dieser Zeit den idealen Empfindungen
der Deutschen Ausdruck zu geben, das wird man ihnen immer danken müssen.
Denn es war damals wol etwas Großes, der plumpen und fürchterlichen
Gemeinheit gegenüber, welche auf dem deutschen Leben lag, zu zeigen, daß es
noch Schönes auf der Erde gab, geistige und edlere Genüsse, als das wüste
Zechen und der Verkehr mit entwürdigten Weibern, u»d daß hinter dem
grauen und farblosen Himmel, welcher das Land bedeckte, noch eine andere
Welt zu finden war voll glänzender Farben, großer und schöner Empfin¬
dungen.

Während aber allen andern deutschen Stämmen der Gesang der schlesischen
Schwäne und Nachtigallen höchlich imponirte und der Ruhm schlesischer Poe¬
ten hoch stieg, war doch die irdische Lage dieses deutschen Stammes in der
That eine sehr traurige. In einer unausgesetzten hundertjährigen Verfolgung
und Bedrückung feit dem Ende des dreißigjährigen Krieges zog sich die Lebenskraft
der schlesischen Kolonisten in immer kleinere Kreise zusammen, und zuletzt schien
das deutsche Leben des Oberlandes demselben Schicksal verfallen, welches da¬
mals, bevor die Deutschen in das Land kamen, das slawische gebrochen hatte:
tödtlicher Abspannung, einer Zukunft ohne Hoffnung. Die Schlesier wurden
keine Kopfhänger, im Gegentheil sie suchten eifrig jede Gelegenheit lustig zu
sein, was sie immer gewesen, aber es war eine kümmerliche Lustigkeit bei Essen
und Trinken. Da, als die Noth sehr hoch gestiegen war, schlugen von der
alten Landesgrenze, von Müncheverg her, preußische Trommeln Allarm, und
die Trompete der ziethenschen Husaren schmetterte auf denselben Straßen, auf


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[0058] schlesische Naturell auf dem einzigen Gebiet, wo noch freie Thätigkeit möglich war, als Vertreter Deutschlands für die übrigen Stämme ein, die Schlester allein waren die Leute, die sich die schlechte Zeit nicht ganz über den Kopf wachsen ließen. Noch während sie mit den kaiserlichen Soldaten Hiebe wech¬ selten und als Ueberwundene den kaiserlichen Commissarien heimlich die Faust ballten, hatten sie immer noch Lust an Wein und Gesang, sie fanden die Schäferinnen Daphne und Chloe anbetungswürdig, und unter den Scherben der Becher, welche ihnen die Lichtensteiner zerschlagen, und in den ge¬ schwärzten Mauern ihrer Häuser, welche die Wallensteiner ausgesengt hatten, riefen sie noch kräftig nach Hebe und Ganvmed und ersuchten sie, Falerner in goldnen Bechern herbeizuschaffen. Schon die feine, gewählte und saubere Sprache des charakterlosen Opitz erfreut unter dem unbehilflichen Geschrei der Gewaltigen, aber wahrhaft herzerquickend ist das kurze launige Lächeln Logaus in den Jahren, welche sonst nichts zeigen, als wüthende oder gram- gesurchte Gesichter. Mit Opitz, Logan, Gryphius und Günther beeiferte sich das ganze gebildete Schlesien, zierlich zu empfinden und heroische Verse zu machen. Was sie sangen, hat sür unsern Geschmack nur wenig Reiz; aber daß sie überhaupt die Kraft hatten, in dieser Zeit den idealen Empfindungen der Deutschen Ausdruck zu geben, das wird man ihnen immer danken müssen. Denn es war damals wol etwas Großes, der plumpen und fürchterlichen Gemeinheit gegenüber, welche auf dem deutschen Leben lag, zu zeigen, daß es noch Schönes auf der Erde gab, geistige und edlere Genüsse, als das wüste Zechen und der Verkehr mit entwürdigten Weibern, u»d daß hinter dem grauen und farblosen Himmel, welcher das Land bedeckte, noch eine andere Welt zu finden war voll glänzender Farben, großer und schöner Empfin¬ dungen. Während aber allen andern deutschen Stämmen der Gesang der schlesischen Schwäne und Nachtigallen höchlich imponirte und der Ruhm schlesischer Poe¬ ten hoch stieg, war doch die irdische Lage dieses deutschen Stammes in der That eine sehr traurige. In einer unausgesetzten hundertjährigen Verfolgung und Bedrückung feit dem Ende des dreißigjährigen Krieges zog sich die Lebenskraft der schlesischen Kolonisten in immer kleinere Kreise zusammen, und zuletzt schien das deutsche Leben des Oberlandes demselben Schicksal verfallen, welches da¬ mals, bevor die Deutschen in das Land kamen, das slawische gebrochen hatte: tödtlicher Abspannung, einer Zukunft ohne Hoffnung. Die Schlesier wurden keine Kopfhänger, im Gegentheil sie suchten eifrig jede Gelegenheit lustig zu sein, was sie immer gewesen, aber es war eine kümmerliche Lustigkeit bei Essen und Trinken. Da, als die Noth sehr hoch gestiegen war, schlugen von der alten Landesgrenze, von Müncheverg her, preußische Trommeln Allarm, und die Trompete der ziethenschen Husaren schmetterte auf denselben Straßen, auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/58>, abgerufen am 23.07.2024.