Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.Brot- und Schuhbänken. Auch hier hatte er als Vogt die Gerichtsbarkeit, Nicht gleich war das Schicksal, welches die deutschen Städte und Dörfer, So schoß seit 1200 zwischen den Riesenbergen und der endlosen polnischen Brot- und Schuhbänken. Auch hier hatte er als Vogt die Gerichtsbarkeit, Nicht gleich war das Schicksal, welches die deutschen Städte und Dörfer, So schoß seit 1200 zwischen den Riesenbergen und der endlosen polnischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102649"/> <p xml:id="ID_148" prev="#ID_147"> Brot- und Schuhbänken. Auch hier hatte er als Vogt die Gerichtsbarkeit,<lb/> zuweilen sogar die oberste. Die Städte erhielten außer dem Ackerland oft<lb/> Wald, Weide, Fischerei und Jagdrecht, zuweilen das Meilenrecht für städtische<lb/> Gewerbe. Die Bürger waren sämmtlich persönlich frei, und regierten ihr Ge¬<lb/> meinwesen selbst. Statut und Recht holten sie sich bei einer ältern angesehenen<lb/> deutschen Stadt, und sie bezahlten es der Mutterstadt in der Regel mit gutem<lb/> Geld. Magdeburg wurde die große Quelle für Statut und Rechte der schle-<lb/> sischen Stadtcommunen, und noch lange bevor Breslau zu seiner Größe kam,<lb/> ging man dorthin zurück, wenn man in schwierigen Fällen einer Entscheidung<lb/> bedürfte.</p><lb/> <p xml:id="ID_149"> Nicht gleich war das Schicksal, welches die deutschen Städte und Dörfer,<lb/> die doch beide nach demselben Princip gegründet waren, in dem späteren Mittel¬<lb/> alter hatten. In den Städten wuchs die enger zusammengefaßte Kraft deutschen<lb/> Lebens fröhlich empor, ihr Selbstgefühl und ihre Rechte wurden immer größer.<lb/> Die Erbvogteien wurden von ihnen durch Kauf erworben und die Rechte des<lb/> Vogts, vor allem seine Gerichtsbarkeit fielen der Bürgerschaft selbst zu; —<lb/> die Mehrzahl der Dörfer dagegen vermochte sich in späterer Zeit gegen Ueber-<lb/> griffe der Grundherren und die Lasten/ welche die Fürsten wieder auflegten,<lb/> nicht zu schützen; sie verloren von ihren Freiheiten, und manches Recht, das<lb/> sie bei der Gründung im 13. Jahrhundert besessen hatten, wurde ihnen erst im<lb/> ' Anfange des gegenwärtigen wieder gewährt.</p><lb/> <p xml:id="ID_150" next="#ID_151"> So schoß seit 1200 zwischen den Riesenbergen und der endlosen polnischen<lb/> Ebene in der obern Hälfte des Oberlandes mit überraschender Schnelligkeit ein<lb/> neuer deutscher Stamm auf. Am Ende des Jahrhunderts war seine Herrschaft<lb/> über das Land entschieden; lange noch dauerte die Einwanderung fort, und<lb/> der stille Kampf zwischen deutscher und polnischer Art wurde noch lange nach¬<lb/> dem der Sieg entschieden war, fortgesetzt, ja in einigen Landkreisen dauert er<lb/> noch jetzt sort. Im Ganzen folgten die fügsamen Slawenstämme Schlesiens"<lb/> friedlich der neuen Strömung, denn durch Jahrhunderte war es für jeden<lb/> Slawen sehr vortheilhaft, deutsches Recht zu erwerben. Und der neue deutsche<lb/> Stamm repräsentirte bald durch seinen Dialekt, seine Sitte, seine Bildung<lb/> eine neue Schattirung des deutschen Volkscharakters. Noch jetzt vermag man<lb/> zu erkennen, daß er aus einer Verbindung slawischer und deutscher Art hervor¬<lb/> gegangen ist. — Zweierlei kaun man als charakteristisch für deutsches Wesen be¬<lb/> trachten. Zuerst, wodurch sich alle Germanen von Celten und Slawen unter¬<lb/> scheiden, daß die Bilder der Außenwelt sich am reinsten und vollständigsten in<lb/> der Tiefe ihres Gemüthes spiegeln, und daß sie deshalb vorzugsweise die Be¬<lb/> fähigung haben, die Welt, in welcher sie leben, zu verstehen, und den eignen<lb/> Egoismus zu zügeln durch verständiges Ermessen und Gefühl für Wahrheit<lb/> und Recht. Die zweite Eigenthümlichkeit aber ist vorzugsweise bei den denk-</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Brot- und Schuhbänken. Auch hier hatte er als Vogt die Gerichtsbarkeit,
zuweilen sogar die oberste. Die Städte erhielten außer dem Ackerland oft
Wald, Weide, Fischerei und Jagdrecht, zuweilen das Meilenrecht für städtische
Gewerbe. Die Bürger waren sämmtlich persönlich frei, und regierten ihr Ge¬
meinwesen selbst. Statut und Recht holten sie sich bei einer ältern angesehenen
deutschen Stadt, und sie bezahlten es der Mutterstadt in der Regel mit gutem
Geld. Magdeburg wurde die große Quelle für Statut und Rechte der schle-
sischen Stadtcommunen, und noch lange bevor Breslau zu seiner Größe kam,
ging man dorthin zurück, wenn man in schwierigen Fällen einer Entscheidung
bedürfte.
Nicht gleich war das Schicksal, welches die deutschen Städte und Dörfer,
die doch beide nach demselben Princip gegründet waren, in dem späteren Mittel¬
alter hatten. In den Städten wuchs die enger zusammengefaßte Kraft deutschen
Lebens fröhlich empor, ihr Selbstgefühl und ihre Rechte wurden immer größer.
Die Erbvogteien wurden von ihnen durch Kauf erworben und die Rechte des
Vogts, vor allem seine Gerichtsbarkeit fielen der Bürgerschaft selbst zu; —
die Mehrzahl der Dörfer dagegen vermochte sich in späterer Zeit gegen Ueber-
griffe der Grundherren und die Lasten/ welche die Fürsten wieder auflegten,
nicht zu schützen; sie verloren von ihren Freiheiten, und manches Recht, das
sie bei der Gründung im 13. Jahrhundert besessen hatten, wurde ihnen erst im
' Anfange des gegenwärtigen wieder gewährt.
So schoß seit 1200 zwischen den Riesenbergen und der endlosen polnischen
Ebene in der obern Hälfte des Oberlandes mit überraschender Schnelligkeit ein
neuer deutscher Stamm auf. Am Ende des Jahrhunderts war seine Herrschaft
über das Land entschieden; lange noch dauerte die Einwanderung fort, und
der stille Kampf zwischen deutscher und polnischer Art wurde noch lange nach¬
dem der Sieg entschieden war, fortgesetzt, ja in einigen Landkreisen dauert er
noch jetzt sort. Im Ganzen folgten die fügsamen Slawenstämme Schlesiens"
friedlich der neuen Strömung, denn durch Jahrhunderte war es für jeden
Slawen sehr vortheilhaft, deutsches Recht zu erwerben. Und der neue deutsche
Stamm repräsentirte bald durch seinen Dialekt, seine Sitte, seine Bildung
eine neue Schattirung des deutschen Volkscharakters. Noch jetzt vermag man
zu erkennen, daß er aus einer Verbindung slawischer und deutscher Art hervor¬
gegangen ist. — Zweierlei kaun man als charakteristisch für deutsches Wesen be¬
trachten. Zuerst, wodurch sich alle Germanen von Celten und Slawen unter¬
scheiden, daß die Bilder der Außenwelt sich am reinsten und vollständigsten in
der Tiefe ihres Gemüthes spiegeln, und daß sie deshalb vorzugsweise die Be¬
fähigung haben, die Welt, in welcher sie leben, zu verstehen, und den eignen
Egoismus zu zügeln durch verständiges Ermessen und Gefühl für Wahrheit
und Recht. Die zweite Eigenthümlichkeit aber ist vorzugsweise bei den denk-
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